# taz.de -- Ausstellung zur Geschichtsbewältigung: Kein Kitsch in Reinform | |
> Das Kunstmuseum Stuttgart zeigt die Ausstellung „Der Traum vom Museum | |
> ‚schwäbischer‘ Kunst“. Es arbeitet damit seine NS-Vergangenheit auf. | |
Bild: Fritz Ketz, BDM-Mädel, 1940, Öl auf Leinwand | |
Vor Kurzem wurde bekannt, dass der [1][Namensgeber des | |
Alfred-Bauer-Preises] für das NS-Regime gearbeitet hat und nicht einfach, | |
wie angegeben, für die UFA. Jahrzehntelang hat das [2][Berlinale-Festival] | |
mit dem Preis innovative Filme ausgezeichnet. Auch der Kunsthistoriker | |
Werner Haftmann, der wie kein anderer die [3][Anfänge der Documenta] | |
geprägt hat, wurde jüngst von seiner Vergangenheit eingeholt. Er war | |
Mitglied der NSDAP, wenn auch wahrscheinlich aus strategischen Gründen, | |
wegen der Karriere und der Kunst. | |
Solche Nachrichten produzieren derzeit ein großes Medienecho. Das ist gut | |
so, aber Aufschrei und Empörung allein sind deplatziert. Vielmehr müssen | |
wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass sehr viel mehr Menschen mit | |
dem [4][nationalsozialistischen Apparat verstrickt waren als geglaubt]. | |
Auch 75 Jahre nach Kriegsende lohnt es sich, in die Archive zu gehen und | |
die Ergebnisse zu veröffentlichen, wie es das Kunstmuseum Stuttgart gerade | |
vormacht. | |
Das erst 2005 mit einem zentral gelegenen Neubau versehene Kunstmuseum | |
Stuttgart zeigt internationale Kunst der Gegenwart, verbunden mit einem | |
Schwerpunkt regionaler Kunst. Seit neuestem muss es sich mit der Tatsache | |
auseinandersetzen, auf eine nationalsozialistische Gründung zurückzugehen. | |
Eigentlich hatte der Provenienzforscher Kai Artinger „nur“ nach | |
NS-verfolgungsbedingt entzogener Kunst fahnden sollen. | |
Die Recherchen weiteten sich jedoch zu einer umfassenden Durchleuchtung der | |
Geschichte der Stuttgarter Sammlung aus. Dokumente belegen, dass es | |
ausgerechnet Karl Strölin war, Stuttgarter Oberbürgermeister und seit 1931 | |
NSDAP-Mitglied, der erstmals Stellen für einen Sammlungsleiter, ein Kunst- | |
und Kulturreferat sowie eine Kunstkommission schuf. | |
## Heldische Soldaten und arische Familien | |
Sein Ziel: ein Museum „schwäbischer“ Kunst, völkischer, also | |
nationalsozialistischer Prägung. Artinger fasste seine Recherchen in einem | |
Buch zusammen, das zur Grundlage der keinesfalls spektakulären, aber | |
äußerst aufschlussreichen Ausstellung wurde mit dem romanhaften Titel „Der | |
Traum vom Museum ‚schwäbischer‘ Kunst“. | |
Nazi-Kitsch in Reinform, heldische Soldaten oder arische Familien am Tisch, | |
sind in Stuttgart kaum zu finden. Oftmals handelt es sich um Gemälde von | |
Malern aus der zweiten oder dritten Reihe, sagt Ulrike Groos, Direktorin | |
des Kunstmuseums Stuttgart. Landschaften, Stillleben oder Porträts im Stile | |
des 19. Jahrhunderts. | |
Das BDM-Mädel mit dicken Zöpfen und brauner Uniformjacke hingegen ist | |
zweifellos ein Beispiel für NS-Kunst um 1940, auch wenn die Kleine wenig | |
heroisch aus dem Bild schaut. Gemalt hat es Fritz Ketz, ein Künstler, von | |
dem man leider wenig wisse, sagt Artinger. Es gebe Hinweise, dass sich Ketz | |
um die Entstehungszeit des Bildes vom Nationalsozialismus abgewandt habe, | |
aber Quellen, die das belegen, habe er bislang nicht. | |
Völkische Kunst war damals in Stuttgart offenbar gleichbedeutend mit | |
