# taz.de -- Kunstinstallation „Mine“ in Düsseldorf: Gaming für die Aufkl�… | |
> Die Installation „Mine“ von Simon Denny verfolgt den Abbau von Rohstoffen | |
> und deren Auswirkungen auf die menschliche Arbeitskraft. | |
Bild: Blick in die Installation „Mine“ von Simon Denny im K21 in Düsseldorf | |
Folgt man dem Philosophen und Künstler Daniel Rubinstein, dessen | |
Essaysammlung „Fotografie nach der Philosophie“ gerade im [1][Merve Verlag] | |
erschienen ist, dann befinden wir uns in einer „Repräsentationsdämmerung“: | |
Die Fotografie ist nicht mehr das Medium des Sichtbaren, sondern des | |
Sichtbarmachens von Unsehbarem. | |
Denn wie „sehen“ autopilotierte Autos die Städte, die sie durchkreuzen? Wie | |
erkundet das „smarte“ Band am Arm des Amazon-Mitarbeiters dessen | |
Performance? Statt des Kameraauges lesen Sensoren unsere plattformisierte | |
Welt aus, wobei ihre algorithmischen Bildlogiken nur mühsam ins menschliche | |
Maß rückübersetzt werden können. | |
Während sich in der aktuellen Wiederentdeckung ostdeutscher Fotograf*innen | |
die gegenläufige Hoffnung abzeichnet, dem Dokument schwarz auf weiß | |
vertrauen zu können, arbeiten Künstler*innen mit zumeist westlichen | |
Biografien gleichzeitig an der Entwicklung höchst künstlicher Welten. | |
Der Wille zur Aufklärung kommt im Gewand des Gamings: Fotografie oder | |
Essayfilm zeigen nicht mehr Arbeitsplätze oder Straßenkämpfe, sondern | |
übersetzen ihre Analyse und Kritik in bunte und laute, computergenerierte | |
und konstruierte Räume. | |
## Hito Steyerl, Thomas Ruff und Simon Denny | |
In der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf lässt sich an drei | |
aktuellen Einzelausstellungen – Hito Steyerl, Thomas Ruff und Simon Denny – | |
exemplarisch ablesen, wie weit vormals kamerabasierte Kunst sich zu einer | |
algorithmischen Bildproduktion verschoben hat. | |
Der Fotograf Thomas Ruff hat die Kamera ganz beiseitegelegt und verarbeitet | |
nur noch im Internet aufgefundene Digitalformate; die Videokünstlerin Hito | |
Steyerl bewegt sich in einer hybriden Welt [2][zwischen Gaming], Chats und | |
Youtube; und der Installationskünstler Simon Denny baut sich digitale | |
Gaming-Zones, computeranimierte Videos und dem Rechner entsprungene | |
Themenpark-Displays. | |
Der in Neuseeland geborene und in Berlin lebende Denny übertrug seine | |
ursprünglich den Bergbauregionen in Australien gewidmete Arbeit „Mine“ auf | |
die Industrieregion Rhein/Ruhr: Nicht weit vom K21-Museum liegt der Rest | |
des vom Braunkohleabbau geschundenen Hambacher Waldes. | |
Denny bezieht sich jedoch auf die schon zum Museum umgewandelte Zeche | |
Zollverein in Essen, wobei er zusammen mit dem Künstler Jan Berger in der | |
Spielewelt „Minecraft“ eine digitale Raum-Fahrt durch das Ruhrmuseum mit | |
dem K21 im Stollen verknüpft. Die Ausstellung findet somit im Keller des | |
virtuellenMuseumskomplexes als auch im realen Ausstellungsraum statt. | |
## Cyberpunkartige Pappaufsteller | |
Jedoch erinnert dieser mit auf Wand und Boden angebrachten Computergrafiken | |
sowie von Paul Riebe entwickelten cyberpunkartige Pappaufsteller von | |
überzeichneten Bergbauprodukten eher an Messearchitekturen oder | |
Themenparks. | |
„Mine“ verschränkt thematisch die Extraktion von Rohstoffen sowie ähnlich | |
