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# taz.de -- Kunst in Zeiten von Corona: Digital statt in den Karpaten
> Eigentlich sollte das deutsch-ukrainische Kunstprojekt „Two Roots“ in der
> Ukraine stattfinden. Doch es kam anders, nämlich virtuell.
Bild: Staudamm-Performance der Künstlerin Naomi Wiener in Zusammenarbeit mit T…
Eine Woche lang hatten sich 16 junge Künstlerinnen und Künstler aus
Deutschland und der Ukraine nur von Monitor zu Monitor gesehen. Sie hatten
Kennenlernspiele gespielt, sich gegenseitig ihre Arbeitsweise vorgestellt
und auch mal zu einer gemeinsam erstellten Playlist getanzt.
Alles Dinge, die sie gerne von Angesicht zu Angesicht getan hätten. Im
September, [1][in den Karpaten]. Außerdem wollten sie der Frage nachgehen:
What had we lost to find? Eine Frage, aus der Zukunft gestellt, die sich
damit beschäftigt, warum wir gewisse Dinge nicht bewahrt haben.
Die Karpaten schienen dafür ein guter Ort zu sein. Urwüchsig, mit seinen
alten Buchenwäldern, die von der Unesco als Biosphärenreservat anerkannt
wurden. Aber auch bedroht von Investoren, die dort protzige Skigebiete
hinbauen wollen, wofür ganze Dörfer weichen müssten.
[2][Die Stiftung „Erinnern, Verantwortung und Zukunft“] hatte für das
länderübergreifende Kunstprojekt „Two Roots“ 20.000 Euro zugesagt. Eine
geräumige Hütte war bereits gebucht, im Anschluss war eine
interdisziplinäre Ausstellung in der Stadt Tschernowitz geplant. Doch dann
kam Corona und die Frage nach einem Plan B.
## Die Künstlerresidenz im Internet
Das Initiatoren-Team bestehend aus Jana Kühn, Victoria Medvedko, Oleh
Barasii und Olga Polyak entschieden sich, die Künstlerresidenz größtenteils
ins Internet zu verlagern. „Ukrainische Künstler bekommen keine
Coronahilfen und durch den Lockdown ist der Austausch mit anderen Ländern
kaum möglich“, sagt Kühn, die schon im Jahr zuvor ein Kunstprojekt im
öffentlichen Raum in der Ukraine umgesetzt hat. „Gerade wegen der
schwierigen Situation war es uns wichtig, Künstlerinnen und Künstler
zusammenzubringen.“
Im Gegensatz zu anderen Organisatoren, die ihr Programm online auf drei bis
fünf Tage schrumpften, hielten sie an den geplanten zwei Wochen vom 6. bis
20. September fest – was sie zwischendurch allerdings auch ein bisschen
bereuten. „Die Idee war ja eigentlich, draußen zu sein und gar nicht den
Computer anzumachen, statt den ganzen Tag davor zu sitzen“, sagt Kühn.
Außerdem müsse man eine Onlineresidenz deutlichen mehr planen und
moderieren, damit keiner gelangweilt oder überfordert ist. Nur: Wie macht
man das? Und was bringt es den Teilnehmern?
Abwechslung schien das Zauberwort auf die Frage, wie man eine Gruppe
mittels Zoom-Meeting sechs Stunden pro Tag bei der Stange hält. „Wir haben
den Tag mit einer Morning Session begonnen, in der wir etwas
Improvisiertes, Quatschmäßiges gemacht haben oder uns eine philosophische
Frage gestellt haben“, sagt Kühn.
An einem Tag sollten die Teilnehmer zum Beispiel etwas aus ihrer Stadt
mitnehmen oder zeichnen und erzählen, warum sie das mit dem Ort verbindet.
Die Fundstücke wurden an einer digitalen Pinnwand gesammelt, die nach und
nach zu einem interaktiven Kunstwerk wurde.
## Kleine abendliche Chatgruppen
Damit persönliche Gespräche trotzdem entstehen, wie es in den Karpaten
vermutlich beim Holzsammeln oder Kochen passiert wäre, wurde die Gruppe
zwischendurch in kleinere Chats aufgeteilt. Abends gab es die Möglichkeit,
sich in lockerer Runde über dieses und jenes auszutauschen und zu
überlegen, wie man in der Forschungsfrage weiterkommen kann.
Obwohl es von den Teilnehmern viel Lob für die Umsetzung gab, ist eine
Onlineresidenz natürlich nicht dasselbe wie persönliche Begegnungen. Naomi
Wiener, eine 28 Jahre alte Tänzerin und Choreografin, die von Berlin aus an
dem Projekt teilgenommen hat, drückt es so aus: „Der Bildschirm konsumiert
sehr viel Energie und gibt nicht viel zurück.“
Dabei sei eine persönliche Verbindung eine wichtige Basis für künstlerische
Zusammenarbeit. „Kunst ist in der Regel sehr ganzheitlich, da lässt sich
das Professionelle nicht von dem Persönlichen unterscheiden“, sagt sie.
