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# taz.de -- Bücher über die Raubgut-Debatte: Nur ja nichts falsch machen
> Ein Patentrezept für den Umgang mit ethnologischen Sammlungen in
> Deutschland gibt es nicht. Aber interessante Ansätze.
Bild: Ein Bild aus alten Zeiten: Südseeabteilung Ethnologisches Museum Dahlem,…
Ist zum Thema Großflughafen genug gespottet, fast alles gesagt worden, so
hält das Humboldt Forum im Berliner Schloss die Kulturpolitik, Feuilletons,
Museumsleute, politischen Aktivist:innen bei Verstand und Laune; es finden
Kongresse statt, erscheinen Artikel, Blogs, Bücher rund um den
Themenkomplex Kunst, Raubgut und Kolonialismus. Eine hochpolitische
Debatte, die, so ist zu hoffen, mit Eröffnung des Humboldt Forums nicht
leerläuft, sondern auf eine neue, fruchtbare Ebene gelangt.
Dort wird es zur Sache gehen: Welche der etwa 500.000 Objekte aus der
Sammlung des Ethnologischen Museums werden gezeigt? Was weiß man über sie,
was erzählt man über sie, und, vor allem, wie erzählt man das? Und was
passiert mit dem weit größeren Rest der Bestände? Bleibt er in den Depots,
vergilbt, verstaubt, vergiftet, oder wird es eine intensive
Provenienzforschung geben? Werden Restitutionen ermöglicht, und, wenn ja,
wie und an wen? Zwei aus dem vergangenen Jahr stammende Veröffentlichungen
zu dem Thema ergänzen sich, gerade weil ihre Autoren einen verschiedenen
Ansatz gewählt haben.
Beide Autoren, der deutsche Journalist Moritz Holfelder und der
US-Historiker H. Glenn Penny, sprechen sich, mit unterschiedlicher
Gewichtung, für Restitution aus. Ein Patentrezept haben sie nicht, kann es
nicht geben. In Deutschland herrscht in der Raubgut-Debatte ein eher
zielloser „Aktionismus“, stellt Holfelder fest. Er ist für die unbedingte
Rückgabe der Objekte – wo sie gefordert wird und wo sie möglich ist.
Restitution durch Zirkulation zu ersetzen, von Museum zu Museum, von Land
zu Land, ist seiner Meinung nach zu einfach. Eine solche Kooperation im
Sinne eines ideellen Austauschs favorisiert hingegen Glenn Penny: das
Museum als multinationale Forschungsstätte.
## Von der französischen Zensur verboten
Beide Autoren führen in die Vergangenheit zurück: Penny ins 19.
Jahrhundert, als Deutschlands ethnologische Sammlungen und Museen
entstanden, Holfelder in die Nachkriegszeit, wo es bereits ernsthafte
Bestrebungen gab, Objekte [1][aus kolonialen Beständen an ihre
Herkunftsländer] oder -gemeinschaften zu überführen. Wer erinnert sich
noch, dass sich die Vereinten Nationen in den 1970er Jahren bereits damit
beschäftigten und FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher sich schon 1982
für eine Rückgabepraxis starkmachte?
Es folgten Jahrzehnte des Stillstands. Moritz Holfelder steigt in seinem
Buch „Unser Raubgut. Eine Streitschrift zur kolonialen Debatte“ mit dem
Film von Alain Resnais und Chris Marker „Les statues meurent aussi“ (Auch
Statuen sterben) aus dem Jahr 1953 ein, einer 30-minütigen Bild- und
Tonsinfonie, die der Schönheit afrikanischer Skulpturen huldigt und die
ketzerische Frage stellte, warum diese im Musée de l'Homme und nicht im
Louvre ausgestellt werden. Der Film wurde von der französischen Zensur
verboten. Von ihm schlägt Holfelder einen Bogen zu der Rede von Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron in der Universität von Ouagadougou im November
2017, als er ankündigte, Kunstwerke aus den ehemaligen Kolonien
zurückzugeben.
Eine radikale Geste, die in Deutschland eine lebhafte Debatte bewirkte und
Frankreich einen Report bescherte, der – so meinen Kritiker:innen –
weitgehend folgenlos blieb. Von dieser Rede bis zur Erklärung der deutschen
Kultusminister im Frühjahr 2019 werden die wichtigsten Stationen der
Debatte bei Holfelder verhandelt, veranschaulicht anhand einzelner
Sammlungen, engagierter Museen und Persönlichkeiten. Er bezieht dabei Film,
Kunst und Wissenschaft ein.
## Die Angst der Kurator:innen
Holfelder ist journalistisch an das Thema herangegangen, er hat wichtige
ethnologische Museen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz besucht,
mit den Verantwortlichen gesprochen. Er stellt deren Sicht dar, deren
Visionen und Ambivalenzen. Wie etwa die die Münchner Museumschefin Uta
Werlich, die über ihre Zunft spricht und sagt: „Aus irgendeinem Grund habe
ich unglaubliche Ängste davor, wenn ich etwas zurückgebe.“ „Falle ich im
Ranking der Museen auf einmal weit zurück und bin bedeutungslos?“ Rückgabe
ist nicht gleich Rückgabe, sagt Holfelder später, sondern auch ein
juristisch komplizierter Prozess, der großen Reformbedarf hat. Denn jeder
Fall ist anders.
