# taz.de -- Deutscher Kolonialismus: Gerson Liebls letzter Trumpf | |
> Weil sein Großvater Deutscher war, kämpft Gerson Liebl aus Togo seit | |
> Jahren für seine Einbürgerung. Jetzt hat er ein historisches Dokument | |
> gefunden. | |
Bild: Hat einen Sohn, der Deutscher ist, einen deutschen Großvater, soll aber … | |
Gerson Liebl lässt sich nicht klein kriegen. Seit 1991 versucht der Mann | |
aus Togo deutscher Staatsbürger zu werden – vergeblich. Dabei hat er einen | |
deutschen Großvater: Fritz Liebl, seines Zeichens Stabsarzt in der Armee | |
des Kaisers im damaligen „Schutzgebiet“ Togo. Doch weil Liebls Großeltern | |
keine nach deutschem Recht geschlossene Ehe führten und bis 1963 nur | |
eheliche Kinder von deutschen Vätern per Geburt Deutsche waren, wurde | |
Liebls Antrag auf Einbürgerung abgelehnt. [1][2009 wurde er – nach 18 | |
Jahren in Deutschland – sogar nach Togo abgeschoben]. | |
Nun ist er zurück. Sein Sohn ist inzwischen Deutscher geworden und Liebl | |
hat eine Aufenthaltserlaubnis wegen Familiennachzug beantragt. Aber auch | |
das hat bislang nicht geklappt: Die Berliner Ausländerbehörde lehnte den | |
Antrag ab, der Fall liegt nun beim Verwaltungsgericht. | |
„Notfalls gehe ich bis zum Europäischen Gerichtshof“, sagt Liebl beim | |
Gespräch in einem Café. Der leicht ergraute 57-Jährige sieht müde aus um | |
die Augen. Doch sobald er anfängt zu erzählen, wirkt er hellwach und | |
kämpferisch. Routiniert haut er einem die Paragrafen um die Ohren, selbst | |
komplizierte Worte wie „Widerspruchsbescheid“ gehen ihm flüssig über die | |
Lippen. „Ich bin in meinem Land hier, habe rechtmäßig meinen Namen. Sie | |
müssen mir mein Recht geben“, sagt er. | |
Der zu Grunde liegende Sachverhalt ist unstrittig und so außergewöhnlich, | |
dass viele Medien, [2][auch die taz, seinerzeit über den Fall berichteten]: | |
Friedrich, genannt Fritz, Liebl aus Straubing in Bayern war Arzt bei den | |
deutschen Kolonialtruppen in Togo und heiratete 1908 nach dortigem | |
„Stammes“-Recht Edith Kokoé Liebl, geborene Ajavon – eine | |
„Häuptlingstochter“. Ihr Vater vollzog die Trauung. | |
## Traditionell geschlossene Ehe | |
Am 26.Januar 1910 wurde Jean Johann Liebl geboren, der Vater von Gerson. | |
Später ging Fritz nach Bayern zurück, heiratete dort erneut und bekam | |
weitere Kinder. Eines davon besuchte sogar seinen Halbbruder Jean Johann in | |
Togo auf dessen Sterbebett. Gerson, geboren 1962, war damals ein kleiner | |
Junge. | |
Durch die deutsche Verwandtschaft neugierig geworden auf die Heimat seines | |
Großvaters kam Liebl 1991 als gelernter Goldschmied nach Deutschland. Aus | |
Ahnungslosigkeit, wie er heute sagt, beantragte er Asyl. Das bekam er zwar | |
zunächst, wenig später wurde es ihm aber wieder aberkannt. | |
Für Liebl – er lebte damals in Pirmasens (Rheinland-Pfalz) – schien das | |
nicht wichtig, er hatte 1992 ohnehin die Einbürgerung beantragt. Auch als | |
die abgelehnt wurde, gab er nicht auf, brachte immer neue Dokumente aus | |
Togo, die die traditionell geschlossene Ehe seiner Großeltern bezeugten. | |
Doch die Behörden blieben hart: ohne offizielle deutsche Heiratsurkunde | |
keine Anerkennung. Liebl klagte sich durch alle Instanzen, ohne Erfolg. | |
