# taz.de -- Streit um Rückgabe an Namibia: Nur 11 von 11.000 Gebeinen | |
> Am Mittwoch gibt die Bundesregierung menschliche Überreste zurück – | |
> allerdings nur ein Bruchteil der noch in Berlin lagernden Knochen. | |
> Proteste sind angekündigt. | |
Bild: Justizsenator Dirk Behrendt (3.v.l) mit einer Delegation von Ovaherero un… | |
27 menschliche Überreste – Schädel, Skelette, Kopfhaut – sollen am heutig… | |
Mittwoch bei einer Zeremonie im Französischen Dom an Vertreter Namibias | |
zurückgegeben werden. Doch im Depot der Berliner Museen lagern noch mehr | |
als 11.000 menschliche Überreste, der größte Teil unerforscht. Bis sie alle | |
zurückgegeben werden, dürften noch Jahrzehnte vergehen. | |
Denn der Berliner Senat steht weiterhin auf dem Standpunkt, dass über | |
Rückgaben nur nach aufwendiger Provenienzforschung und im Einzelfall | |
entschieden wird. Das ergibt sich aus einer bislang unveröffentlichten | |
Antwort der Kulturverwaltung auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten | |
Daniel Wesener, die der taz vorliegt. | |
Wesener kritisiert, dass bislang zu wenig getan werde, um die Rückgabe | |
aller Überreste zu ermöglichen. „Den warmen Worten bei Feierstunden müssen | |
endlich Taten folgen.“ | |
Im 19. und 20. Jahrhundert hatten europäische Anthropologen, Ethnologen und | |
Mediziner massenhaft menschliche Überreste aus allen Teilen der Welt | |
gesammelt – oft für die sogenannte Rasseforschung. „Gesammelt“ – eigen… | |
eher geraubt – wurde vornehmlich in den Kolonien. VertreterInnen vieler | |
Herkunftsländer sowie von hiesigen postkolonialen Organisationen fordern | |
seit Jahren ihre Rückgabe. Die Debatte ist noch stärker aufgeladen als bei | |
Kunst- und Kulturgütern aus den ehemaligen Kolonien, da die Gebeine | |
vielerorts kultische Bedeutung haben. | |
In Berlin gehört ein Großteil der menschlichen Überreste der Stiftung | |
Preußischer Kulturbesitz (SPK), die 2011 die anthropologische Sammlung der | |
Charité übernommen hat. Die zweite große Sammlung des Mediziners Rudolf | |
Virchow gehört einer privaten Gesellschaft. | |
Die Charité hatte in den vergangenen Jahren mehrfach Schädel zurückgegeben, | |
etwa an Namibia und Australien. Die SPK selbst hat laut Kulturverwaltung | |
bislang noch nicht restituiert. Derzeit laufe ein Forschungsprojekt zur | |
Herkunft von rund 1.000 Schädeln aus dem heutigen Ruanda und Tansania, | |
weitere sollen folgen. | |
Dafür will die Bundesregierung der SPK laut Kulturverwaltung vier | |
zusätzliche Stellen für „Kolonialismusaufarbeitung“ bezahlen. Für Wesener | |
„ein Witz“: „Viel zu wenig für diese „Mammutaufgabe.“ Bundesregierun… | |
SPK versteckten sich hinter der Provinienzforschung, um die missliebige | |
Frage der Rückgabe auszusitzen. | |
Von den 27 Überresten, die dieses Mal übergeben werden, stammen nur 11 aus | |
der Charité. Der Rest kommt von anderen deutschen Universitäten und einem | |
Privatbesitzer. | |
Die heutigen Feierlichkeiten im Dom werden von Protesten begleitet. | |
Vertreter von Opferverbänden der Herero und Nama sowie der Gruppe | |
„Völkermord verjährt nicht“ wehren sich gegen ihre Ausladung. Sie fordern | |
seit Jahren die Rückführung aller Überreste sowie eine Entschuldigung der | |
Bundesregierung für den Genozid von 1904. | |
29 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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