Gattungskunst. Das Herz der „schwäbischen“ Sammlung bestand aus | |
Landschaften, von denen rund 100 als Prolog der Ausstellung eine große Wand | |
bedecken. Elegisch sich schlängelnde Feldwege, heimelige Wälder, Flüsse und | |
Seen. | |
## Keinerlei avantgardistische „Verfallskunst“ | |
Doch kauften die Nazis auch eine kubistisch inspirierte Alhambra-Ansicht | |
von dem nach 1945 abstrakt malenden Theodor Werner und ein exotisches | |
Palmenmotiv bei Sonnenuntergang von dem international gefragten Grafiker | |
und Tiermaler Fritz Lang. Es gab offenbar noch Ausrutscher. Eigentlich war | |
klar, dass avantgardistische „Verfallskunst“ gemieden werden sollte. In der | |
Staatsgalerie Stuttgart etwa wurden zeitgleich Werke der Moderne | |
beschlagnahmt. | |
Es gab aber auch im Südwesten überzeugte NS-Künstler wie Hermann Tiebert, | |
der sich dem Regime geschmeidig anpasste. Der begabte Maler der Neuen | |
Sachlichkeit, der an der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe und der dortigen | |
Kunstakademie studiert hatte, passte kurzerhand seine Themen den | |
ideologischen Zielen der NSDAP an. | |
Sein 1936 erworbener „Schäfer auf der Alb“ zeigt den markanten Kopf eines | |
alten, aber keineswegs müde gewordenen Mannes. Tiebert produzierte in der | |
Folge blutleere Darstellungen von Bauern und Mägden in Tracht und folgte | |
penibel rassentheoretischen Klischees. | |
Aufregender als die Bilder sind die Dokumente in den Vitrinen, die Artinger | |
aus den Archiven gezogen hat. Schwarz auf weiß steht es da, werden reale | |
Akteure und Überzeugungen sichtbar. So bescheinigte etwa der Präsident der | |
Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, 1937 dem | |
Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, „daß die im Besitz der Stadt | |
Stuttgart befindlichen 1000 Ölbilder und 1200 Zeichnungen keinerlei Werke | |
der Verfallskunst enthalten haben, sondern im Gegenteil der Kulturpolitik | |
des Nationalsozialismus in vorbildlicher Weise entsprechen“. | |
## Geschönte Vergangenheitsversionen | |
Für Zündstoff in Stuttgart sorgen vor allem Artingers Recherchen zu Fritz | |
Cornelius Valentien, Stuttgarter Kunsthistoriker und Kunsthändler, dessen | |
Galerie in der dritten Generation heute mit Werken von grundverschiedenen | |
Künstlern wie Max Ernst, Willi Baumeister oder Alfred Hrdlicka handelt. | |
Valentien hatte sich wie viele andere eine geschönte Version seiner | |
Vergangenheit zurechtgelegt, in der er als Verfechter der Moderne auftritt. | |
Tatsächlich hatte er noch 1937 Werke von Oskar Schlemmer, Gabriele Münter | |
und August Macke gezeigt. Doch konnte Artinger auch belegen, dass Valentien | |
weiterhin Geschäfte mit dem NSDAP-Kulturreferat machte und dass er eine | |
fragwürdige Haltung in der „Rassenfrage“ einnahm. | |
Solche Einsichten haben die Nachfahren Valentiens zwar nicht ohne | |
Widerspruch zur Kenntnis genommen, doch zeigen sie sich offen für das | |
Gespräch. Seine Enkelin Imke Valentien wird am 19. Mai an einer | |
Podiumsdiskussion mit Kai Artinger und Ulrike Groos teilnehmen, bei der es | |
um Stuttgarter Kunsthändler im Nationalsozialismus geht am Beispiel des | |
Gründers der heute renommierten Galerie Valentien. | |
18 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Carmela Thiele | |
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