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# taz.de -- Rückgabe zweier Nama-Schädel: Bremer Solidarität mit Namibia
> Kurz bevor eine offizielle Delegation Bremens nach Windhoek aufbricht,
> beschließt der Senat, zwei Nama-Schädel zurückzugeben.
Bild: So könnte es wieder aussehen: Menschliche Überreste der Moriori und Mâ…
BREMEN taz | Die Vorzeichen der Reise nach Namibia sind gut. Dafür hat der
Senat am Dienstag gesorgt. Die große Delegation, die am Freitag nach Afrika
fliegt, hat den Beschluss im Gepäck, zwei Schädel aus den Beständen des
Überseemuseums zu deakzessionieren, also aus der Sammlung auszusondern.
Damit erfüllt Bremen eine Rückgabeforderung Namibias. „Wir sind froh, vor
Beginn Klarheit geschaffen zu haben“, so die Protokollchefin des Senats
Birgit Rambalski zur taz. Die Frage zu klären, wie und wann die Übergabe
der Gebeine erfolgen soll, wird nicht Gegenstand der Reise sein, sondern
durch die Republik Namibia in Abstimmung mit der Bundesrepublik
entschieden.
Die hat eine Feierstunde in Berlin angeregt, bei der auch andere aus
Deutschland in die namibische Heimat zurückzuführende Gebeine in einem
pietätvollen Rahmen übergeben werden sollen. Das ist von Bedeutung, weil
Deutschland sich schwer tut im Umgang mit dem Völkermord, den deutsche
Soldaten 1904 bis 1908 unter ihrem Anführer Lothar von Trotha an den Herero
und Nama verübten.
Bürgermeister Carsten Sieling stellte klar, dass „sich Bremen aus
historischen Gründen in der Verantwortung“ sehe. Von hier war durch den
betrügerischen Kaufmann Adolf Lüderitz die Kolonisierung Südwestafrikas
ausgegangen, noch bevor das Reich einen Platz an der Sonne für sich
beanspruchte.
Umgekehrt haben sich seit den 1970er-Jahren zunächst zivilgesellschaftliche
Initiativen, seit der Ampel-Koalition aber auch der Senat vermehrt um
Aussöhnung bemüht. So wurde 2004 anlässlich des 100. Jahrestages die
internationale Konferenz zur Frage dieses ersten Genozids des 20.
Jahrhunderts ausgerichtet. Sie gilt als wegweisend.
Zwar erkennt Deutschland mittlerweile den Genozid an, macht aber keine
materiellen Zugeständnisse. Und die Klage von Nachfahren der Opfer vor
einem Gericht in New York hält man für unzulässig und boykottiert sie mit
dem Verweis auf die Immunität von Staaten.
Vor dem Hintergrund kann der jetzige Senatsbeschluss verdeutlichen, „dass
wir in Solidarität nach Namibia reisen“, erläutert Rambalski. Ihm
vorangegangen war ein förmliches Rückgabe-Ersuchen der Republik Namibia.
„Das ist entscheidend“, so die Direktorin des Überseemuseums Wiebke Ahrndt.
„Es kommt als sehr gönnerhaft daher, wenn wir den Herkunftsländern
Rückgaben aufnötigen.“ Die Staaten müssten „selbst entscheiden, ob, wann
und in welchem Rahmen sie die Objekte zurückhaben wollen, die zu Unrecht in
unsere Sammlungen gekommen sind.“
Sehr unterschiedlich sei der Umgang der Herkunftsgesellschaften mit der
Frage: So haben laut Ahrndt die Tlingit, die an der nördlichen US-Grenze
Kanadas in British Columbia siedeln, Rückgaben von Artefakten ausdrücklich
abgelehnt. In Tibet wiederum würden Skelettteile völlig unspirituell als
bloßer Werkstoff behandelt, Flöten aus Menschenknochen von dort seien
nichts ungewöhnliches. In einigen Gesellschaften Ozeaniens wiederum seien
zumal Human Remains so stark tabuisiert, dass nur Clan-Mitglieder die
jeweiligen Gebeine berühren dürfen, „allen anderen droht der Tod“.
Voraussetzungen, die eine Rückgabe erschweren, denn nur sehr unvollkommen
geben die Eingangsbücher Auskunft über die Herkunft der Sammlungsstücke.
Mitunter sind Tierknochen als menschlich katalogisiert worden, Quellen
seien unpräzise – und etliche Schrumpfköpfe stammen von Affen: „Die
südamerikanischen Völker hatten rausbekommen, dass die bei Europäern sehr
begehrt waren“, so Ahrndt. So habe sich ein regelrechter Fälschermarkt
etabliert.
## Komplexe Überprüfung
Namibia aber drängt wie die meisten afrikanischen Staaten sehr deutlich auf
Rückgabe: Die offizielle Forderung bezüglich der Übersee-Schädel war in
Bremen am 7. Juli 2017 eingegangen. Und bei den jetzt deakzessionierten
Gebeinen hatte von vornherein festgestanden, dass es sich um menschliche
Schädel handelt. Dass die Prüfung dennoch fast ein Jahr in Anspruch
genommen hat, ist nachvollziehbar. Zwar war von vornherein bekannt, dass es
im südwestlichen Afrika keinen Handel mit Menschenknochen gab, wie er in
anderen Weltgegenden praktiziert wurde. Ein unehrenhafter Erwerb gilt also
als sicher.
Auch hatte angesichts der lückenhaften Dokumentation ihrer Herkunft von
vornherein festgestanden, dass der wissenschaftliche Wert der Schädel sehr
gering ist. Diese aber hatte die Klärung einer anderen Frage erschwert:
„Wir mussten sicher sein, dass sie aus dem Gebiet des heutigen Namibia
stammen“, so Ahrndt. Tatsächlich lässt sich wenig vorstellen, was
peinlicher wäre, als Gebeine in die falschen Hände zu restituieren – und
sich im Anschluss mit berechtigteren Forderungen tatsächlicher Nachfahren
konfrontiert zu sehen.
31 May 2018
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
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