# taz.de -- Reise in eine freundliche Diktatur: Wir sind Kolonialisten | |
> In Togo, dem kleinen Land im westlichen Afrika, stößt man auf deutsche | |
> Kolonial- und Postkolonialgeschichte. Eine Fahrt in den Norden. | |
Bild: Geschäftsfrauen auf dem Markt von Lomé | |
Auf der Hauptstraße in Lomé, die den Namen Charles de Gaulles trägt, fragt | |
mich ein Mann in ärmlicher Kleidung, was denn die Deutschen über die | |
gegenwärtige politische Situation in Togo denken würden. Ich werde still, | |
brauche eine Weile, um nachzudenken: „Nichts“, sage ich, „Sie haben euch | |
vergessen, die deutsche Kolonialzeit, die dubiose Rolle von Franz Josef | |
Strauß und die Erfolge eurer Fußballmannschaft.“ Danach fasse ich den | |
Fremden vorsichtig am Arm und frage, ob wir eine Cola trinken gehen. Es ist | |
heiß und schwül, die Luftfeuchtigkeit in der Hauptstadt liegt bei über 80 | |
Prozent. | |
In einer kleinen Bretterbude sitzen wir im Schatten und schauen auf die | |
Kathedrale Sacré-Cœur, die im Jahre 1906 während der Kolonialzeit errichtet | |
und eingeweiht wurde. Die Deutschen seien einfach freundlichere | |
Kolonialisten gewesen, sagte mein Bekannter, sie hätten weniger geschlagen, | |
eine Eisenbahn gebaut, die Stammessprachen gelernt und in Ewe oder Kabiye | |
die Kinder Togos unterrichtet. Ich frage nach Franz Josef Strauß, nach ihm | |
wurde eine Straße gleich um die Ecke benannt. Ich sehe den abschätzigen | |
Blick meines neuen Freundes und erlebe ein weiteres Mal, dass da einer in | |
Togo mehr über die deutsche Geschichte weiß als der Normalbürger auf dem | |
Ku’damm in Berlin. | |
Am 13. Januar 1963, exakt drei Jahre nach der Ermordung des frei gewählten | |
Sylvanus Olympio, wird sein Mörder Präsident der Republik. Gnassingbé | |
Eyadéma bleibt 38 Jahre im Amt, bis ihm sein Sohn im Jahre 2006 folgt. Das | |
ist eine bittere Bilanz für die Demokratie. Wie kein anderer deutscher | |
Politiker hat der Ministerpräsident von Bayern in die togoische Politik | |
eingegriffen und die Familie Gnassingbé zu einer Königsfamilie gemacht. | |
Insgesamt 600 Millionen DM sind über die entwicklungspolitischen | |
Organisationen, die Hanns-Seidel-Stiftung oder die Familie Strauß nach Togo | |
geflossen. Bis heute bildet die Seidel-Stiftung in Togo Polizisten aus, | |
lassen sich ihre Repräsentanten togoische Orden verleihen und halten | |
Kontakt zum Chef des Geheimdienstes Massina Yotroféï. | |
Nach dem Tod von Strauß, dem Ende einer bayerisch-togoischen | |
Männerfreundschaft, reduziert sich die Unterstützung und die Zahlungen der | |
Bundesrepublik, auch in Folge der Suspendierung der Kooperation der | |
Europäischen Union mit Togo. Die Jahre 1993 bis 2007 werden magerer. | |
Mit der Wiederaufnahme der deutschen Entwicklungspolitik 2011, der | |
Errichtung eines Landesbüros der GIZ (Gesellschaft für Internationale | |
Zusammenarbeit), versucht vor allem die Gnassingbé-Administration die | |
Beziehungen zu Deutschland und Bayern zu intensivieren. So sagte Faure | |
Gnassingbé bei seinem Staatsbesuch in Deutschland 2016: „Es gibt da eine | |
Verbundenheit zwischen unseren Ländern [gemeint sind Bayern und Togo, die | |
Red.], die lässt sich nicht zerstören.“ | |
Kommt man heute nach Lomé, so fällt auf, dass viele Straßen saniert sind | |
und der Hafen ungeheuer floriert. Auf dem Meer liegen Dutzende von Schiffen | |
vor Anker und warten darauf, abgefertigt zu werden. Die Straßen und die | |
Infrastruktur haben die Chinesen in die Hand genommen und der Hafen gehört | |
dem Bretonen Vincence Bolloré. Die Armen bekommen vom Aufstieg nichts ab, | |
das Land ist auf dem Index der menschlichen Entwicklung (HDI) von 189 | |
