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# taz.de -- Rückgabe von geraubter Kunst: „Ein Ding der Unmöglichkeit“
> Das Stuttgarter Linden-Museum hat koloniale Raubgüter an Namibia
> zurückgegeben. Archivfunde zeigen: Frühere Leiter sabotierten solche
> Schritte.
Bild: Masken im Ethnologischen Museum Berlin. Rückgabe ist immer noch kein Kon…
Im Jahr 1970 brachten afrikanische und arabische Staaten ein Übereinkommen
in die UNESCO ein. Dieses sollte den illegalen Handel von Kulturgut
verhindern und sah im Ernstfall deren Rückführung vor. Im Jahr 1973
forderte etwa General Mobutu Sese Seko, diktatorischer Regent in Zaire, die
Rückgabe aller Kulturgüter, die während der belgischen Kolonialzeit außer
Landes gebracht wurden.
In derselben Zeit engagierten sich viele Deutsche gegen den „amerikanischen
Imperialismus“ und für die empathische Dritte-Welt-Bewegung. Trotzdem
blieben die internationalen kulturpolitischen Debatten ohne größere Folgen
für die bundesdeutschen Sammlungen. Archivfunde belegen, mit welcher
Vehemenz Museumsdirektoren gegen Rückgabeforderungen einst arbeiteten.
„Oftmals sind die Kulturgüter, die zu den ehemaligen Kolonien gehörten,
illegal ins Ausland gebracht worden. Nicht nur das Gesetz zwingt uns zur
Restitution, sondern wir haben auch die moralische Verpflichtung dazu.“ Es
sind deutliche Worte, die in einem Pariser Kunstmagazin im Juli 1976, und
ähnlich in einer englischsprachigen Zeitung zu lesen waren. Sie versetzten
eine Riege deutscher Museumsmänner in helle Aufregung. Denn hier plädierte
ein Bremer Kollege als Repräsentant der deutschen Völkerkundemuseen
öffentlich für die Rückgabe von Objekten an ihre Herkunftsländer.
Im Jahr 1976 war Herbert Ganslmayr seit einem Jahr Direktor des Bremer
Überseemuseums, er sollte es noch 15 Jahre bleiben. Sein Engagement auf der
Tagung der internationalen Museumsvereinigung (ICOM) in Lindau war ein
harscher Vorstoß, nicht abgesprochen mit den Kollegen. In einem internen
Schreiben aus dieser Zeit ist zu lesen, dass er als ersten Schritt die
Rückgabe einer „holzgeschnitzten Benin-Maske“ aus dem Überseemuseum
vorgeschlagen haben soll.
## Kußmaul versus Ganslmayr
Abseits der Öffentlichkeit, in Briefwechseln und auf dem „kurzen Dienstweg“
brach sich die Empörung über Herbert Ganslmayr Bahn. Die Leiter der
westdeutschen Völkerkunde-Museen – eine schon damals umstrittene
Bezeichnung – waren empört über den „Alleingang“ ihres Sprechers. Man
wertete ihn als „äußerst gefährliche Angelegenheit, über deren mögliche
Auswirkungen sich zahlreiche Kollegen noch nicht im Klaren zu sein
scheinen.“
Die Quellen zeigen: In den Chefetagen der ethnografischen Museen war man
sich 1976 einig. Durch mögliche Restitutionen sah man Sammlungen und
Existenz der Häuser bedroht.
Binnen kürzester Zeit wurde gegen den Unruhestifter Ganslmayr vorgegangen.
Das Zentrum der Agitation gegen den Bremer Museumsleiter lag dabei nicht
etwa in den Machtzirkeln der Bonner Kulturpolitik, sondern im Südwesten
Deutschlands. Friedrich Kußmaul, Direktor des Stuttgarter Linden-Museums,
rührte die Trommel gegen den Aufmüpfigen. Seine Korrespondenzen geben viel
preis vom Selbstverständnis der Museumsleiter dieser Zeit. In den
dokumentierten Briefwechseln der Direktoren wird ein Netzwerk sichtbar,
über das sie versuchten, „in gemeinsamer Aktion Schlimmeres zu verhüten“.