Wenn man seine Kunst teile, teile man auch einen Teil von sich.
Nach einer Woche bot sich für Naomi Wiener und die anderen Teilnehmerinnen
und Teilnehmer aber doch die Möglichkeit, vom Bildschirm wegzukommen, eine
kleine Reise zu unternehmen und – so man wollte – den einen oder anderen
persönlich kennenzulernen und gemeinsam ein Projekt umzusetzen. Von einem
persönlichen, internationalen Austausch hatten das Auswärtige Amt sowie der
ukrainische Kulturfonds zwar abgeraten, doch innerhalb der Landesgrenzen
waren Treffen wegen der zu dieser Zeit niedrigen Fallzahlen machbar.
## Neue Relevanz von Video durch Corona
Für die Tänzerin war schnell klar, dass sie mit einem Videokünstler
zusammenarbeiten will. Durch die neuerlichen Hygieneanforderungen bei
Auftritten hatte sie erlebt, dass nicht mehr so viele Menschen erreicht
werden. „Durch Corona ist Video für mich relevanter geworden“, sagt sie.
Insofern passte es hervorragend, dass Thai Tai Pham, ein Filmemacher aus
Weimar, auf der Suche nach einer Choreografin war.
Als sie sich in der zweiten Woche dann persönlich kennenlernten, war Thai
Tai Pham etwas aufgeregt. Es habe für ihn schon ein bisschen was von
Onlinedating gehabt, gibt er zu und lacht. „Ich habe mich gefragt: Ist die
Person auch in real life so charismatisch wie auf dem Monitor?“.
Das sei spannend gewesen und man lerne sich eben doch viel schöner kennen,
wenn man gemeinsam zu Abend isst, den Raum körperlich wahrnimmt und sich
bei einer Diskussion auch mal ins Wort grätschen kann. Schnell kamen sie
auf die Idee, eine Performance an einer Staumauer zu machen – einem
Bauwerk, das für die Bändigung der Naturgewalt durch den Menschen steht.
Nur die Zeit sei etwas knapp gewesen, bedauert er. Vielleicht auch, weil
zwei weitere Künstler für Musik und Bildbearbeitung dazustießen. „Wenn es
um die Interpretation ging, hatten wir unterschiedliche Vorstellungen.“
## Wer allein arbeitet hat es einfacher
Für die einen sei es etwas Harmonisches gewesen, für die anderen etwas
Bedrohliches. „Das ist nichts Verkehrtes. Nur fehlte leider die Zeit, alles
auszudiskutieren“, sagt er. Über Skype sei das eben doch etwas anderes.
Schon einen Termin zu finden sei gar nicht so leicht, wenn alle ihren
Alltag haben, statt an einem Ort sind.
Da hatte es Olia Fedorova aus der Ukraine leichter. Sie musste sich nur mit
sich selbst abstimmen. „Ich arbeite selten mit anderen zusammen“, sagt die
26 Jahre alte Performance-Künstlerin. Vielleicht ist ihr gerade deshalb der
Austausch und das Netzwerken bei der Onlineresidenz so wichtig.
„Auch wenn du die Kontakte nicht sofort brauchst, ist es sehr gut, sie zu
haben, gerade auch in andere Länder“, sagt sie in fließendem Englisch. Für
spätere Ausstellungen zum Beispiel, aber auch, um sich gegenseitig zu
inspirieren.
## Auch Olia Fedorov ging auf Reisen
Auch Olia Fedorova ging dann für ihr Projekt auf eine Reise. Ein Bild zeigt
sie, wie sie auf einer Lichtung Yoga macht: Die Pinien sind kahl, es
scheint, als wären ihnen ihre Nadeln durch die kalte Jahreszeit
abhandengekommen. Doch das Foto ist im September aufgenommen. In einem Wald
in der Ukraine, in dem ein Feuer ausgebrochen war und zehn Hektar mitsamt
einem Dorf zerstört hat.
„Wir versuchen, bewusst und nachhaltig zu leben und der Natur nahe zu
sein“, sagt sie. Aber Bio-Lebensmittel und ökologische Kleidung veränderten
nicht viel, solange Fabriken die Luft verpesteten und Planierraupen die
Wälder abholzten. „Unser Lebensstil gibt uns nur ein besseres Gefühl und
lässt uns besser dastehen, vor uns selbst und vor anderen“, sagt sie.
„Beuten wir die Natur damit nicht noch mehr aus?“, fragt sie.
Einen Vorteil hat es, dass die Künstlerresidenz online stattfinden musste:
Anstelle der geplanten Ausstellung in Tschernowitz, die ab dem 20.
September stattfinden sollte, sind die künstlerischen Forschungsergebnisse
ab dem 19. Dezember [3][auf der Website] zu sehen. Ein Klick, und schon ist
man da.
4 Jan 2021
## LINKS
[1] /EU-Schutz-fuer-Urwaelder/!5731472
[2] https://www.stiftung-evz.de/start.html
[3] http://www.tworoots.de
## AUTOREN
Katharina Müller-Güldemeister
## TAGS
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