gezählten Ländern auf Platz 166 notiert. | |
Der Sandstrand, der Lomé zum Meer abgrenzt, ist glühend heiß. Das Baden ist | |
wegen der Brandung und der starken Strömung unmöglich. Kurz vor der | |
Grenzstation nach Ghana liegen die alten Paläste der deutschen Kaiser, die | |
frisch restauriert wurden, und dort ist auch die deutsche Botschaft mit | |
einem groß angelegten wunderschönen Park. | |
Der Botschafter versichert, soweit es ihm möglich sei, auf | |
Menschenrechtsverletzungen zu achten, und er beichtet, selbst einmal Teil | |
der deutschen Friedensbewegung gewesen zu sein. Die Offenheit gegenüber den | |
togoischen Schriftstellern und Theaterleuten, die er gelegentlich in die | |
Botschaft einlädt, ist nicht gespielt. Er tut, was er kann, das ist mehr, | |
als andere tun. | |
Auch der unerfahrene Afrika-Tourist kann die Stadt Lomé gefahrlos | |
besuchen. Das Hotel Ecole LéBénin wurde verstaatlicht und ist ein sicherer | |
Ort mit Ausblick zum Meer für 96 Euro im Doppelzimmer. Von dort aus kann | |
man durch die Stadt streifen, die Kathedrale, das Höchste Gericht, den | |
Markt oder das Nationalmuseum besuchen. | |
Es ist ein verlassener Ort, dieses Museum. Neben Tierbildern und | |
Voodoo-Trophäen hängen die Bilder der deutschen und französischen | |
Gouverneure an der Wand. Aber dann ein ganz anderes Porträt, schmal und | |
klug, ja vornehm schaut uns Sylvanus Olympio an. Er hatte viel vor, vor | |
allem interessierte ihn das Projekt Demokratie in Afrika. Jetzt hängt das | |
Bild seines Mörder neben ihm im Museum: Eyadéma, der große Diktator, der | |
Freund der Deutschen, der Erbe des Kolonialismus, der große Jäger, nach dem | |
sein Sohn jetzt auch den Flughafen benannt hat. | |
Ich will in den Norden, wo unlängst Aufstände waren. Es gab Tote und die | |
Demonstranten, die für eine Demokratisierung kämpften, sind allein | |
geblieben und in die Wälder geflohen. Deutschland und Europa haben dazu | |
geschwiegen. Zugleich ist Sokodé ein Zentrum des Kinderhandels. Seit | |
Jahrzehnten werden vor allem aus den Departements Central und Kara Kinder | |
entführt, gelockt mit Versprechungen nach Bildung und einem guten | |
Verdienst. Arme Familien werden überredet, ihre Kinder wegzugeben, andere | |
werden von der Straße oder aus den Schulen geraubt und landen zu Hunderten | |
in arabischen Ländern als Arbeits- und Sexsklaven, bar aller islamischen | |
Glaubenssätze. | |
Andere findet man auf den Feldern von Niger, Burkina Faso oder in reichen | |
Familien in Nigeria. Die Staaten schweigen. Die französische Botschaft | |
leugnet das Problem, mittlerweile hat Plan International ein Büro in Sokodé | |
eröffnet. Mein togoischer Freund und Kameramann, der mich begleitet, kennt | |
betroffene Familien und zurückgekehrte Kinder, auch eine der | |
Entführerinnen. | |
Die Stadt Sokodé liegt etwa 280 Kilometer weiter im Norden Togos, vorbei an | |
den Städten Notsé und Atakpamé, vorbei am Mont Agou, dem höchsten Berg des | |
Landes mit 905 Metern, fahren wir durch die Hitze, halten in kleinen | |
Dörfern, trinken oder rauchen, sprechen mit den Menschen darüber, was die | |
Deutschen über sie denken, und erwerben nach zweistündigen Verhandlungen | |
eine SIM-Karte von Togo Cell, dem staatlichen Anbieter, der das Land gelb | |
färbt mit Plakaten und T-Shirts, kleinen Büros und Agenten, die alle auf | |
ein paar Cents hoffen. | |
Es leben etwa 7, 5 Millionen Togolesen auf der Welt, knapp 40 Prozent sind | |
Katholiken und Protestanten, die Religionen des Voodoo, der Yoruba oder Ga | |
sind weit verbreitet, oft nicht einmal im Gegensatz zum praktizierten | |
Christentum. | |