Am 15. Juli 1976 schrieb Kußmaul an das baden-württembergische
Kultusministerium. Er empfahl stillzuhalten, solange keine
Rückgabeforderungen seitens der Herkunftsländer gestellt würden. Er
befürwortete „eine für die ganze Bundesrepublik inklusive Westberlin
gültige Regelung (…), die im Interesse der Sammlungen für unsere Museen
vernünftig ist, und die Husarenritte Einzelner verhindert. Soweit ich sehe,
gibt es im Moment nicht den geringsten Grund für solche Aktionen.“
## „Dieser Kollege ist wirklich ein Brechmittel“
Dann wandte er sich mit der konkreten Bitte um Solidaritätsbekundungen an
die Direktoren der großen ethnografischen Sammlungen der Bundesrepublik.
Überliefert sind Schreiben nach Berlin, Hamburg, München, Köln, Wien und
Frankfurt. Außerdem informierte er den Deutschen Museumsbund, die Stiftung
Preußischer Kulturbesitz und das Auswärtige Amt. Die Rückmeldungen
erfolgten zeitnah und gaben dem Stuttgarter Direktor volle Rückendeckung.
In der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wanderte Kußmauls Schreiben über
den Schreibtisch des Präsidenten weiter ins Bundesministerium des Innern.
Für Eike Haberland, Leiter des Frobenius Instituts der Frankfurter
Universität, war es „ein Ding der Unmöglichkeit, hier ohne ausführliche
Rücksprache mit allen Beteiligten in Deutschland Statements abzugeben (…)
(die) Deutschland und alle Beteiligten in einen sehr unangenehmen Zugzwang
bringen können.“
„Dieser Kollege ist wirklich ein Brechmittel“, so machte der Leiter des
Staatlichen Museums für Völkerkunde in München, Andreas Lommel, seinem
Ärger über den Bremer „Querulanten“ Luft. Selbstgewiss schrieb er: „Wenn
Objekte den Afrikanern zurückgegeben werden müssten, dann müssten alle
Europäer (…) und vor allem die Sowjetunion etwas zurückgeben. Auf die
Sowjetunion ist immer Verlass: Sie wird nichts zurückgeben. Die anderen
Völker, Chinesen, Japaner, stellen solche dummen Anfragen nicht. Sie kaufen
entweder zurück oder freuen sich über die Werbewirkung der im Ausland
gezeigten Gegenstände.“
Die Museumsmänner dieser Zeit verstanden sich als maßgebliche Akteure für
solcherlei kulturpolitische Fragen. Die Regierungen, so empfahl der
damalige Leiter des Deutschen Museumsbundes dem im Bundesministerium des
Innern, sollten sich mit den Themen erst dann befassen, wenn sich die
Fachleute nicht einigen könnten.
## Ein von kolonialem Denken geprägtes Afrika-Bild
Das Argument der Museen in den Rückgabe-Debatten lautete damals wie teils
heute, man könne selbst nicht viel machen, man sei nur Verwalter, nicht
Eigentümer der Sammlungen. De jure ist das Argument der Zuständigkeiten oft
hieb- und stichfest. De facto schaffen informelle Kommunikation,
diplomatische Einflussnahme und die Kraft innovativer Ansätze
Handlungsräume – in denen sich sowohl Museumsmenschen als auch
Politiker*innen bewegen können.
