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# taz.de -- Rückgabe von Gebeinen aus Kolonialzeit: Die Schuldfrage
> Vor über 100 Jahren wurden Gebeine der im Kolonialismus ermordeten Herero
> und Nama geraubt. Einige werden jetzt zurückgeführt.
Bild: Auch geraubte Schädel aus der Sammlung der Charité werden übergeben (A…
BERLIN taz | Früh am Dienstagmorgen ist [1][Gerhard Ziegenfuß aus
Ennigerloh bei Münster] in außergewöhnlicher Mission in den Zug nach Berlin
gestiegen: Heute gibt der 78-Jährige den Menschenschädel aus Namibia
zurück, den sein Großonkel, der Missionar Alois Ziegenfuß, während der
Kolonialzeit nach Deutschland geschickt hatte. Es ist der Moment, auf den
er zehn Jahre gewartet hat. Seit 2008 versucht der pensionierte
Biologielehrer, das dunkle Erbe seiner Familie in Würde zurück nach Namibia
zu bringen. „Ich bin wirklich erleichtert. Ich hatte die Bürde, die wir
tragen, in Form eines Schädels ja immer vor Augen“, sagt Ziegenfuß, als er
in Anzug und Turnschuhen am Berliner Hauptbahnhof in ein Taxi zum
Französischen Dom steigt.
Dort wird er ein offizielles Übergabeprotokoll unterschreiben, es ist der
juristische Teil der dritten Restitution von Human Remains nach Namibia.
Auf der Liste steht unter Institutionen wie der Charité Berlin, elf
Schädel, fünf Skelette, ein Schulterblatt, und der Universität Greifswald,
drei Schädel: Gerhard Ziegenfuß, Ennigerloh: ein Schädel (in Privatbesitz).
Am Mittwoch werden in einer Zeremonie im Französischen Dom 27 Human Remains
aus deutschen Sammlungen an Namibia zurückgegeben. Es sind die menschlichen
Gebeine von Nama und Herero, die während der Kolonialzeit geraubt und
unrechtmäßig nach Deutschland gebracht worden sind.
In Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, schlug die Kolonialtruppe
den antikolonialen Widerstandskampf der Herero und Nama in den Jahren 1904
bis 1908 gnadenlos nieder. Der Vernichtungskrieg gegen Herero und Nama gilt
als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Schätzungsweise 100.000
Herero und Nama starben in der Omaheke-Wüste oder in den
Konzentrationslagern. Militärärzte trennten die Köpfe der Leichen ab und
schickten sie als Forschungsobjekte nach Deutschland. Die
rassenanthropologischen Untersuchungen an den Schädeln dienten damals dazu,
rassistische Theorien zu untermauern und den kolonialen Herrschaftsanspruch
zu legitimieren.
## Bisher keine Entschuldigung
Seit Jahren verhandeln die deutsche und die namibische Regierung über die
Aufarbeitung des Genozids. Die Bundesregierung bezeichnet die Verbrechen
seit 2016 zwar als Völkermord, aber bisher gab es keine offizielle
Entschuldigung. Herero und Nama sitzen nicht mit am Verhandlungstisch. Weil
sie sich von den Verhandlungen ausgeschlossen und von der eigenen Regierung
nicht ausreichend vertreten fühlten, haben Opferverbände im Januar 2017 in
New York Sammelklage gegen Deutschland eingereicht. Sie fordern die
offizielle Anerkennung für den Genozid, eine Entschuldigung und
Wiedergutmachung.