Ein Kapitel ist dem Humboldt Forum im Berliner Schloss gewidmet, das eng
mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) verbandelt und schon vor
seiner Eröffnung ein juristisch undurchsichtiges Konstrukt sei. Holfelder
entwirrt das institutionelle Geflecht und setzt Humboldt Forum,
Preußen-Nostalgie und den abwertenden Umgang mit dem kulturellen Erbe der
DDR zueinander in Bezug. Eine Leerstelle hinter historisierender Fassade,
aber auch ein möglicher Ort der Zukunft, des Dialogs.
## Sonderweg: deutsche Ethnologie
Auch H. Glenn Penny ist kein Fan des Humboldt Forums. Der US-Historiker hat
in den 1990er Jahren über die Geschichte des Berliner Völkerkundemuseums
promoviert und nun sein Wissen mit der aktuellen Diskussion über das
Humboldt Forum zusammengeführt. Dabei erfahren die Leser:innen erstaunlich
viel und Vergnügliches über die Geschichte der Berliner Sammlungen und der
deutschen Ethnologie, der Penny einen Sonderweg zuschreibt.
Auch er entrümpelt, indem er die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende
Wissenschaft von der Gleichsetzung mit der deutschen Kolonialzeit befreit.
Das wissenschaftliche ethnografische Sammeln habe deutlich vorher
eingesetzt.
Wo Holfelder das Gespräch mit den Akteuren von heute sucht, widmet sich
Penny den Forschern und Museumsdirektoren von damals – anhand ihrer
Reiseberichte, Schriften, Sammelaktivitäten. Vor allem Adolf Bastian kommt
als global vernetzter und leidenschaftlicher Forscher, Sammler und
Gründungsdirektor von Berlins erstem Völkerkundemuseum fast etwas
heldenhaft weg.
Penny zeichnet Bastians Weg „im Schatten Humboldts“, so der Titel des
Buchs, als Tragikomödie nach – auch wenn er ihn selbst als „tragische
Geschichte der deutschen Ethnologie“ versteht, wie der Untertitel nahelegt.
Leidenschaftlich schrieb Bastian gegen die Unterteilung in Natur- und
Kulturvölker an. Sein Bestreben galt einem Archiv der
Menschheitsgeschichte, davon ausgehend, dass alle Menschen gleich, aber
kulturell unterschiedlich geprägt sind.
## Sammelwut und Sammelwahn
Er hoffte, so viel wie möglich an materiellen Zeugnissen zu retten, die
durch den Kolonisierungsschub noch nicht zerstört waren. Dass sich Bastian
und sein Nachfolger Felix von Luschan dabei ohne Bedenken der Strukturen
der deutschen Kolonialverwaltung bedienten, übergeht der Autor nicht.
Allerdings entgeht ihm, dass dieser Praxis des „Hypersammelns“ eine
Vermessenheit oder Größenwahn innewohnte. Es ist die wissenschaftliche
Neugierde, der kollektive Prozess des Forschens, den der Autor als Ansatz
für heute gern fruchtbar machen würde.
Bastians ursprüngliche Vision eines Archivs der Gesamtmenschheit, in dem
geforscht, verglichen werden, Wissensaustausch stattfinden sollte,
verkehrte sich übrigens in ihr Gegenteil: Um die rasant wachsende Sammlung
zeigen zu können, trieb er den Bau des Völkerkundemuseums in Berlin voran,
das 1886 eröffnet, sehr bald viel zu klein und als Rumpelbude verspottet
wurde. Letztlich führte seine Sammelwut zu einer Aufspaltung der Sammlung:
im Museum die auf Exotika setzende Schau, in den Magazinen der große Rest,
bis heute teilweise ungesichtet und nicht benutzbar.
## Internationale Regelungen sind fällig
Öffnet die Magazine, investiert Geld in ihre Entwesung und digitale
Erfassung, macht die Museen und allen voran das Humboldt Forum zu Orten des
Forschens und des Dialogs, dies fordern sowohl H. Glenn Penny wie Moritz
Holfelder. Löst euch von der Idee von Dauerausstellungen, macht eure
Schätze in Schaudepots zugänglich; schafft Stellen, Stiftungen, fördert die
Provenienzforschung, übernehmt Verantwortung. Allerdings ist Glenn Penny in
seiner Rolle als Historiker auf das (Berliner) Museumsmodell fokussiert.
Wesentlicher als Rückgabe ist ihm der Wissensaustausch. Wie der auf
Augenhöhe stattfinden soll, führt er allerdings nicht abschließend aus. Er
wünscht sich in Berlin-Dahlem, wo sich die Depots der Ethnologischen
Sammlung befinden werden, einen Wissenschaftscampus mit internationaler
Beteiligung. Das hat Charme.
Holfelder hat sich darüber hinaus andere Museen angeguckt, die teilweise
schon weiter sind als das noch vor seiner Eröffnung an Ansprüchen,
restaurativer Architektur und inneren Widersprüchen erstickende Humboldt
Forum. Er plädiert für eine Umkehrung der Perspektiven, für neue
Ausstellungskonzepte und Interventionen zeitgenössischer Künstler:innen aus
aller Welt. Er zieht dabei in Betracht, dass in Zeiten der Globalisierung
ihre Positionen längst Teil des globalen Migrationsprozesses und
Kunstmarktes sind.
Holfelders „Streitschrift“ streitet für etwas: die Aufarbeitung des
Kolonialismus. Seiner Ansicht nach braucht es dafür internationale
Regelungen nach Art der Washingtoner Erklärung von 1998 für NS-Raubgut. Und
er fragt: Wie geht Restitution weiter, was passiert danach? Es geht gerade
erst los.
26 Mar 2020
## LINKS
[1] /Delegationsreise-nach-Namibia/!5577096
## AUTOREN
Sabine Seifert
## TAGS
Ethnologie
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