naturhaft gesehene Daten und verfolgt die Auswirkungen auf die menschliche | |
Arbeitskraft. Der Titel bedeutet ja einerseits die Bergbaumine, aber auch | |
„mein“ und verschränkt so den Raubbau an Habitat und den Menschen selbst, | |
wenn etwa eine vorgestellte Smartwatch des Bergbau-Ausstatters Caterpillar | |
verspricht, „Ermüdungs- und Ablenkungsrisiken vorherzusagen, zu messen und | |
zu mindern“. | |
So erfasst das Gerät die „Schlaf- und Wachperioden der Mitarbeiter und | |
wandelt diese Daten in eine Effektivitätspunktzahl um“. Wie autopilotierte | |
Drillmaschinen, Lkws oder Züge auch werden die noch verbliebenen | |
Arbeitskräfte aus der Ferne digital überwacht und ihr Datenmaterial | |
weiterverarbeitet. Diese Pit-Kontrollcenter erinnern dabei an die | |
Drohnensteuerzentralen, wie sie der Videoessayist Harun Farocki anhand | |
„operativer Bilder“ untersucht hatte. | |
Das Verrückte an Dennys überzeichneten Produktvideos zwischen | |
Pappaufstellern und den von Sharon Gordon angefertigten Gerichtszeichnung | |
fiktiver Klageverhandlungen ist ja, dass dies auf bestehendes Werbematerial | |
aufsetzt und marktreif ist. | |
## Den menschlichen Arbeitskräften assistierende Roboter | |
Aktuell werden kleine, den menschlichen Arbeitskräften assistierende | |
Roboter in den Dienst gestellt, die den Menschen nicht mehr gefährlich | |
werden und deshalb nicht mehr wie bislang in Schutzkäfigen gehalten werden | |
müssen. Andererseits stellt Amazon das US-Patent 20150066283 A1 vor, wonach | |
die Picker genannten Warenzusammensammler in fahrbaren Käfigen mit äußerem | |
Greifarm gehalten werden sollen. | |
Indem Denny den patentierten „Amazon-Arbeiter-Käfig“ schon einmal | |
materialisiert, erlaubt er uns das direkte Heranzoomen. Aus dem Käfig | |
„tweetet“ ein digital animierter Roststirn-Dornschnabel; sein vielleicht | |
schon erreichtes Aussterben steht als Warnzeichnen für die tödlichen | |
Auswirkungen des weltweiten CO2-Ausstoßes, so wie Kanarienvögel früher in | |
den Kohlegruben als eine Art Frühwarnsystem für bedrohliches Kohlenmonoxid | |
eingesetzt wurden. | |
Die planetarischen Lieferketten und „Opferzonen“ genannten | |
Ausbeutungswüsten des Kapitalozäns kennzeichnen Erde wie Menschen und auch | |
Museen als Orte der Ausbeutung von Rohmaterial und Daten. Was also ist die | |
Erkenntnis von Dennys „Gamification“ des Minings? Er geht so weit, statt | |
Katalog das Brettspiel „Extractor“ anzubieten, die Spielerklärung | |
funktioniert als Katalogbroschüre. | |
Die mechanische und digitale Automatisierung wird selbst die Arbeit der | |
Rohstoffgewinnung übernehmen – schlechte Nachrichten für den afrikanischen | |
Kontinent, dessen später Industrialisierung die Hoffnung eingeschrieben | |
ist, dem allgemeinen Wohlstand des Globalen Nordens oder Chinas | |
näherzukommen. Bevor also die Produktion aus Asien weiter auf den | |
afrikanischen Kontinent überläuft, so wie es sich schon in Äthiopien, | |
Marokko oder Südafrika abzeichnet, werden die Maschinen dort wohl schneller | |
sein. So verlieren Menschen ihre Arbeitsplätze, noch bevor sie diese | |
gewonnen haben. | |
29 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jochen Becker | |
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