Merkwürdigerweise bekam Liebls Bruder, Rodolf Dovi Liebl, der in Lomé | |
(Togo) gleichzeitig mit denselben Unterlagen einen Antrag stellte, 1996 | |
tatsächlich einen deutschen Pass. Allerdings wurde ihm dieser nach sechs | |
Monaten wieder aberkannt – wohl rechtswidrig, wie Gersons damaliger Anwalt | |
Konstantin Thun 2001 in einem Dokumentarfilm („Der Fall Liebl“) sagte. Und | |
vermutlich deshalb, weil er diesen für die Behörden „lästigen“ Bruder in | |
Deutschland hatte. | |
## Rassistische Gesetze | |
Das Perfide an der Sache: Deutsche und Togoer konnten während der deutschen | |
Kolonialherrschaft gar nicht nach deutschem Recht heiraten! Dafür hätte es | |
laut damaligem „Schutzgebietsgesetz“ (dem Gesetz für die Kolonien) eine | |
kaiserliche Verordnung gebraucht – die nie ergangen ist. Die deutschen | |
Behörden stützten ihre Ablehnung des Einbürgerungsantrags also auf eine | |
rassistische Gesetzgebung, die aus heutiger Sicht nur als unrechtmäßig | |
bezeichnet werden kann. | |
Weil das Ganze offenkundig unmenschlich war und sich viele Menschen für die | |
Liebls einsetzten – Gerson hatte 1994 seine Frau Ginette, ebenfalls aus | |
Togo, geheiratet, 1999 wurde Sohn Gergi geboren – bekam das Ehepaar 2003 | |
vom Land Rheinland-Pfalz ein Bleiberecht zugesprochen. Die Familie zog nach | |
Straubing, die Heimat des Großvaters, Liebl arbeitete als | |
Gabelstaplerfahrer bei einer Zeitarbeitsfirma. | |
2008 beantragte er eine unbefristete Niederlassungserlaubnis und einen | |
Reisepass für Ausländer. Für die Deutschen blieb er allerdings weiter | |
Togoer, man sagte ihm, er solle sich bei der Botschaft einen Pass besorgen. | |
Von den dortigen Behörden jedoch bekamen er und seine Frau keine Pässe. Das | |
sei bis heute so, sagt Liebl: „Für die Togoer sind wir wegen meiner | |
Vorfahren nämlich Deutsche.“ | |
Frustriert gingen die Liebls nach Berlin und versuchten einen Neuanfang. | |
Ihren Sohn Gergi meldeten sie auf einer Neuköllner Schule an. Bei einem | |
Termin im Jobcenter Hellersdorf wurde Liebl jedoch verhaftet, weil er von | |
der Straubinger Ausländerbehörde gesucht wurde. Er kam in Abschiebehaft. | |
Dort machte man ihm ein Angebot: Er solle einen Antrag stellen, um über | |
eine „Altfall-Regelung“ eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Doch Liebl | |
misstraute den Behörden, vermutete, dass er damit seine Ansprüche aufgeben | |
würde – und lehnte ab. Im Februar 2009 wurde er abgeschoben. Ehefrau | |
Ginette und Sohn Gergi durften nach langem Bangen als „Härtefälle“ bleibe… | |
## „Mein Gott ist meine Spur“ | |
Die Jahre in Togo waren „die Hölle“, sagt Liebl heute. Kein Geld, immer in | |
Gedanken bei der Familie in Berlin und dem Unrecht, das ihm widerfahren | |
ist. Nur seine Unterstützer hier wie dort und sein unerschütterlicher | |
katholischer Glaube hielten ihn am Leben: „Mein Gott ist meine Spur“, sagt | |
er. | |
Tatsächlich führte die Spur wieder nach Deutschland: Ein Unterstützer von | |
Liebl in Nürnberg bekam im Juni 2016 Post von der Berliner Innenverwaltung: | |
Gergi würde bald eingebürgert, seinem Vater stünde es frei, „einen Antrag | |
auf Einreise im Wege einer Familienzusammenführung zu stellen“. | |
Liebl war außer sich vor Freude. Doch erst musste er sparen für die Reise. | |