Die Briefe, die heute im Archiv in Ludwigsburg verwahrt sind, dokumentieren
intime Zwiegespräche zwischen Kußmaul und seinen Kollegen. Sie spiegeln ein
von kolonialem Denken geprägtes Afrika-Bild wider. Sie offenbaren ein
schwarz-weiß gezeichnetes Verhältnis von europäischer Hochkultur und
primitiver „Dritter Welt“: „Der Ruf nach Restitution, und das müsste
eigentlich einmal deutlich gesagt werden, ist so lange unbillig und auch
unmoralisch, als die betroffenen Länder nicht in der Lage sind oder gar
nicht einmal versuchen, ihre noch vorhandenen Bestände zu sichern und zu
erhalten“, so formulierte Kußmaul an das Auswärtige Amt.
Andreas Lommel aus München wollte gar die Rückgabeforderungen mit einem
„Zinsmoratorium von reichlich gegebener Entwicklungshilfe“ abwehren. Als
fiktives Grußwort setzte er unter seinen Brief: „Zum Dank für die
großzügige Hilfe stiften wir den Europäern einige Kunstwerke“.
Der Frankfurter Direktor Haberland sprach sich gegenüber dem Auswärtigen
Amt generös dafür aus, „dass man aus politischen wie moralischen Gründen
den Afrikanern gegenüber großzügig handeln sollte. Tatsächlich sind ja eine
ganze Reihe von ‚Kunstwerken‘, die indes nur einen winzigen Bruchteil der
gesamten Museumsbestände ausmachen, nicht immer legal erworben.“
## Ziel der Rückgabe als Selbstverständlichkeit
Doch die Museumsdirektoren handelten nicht nur präventiv. Die
Auseinandersetzung mit den Akten fördert Beispiele früher
Rückgabeforderungen seitens der Herkunftsländer zutage. Im Jahr 1976 wandte
sich ein Vertreter der nigerianischen Regierung an das Stuttgarter
Linden-Museum und bat um Auskünfte zu den Benin-Bronzen der Sammlung.
Deutlich früher, bereits Ende der 1960er Jahre, so hatte es Kußmaul
notiert, nehmen Vertreter des Landes Tansania Kontakt zum Museum auf.
Jahrzehntelang wurden Kontaktaufnahmen seitens der Herkunftsgesellschaften
verdrängt, die Rückgaben verweigert und das Interesse an einer Aufarbeitung
der [1][Kolonialgeschichte] enttäuscht. Die Einblicke in die Interna der
Kulturpolitik der 1970er und 1980er Jahre kontrastieren die heutige
gesellschaftliche Auseinandersetzung über den Umgang mit kolonialen
Kulturgütern und machen deren rasante Entwicklung deutlich.
Heute hat die Vielzahl der ethnologischen Museen mit dieser Haltung nichts
mehr gemein. Das Linden-Museum eröffnete im April dieses Jahres die neue
Dauerausstellung der Afrika-Abteilung. Hier wird der Unrechtskontext, in
dem die Sammlung entstand, unmissverständlich zum Thema gemacht. Das Haus
setzt auf Kooperationen mit Menschen aus den Herkunftsgesellschaften, eine
Summer School mit deutsch-namibischen Studierendengruppen ist geplant. Die
heutige Direktorin Inés de Castro förderte die Rückgabe der
[2][Witbooi-Bibel] und Peitsche durch das Land Baden-Württemberg im Februar
dieses Jahres maßgeblich.
Am vergangenen Montag veröffentlichte die Direktor*innenkonferenz der
deutschsprachigen ethnologischen Museen eine Stellungnahme zum Thema
Dekolonialisierung. Sie ist mit dem Dreischritt „Dialog, Expertise und
Unterstützung“ überschrieben. Dabei wird das Ziel einer Rückgabe von
Objekten, die aufgrund von Unrecht im Moment des Herstellens oder Sammelns
in die Museen gelangten – sofern dies von Vertreter*innen der
Urhebergesellschaften gewünscht werde – als Selbstverständlichkeit
gekennzeichnet.
12 May 2019
## LINKS
[1] /Debatte-um-deutsche-Kolonialgeschichte/!5548908
[2] /Delegationsreise-nach-Namibia/!5577096
## AUTOREN
Anna Valeska Strugalla
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