„Wir wurden so lange verletzt, und niemand hat zurückgeschaut, unsere
Regierung nicht und schon gar nicht die deutsche Regierung. Deshalb mussten
wir eine andere Möglichkeit finden, unsere Stimme hörbar zu machen“, sagt
Vepuka Kauari. Die Mitgründerin der Association of the
Ovaherero/Ovambanderu Genocide in the USA (AOG) ist aus New York angereist,
um in Berlin Zeugin der Übergabe von Human Remains zu sein. 2015 besuchte
sie in Berlin eine Institution, in deren Kellern menschliche Gebeine aus
Namibia lagerten. Die Mitarbeiterin sei mit fünf weißen Taschen und den
Worten „Das sind die Remains. Sie können sie jetzt ansehen“ auf sie
zugekommen. „Es war surreal. Das war ein Moment, den ich nie vergessen
werde“, sagt Kauari. „Ich komme nun zurück zu dieser Restitution, um
abzuschließen.“
Schon im Vorfeld wurde die Übergabezeremonie im Französischen Dom von
Opferverbänden und postkolonialen Aktivist*innen heftig kritisiert. Denn
weder Paramount Chief Vekuii Rukoro, der traditionelle höchste Repräsentant
der Herero, noch Ida Hoffmann, Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des
Nama Genocide Technical Committee, waren offiziell nach Berlin eingeladen
worden. Auch die Aktivist*innen des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht�…
waren von der namibischen Botschaft von der Zeremonie ausgeschlossen
worden.
Es scheint, als versuchte die Regierung, die dritte Restitution von Human
Remains nach Namibia über die Bühne zu bringen, ohne Kritik an der
schleppenden Aufarbeitung des Völkermords zu riskieren. In einer
Presseinformation aus dem Auswärtigen Amt zu den Hintergründen der
Restitution wird der Genozid mit keinem Wort erwähnt.
Doch die Vertreter*innen der Herero und Nama kamen auf eigene Faust nach
Berlin. „Ich bin die Initiatorin der Diskussion über den Genozid, ich
fordere seit 1991, dass der Völkermord anerkannt wird“, sagt die namibische
Nama-Aktivistin Ida Hoffmann am Sonntagabend in der Lobby ihres Hotels.
Auch wenn sie sich nicht zu den Einladungen äußern will, ist ihr anzuhören,
dass sie vor den Kopf gestoßen ist. Dass sie nicht zur Restitution in
Berlin eingeladen ist, hat sie aus der Zeitung erfahren. Für sie ist klar:
„Ich muss dabei sein, deshalb bin ich hier.“ Die Art und Weise, wie das
Auswärtige Amt und die namibische Botschaft die Restitution organisieren,
kritisiert sie als Inszenierung. „Wie können wir von Versöhnung sprechen
und einander die Hände reichen, wenn es noch weitere Human Remains in
Deutschland gibt?“, fragt sie.
## Keine Entschuldigung
Vepuka Kauari empfindet das Vorgehen der Bundesregierung als „respektlos
und unmenschlich“. Die Herero-Aktivistin aus New York kritisiert, dass die
Zeremonie in einer Kirche stattfindet und nicht im Bundestag. „Unsere
Vorfahren sind nicht durch die Kirche hierher gekommen“, sagt sie. Kauari
erwartet, dass der Bundestag eine Resolution ähnlich der
Armenien-Resolution von Juni 2016 verabschiedet und dass es eine offizielle
Entschuldigung für den Genozid von der Bundesregierung gibt – am besten
gleich bei der Rückgabe der menschlichen Gebeine.
Dass es dazu kommt, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. Zur Übergabe der
Human Remains hat sich weder der Bundespräsident noch der Außenminister
angekündigt. Nur die Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im
Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, wird als Vertreterin der
Bundesregierung anwesend sein. Und Müntefering hat der Nachrichtenagentur
AFP zufolge bereits bei einer Pressekonferenz am Montag gesagt, eine
offizielle Entschuldigung lehnten beide Regierungen mit der Begründung ab,
die Restitution sei nicht der richtige Rahmen dafür.
„Es scheint, als könne Berlin nicht die richtige Sprache und Antwort auf
die Frage finden, wie mit historischer Schuld umgegangen werden, wie um
Verzeihung gebeten werden sollte“, sagt der Historiker und
Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer. Er fordert einen grundsätzlichen
Neustart in der Aufarbeitung des Genozids. „Bisher wurde alles getan, um
eine öffentliche Diskussion in Deutschland über den richtigen Umgang mit
historischer Schuld zu vermeiden.“
28 Aug 2018
## LINKS
[1] /Im-Kolonialismus-geraubte-Koerperteile/!5479447
## AUTOREN
Elisabeth Kimmerle
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