Im Mai 2017 beantragte er bei der deutschen Botschaft in Lomé ein Visum und | |
einen Reisepass für Ausländer. Er bekam beides – allerdings nur mit einer | |
Befristung bis Weihnachten 2017. Dann würde sein Sohn volljährig werden – | |
und damit erlösche Liebls Anspruch auf Familienzusammenführung, wie die | |
Botschaft schrieb. | |
Am 1. Dezember 2017 reiste Liebl ein. Am 8. ging er zur Berliner | |
Ausländerbehörde und beantragte eine Verlängerung seines Reiseausweises | |
sowie einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Bis Weihnachten ging er noch | |
zwei Mal zum Amt, gab Briefe per Einschreiben ab. | |
## Kein Togoer mehr | |
Im April 2018 kam jedoch die Ablehnung. Wieder glaubte man ihm nicht, dass | |
er keinen Pass von Togo bekommt – nur dann stünde ihm ein Reisepass für | |
Ausländer zu. Liebl widerspricht: „Die togoischen Behörden haben mir | |
bestätigt, dass sie mich nicht als Staatsbürger akzeptieren. Ich habe die | |
entsprechenden Papiere beigelegt.“ | |
Eine Niederlassungserlaubnis bekam er auch nicht: Er habe ja nicht einmal | |
einen gültigen Aufenthaltstitel, heißt es im Bescheid – und seinen | |
Lebensunterhalt könne er ja derzeit wohl auch nicht alleine sichern. „Wie | |
auch – ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis?“, fragt Liebl bitter. Zudem | |
müsse er noch die Kosten seiner Abschiebung bezahlen, schreibt die | |
Ausländerbehörde, eine Rechnung von über 20.000 Euro lag bei. | |
Liebl legt Widerspruch ein. Am 20. Februar diesen Jahres lehnt die | |
Ausländerbehörde auch den Widerspruch ab, Liebl zieht vor Gericht. Aber es | |
sieht nicht gut aus: Seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe und vorläufigen | |
Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht Ende April abgelehnt. Im Beschluss | |
dazu wiederholt das Gericht die Behauptung der Ausländerbehörde, Liebl sei | |
den Nachweis, dass es für ihn unmöglich sei, einen togoischen Pass zu | |
bekommen, „bisher schuldig geblieben“. | |
Ein Eisen hat Liebl jetzt noch im Feuer. Erneut hat er einen Antrag auf | |
Einbürgerung gestellt, diesmal beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg – | |
die Familie lebt in Friedrichshain. Dafür habe er einen neuen „Beweis“, | |
wie er sagt, eingebracht: eine sogenannte „Mulattenliste“. | |
## Deutsche führten „Mulattenlisten“ | |
Diese Listen wurden im Togo der Kolonialzeit seit 1905 geführt. Mit ihnen | |
habe die Verwaltung die Väter zu Unterhaltszahlungen veranlasst, wie der | |
Historiker Peter Sebald schreibt: Durch die Listen „wuchs der moralische | |
Druck der afrikanischen Bevölkerung auf die deutsche Verwaltung, | |
reglementierend einzugreifen“, wenn deutsche Väter von sogenannten | |
„Mischlingskindern“ sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern wollten. | |
Sebald, Experte für deutsche Kolonialgeschichte in Togo, der voriges Jahr | |
in Berlin verstarb, war mit Liebl bekannt und hat ihn in seinem Kampf | |
unterstützt, wie ein Bericht von Cosmo TV deutlich macht. Und er fand wohl | |
tatsächlich den Namen „Regierungsarzt Dr. Liebl“ auf einer solchen Liste, | |
dazu den Vermerk „zahlt für Mutter/Kind 1.000 Mark für Unterhalt und | |