Je weiter man nach Norden kommt, desto stärker ist der Anteil | |
islamisch-gläubiger Menschen, aber an der Küste nach Benin, Richtung | |
Togoville, sind die Zentren des Voodoo. Verlässt man Lomé, den dichten | |
Verkehr, den Gestank, vorbei an den Werken von Heidelberg Zement und dem | |
großen Hafen, der dem Franzosen Vincent Bolloré gehört, so folgt man lange | |
den Bahngleisen, der Strecke, die die Deutschen gebaut haben und die 1995 | |
stillgelegt wurde. | |
520 Kilometer bis in den Norden, was für eine Chance wäre das für die arme | |
Bevölkerung, ihr Gemüse und Obst verkaufen zu können, einen Binnenmarkt zu | |
erschließen, aber die Politik hat anders entschieden. Durch Nichtstun hat | |
das korrupte Regime die Straße den internationalen Speditionen freigegeben. | |
Die Bahngleise werden marode und mitten in Lomé gammeln in einer Halle | |
wunderschöne alte Lokomotiven vor sich hin. | |
Nach Norden kommend werden die Straßen schlechter, das Aufkommen an Militär | |
nimmt zu. Es gibt Hinweise auf die einzige Elefantenherde, die Togo noch zu | |
bieten hat. Wir sehen nur Ziegen und einige Kühe. Wir sehen die Schulen, | |
die keine Türen haben und die Kinder in ihren Uniformen: blau, gelb, lila. | |
Die Farbe Lila. Man kann Afrika nur verstehen, wenn man es lieben lernt, | |
und es ist so leicht, dort die Liebe zu entdecken, aber es fällt so schwer | |
zu verstehen, woher die Willkür kommt. | |
Die Felder sind grün, die Früchte wachsen, nur die Kühe sind dünn. Wir | |
biegen ab von der Rue national 1 in Atakampé, über Hieto in Richtung Badou, | |
Wawa, und in kurzer Zeit sind wir in den Bergen: Urwälder, immer noch | |
Felder, Regen fällt, Kinder winken, unser Auto ist ein Zoo und wir Weiße | |
sind zum Anschauen, manchmal auch zum Anfassen. | |
Wir wollen mit einer Drohne die Landschaft bildlich einfangen und suchen | |
nach versteckten Wegen, aber flugs landen wir im Niemandsland, wo eine | |
Schule ist: kein Strom, der Lehrer sieht aus wie ein großer Junge. Er | |
erzählt uns von seinem Alltag, zeigt uns seine Kinder, wir sind echte | |
Kolonialisten, wir haben Taschenmesser dabei und bei allen Skrupeln | |
verschenken wir einige davon. Die Scham hält sich in Grenzen. | |
Mit der ausgestreckten Hand zeigt er uns ganz hinten, wo die Giraffen sind, | |
aber wir werden sie niemals finden. Togo fängt erst nach Lomé an, Togo zu | |
sein, es wird ärmer, kein Zweifel, aber in den Bergen ist eine andere | |
Freiheit und eine Zuneigung den Fremden gegenüber: ohne Ausnahme. Die | |
Straßen sind gesperrt, aber mit einem Trick lässt uns der Soldat passieren, | |
und so erreichen wir doch noch den Tomégbé-Wasserfall. | |
Etwa 60 Kilometer nach Süden hat eine junge Italienerin ein Waisenhaus für | |
Kinder mit Handicap aufgebaut, alles ökologisch, der Pflanzenanbau, das | |
Holz, und es gibt Photovoltaik. Es sind kleine | |
Nichtregierungsorganisationen aus Europa und der Schweiz, die völlig | |
unkoordiniert sind, aber dennoch Projekte in Togo unterhalten. | |
Aus Schaffhausen am Rhein kommen die ehrenamtlichen Helfer von Togo Assist; | |
sie bauen Bäckereien, Schreinereien und Ambulatorien auf. Der Verein | |
Theater in Afrika finanziert Theatergruppen, die über das Land reisen und | |
die Menschen zusammenführen. So auch in Sokodé. Bevor wir die Stadt wieder | |
erreichen, gibt es eine Polizeikontrolle nach der anderen: Sie winken uns | |
durch, manchmal hätten sie gern ein Geschenk. Wenn es ausbleibt, bleiben | |
sie freundlich: Weißsein ist ein Privileg. | |
8 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Christoph Nix | |
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