Erziehung“. So steht es in einem zweiseitigen Schreiben, das der taz | |
vorliegt und das Liebl von Sebald bekommen haben will. | |
Damit, so Liebl, könne er nun endlich beweisen, dass sein Großvater den | |
Sohn rechtlich anerkannt hat – und dass die deutschen Behörden davon auch | |
wussten. „Das ist mein Hammer“, sagt der Unermüdliche. Und prophezeit: | |
„Früher oder später wird Gerson Liebl Deutscher sein.“ | |
7 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /!5167547/ | |
[2] /Archiv-Suche/!5167609&s=Gerson+Liebl/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
## TAGS | |
Deutscher Kolonialismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Staatsbürgerschaft | |
Togo | |
Deutscher Kolonialismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gerson Liebl streitet für deutschen Pass: Koloniales Unrecht wirkt bis heute | |
Gerson Liebl geht in Berufung: Ihm wird der Pass verweigert, weil seine | |
Großeltern wegen rassistischer Gesetze der Kaiserzeit nicht heiraten | |
durften. | |
Folgen des deutschen Kolonialismus: Er streitet für sein Recht | |
Gesetze aus Kaiserzeiten wirken nach, zeigt der Fall Gerson Liebl. Erneut | |
weist ein Gericht seine Klage auf deutsche Staatsbürgerschaft ab. | |
Reise in eine freundliche Diktatur: Wir sind Kolonialisten | |
In Togo, dem kleinen Land im westlichen Afrika, stößt man auf deutsche | |
Kolonial- und Postkolonialgeschichte. Eine Fahrt in den Norden. | |
Folgen des deutschen Kolonialismus: Gerson Liebl klagt an | |
Seit fast 30 Jahren versucht der Nachfahre eines deutschen Kolonialbeamten | |
Deutscher zu werden. Jetzt ist er im Hungerstreik. | |
Abschiebung nach Togo verhindert: Die Liebls dürfen bleiben | |
Im letzten Moment wendet die Berlin die Abschiebung von Ginette und Gergi | |
Liebl nach Togo ab. Die Flugnummer stand schon fest. Jetzt hofft die | |
Familie auf ein dauerhaftes Bleiberecht. | |
Auswüchse deutscher Bürokratie: Abschiebung statt Klassenfahrt | |
Weil ihm ein Stempel aus der Kaiserzeit fehlte, wurde der deutschstämmige | |
Gerson Liebl nach Togo abgeschoben. Nächste Woche sollen ihm Frau und Sohn | |
folgen. | |
Streit um Staatsangehörigkeit: Frau Liebl darf bleiben | |
Gerson Liebl wurde nach Togo abgeschoben, weil Behörden nicht anerkannten, | |
dass sein Großvater deutsch war. Nun verurteilt ein Gericht auch Ehefrau | |
Ginette, weisst sie aber nicht aus. | |
Kommentar Liebl-Urteil: Recht herzlos | |
Die Geschichte der Liebls zeigt, wie starr, herzlos und blind gegenüber | |
Individualschicksalen das deutsche Ausländerrecht ist. | |
Abschiebung von Gerson Liebl: "Das ist rassistisch" | |
Weil Gerson Liebls Großvater eine Einheimische aus Togo heiratete, wird | |
seine Staatsbürgerschaft heute nicht anerkannt - schuld ist ein Gesetz von | |
1913. Ein Vertrauter von Gerson Liebl übt Kritik an den Behörden. | |
Deutschtogolese kämpft um Staatsbürgerschaft: Deutschland schiebt Deutschen ab | |
Gerson Liebl hat seinen 18 Jahre währenden Kampf um die deutsche | |
Staatsbürgerschaft verloren. Am Dienstag wurde er abgeschoben, dies droht | |
nun ebenfalls seiner Familie. | |
Kommentar Abschiebung: Weil es nicht um Weiße geht | |
Gerson Liebl wurde nach 18 Jahren aus Deutschland abgeschoben. Spricht aus | |
diesem Akt etwas anderes als Rassismus? |