# taz.de -- Folgen des deutschen Kolonialismus: Er streitet für sein Recht | |
> Gesetze aus Kaiserzeiten wirken nach, zeigt der Fall Gerson Liebl. Erneut | |
> weist ein Gericht seine Klage auf deutsche Staatsbürgerschaft ab. | |
Bild: Gerson Liebl würde gerne Deutscher sein – und kämpft dafür seit Jahr… | |
BERLIN taz | Wieder hat Gerson Liebl verloren: Seit 30 Jahren kämpft der | |
Mann aus Togo für einen deutschen Pass mit dem Argument, dass er einen | |
deutschen Großvater hatte, der in der Kolonialzeit Beamter im „deutschen | |
Schutzgebiet“ war. Wiederholt hat er deswegen deutsche Behörden verklagt – | |
aktuell wollte er das Land Berlin dazu verdonnern, ihm einen deutschen | |
Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen. Ein solches Dokument bekommen im | |
Ausland lebende Deutsche als Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit. | |
Doch diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht am Montag ab. Zwar gab | |
Richter James Bews in der mündlichen Verhandlung zu, dass die Gesetze aus | |
der Kaiserzeit „selbstverständlich rassistisch“ waren. Dies sei aber „f�… | |
die Beurteilung der Rechtslage nicht erheblich“, führte er aus. „Politisch | |
haben Sie Recht“, sagte er zu Liebl, „rechtlich nicht. Ich kann kein | |
politisches Urteil fällen.“ | |
[1][Der Fall Liebl] ist von öffentlichem Interesse, weil er exemplarisch | |
zeigt, welche Probleme sich aus der kolonialen Vergangenheit Deutschlands – | |
samt den entsprechenden Gesetzen – bis heute ergeben. Immer wieder stellt | |
sich etwa die Frage, wie man mit Gesetzen umgeht, die aus heutiger Sicht | |
inakzeptabel sind. | |
## Nach „Stammes-Recht“ | |
Friedrich Liebl, ein Arzt aus Straubing, war 1909 in Togo stationiert, | |
hatte dort nach „Stammes-Recht“ Edith Kokoé geheiratet, die von ihm ein | |
Kind erwartete. Eine „Fraternisierung“ dieser Art war offenbar weit | |
verbreitet, die Kolonialverwaltung führte nämlich sogenannte | |
„Mulattenlisten“, auf denen die Kinder deutscher Beamter verzeichnet waren | |
sowie der Unterhalt, den sie den Müttern zu zahlen hatten. Auch ein | |
„Regierungsarzt Dr. Liebl“ kommt darin vor, dazu der Vermerk: „zahlt für | |
Mutter/Kind 1.000 Mark für Unterhalt und Erziehung“; die taz konnte die | |
Dokumente im Bundesarchiv einsehen. | |
Nach deutschem Recht heiraten konnten Liebl und Edith Kokoé nicht: | |
„Mischehen“ waren in der Kolonialzeit nicht erwünscht und die damaligen | |
Gesetze daher darauf angelegt, sie zu verhindern, wie auch Richter Bews am | |
Montag die Sachlage zusammenfasste. Gleichzeitig galt jedoch bis 1963, dass | |
nur „eheliche Kinder“ von Deutschen per Geburt Deutsche waren. Dieses | |
Gesetz von 1894 sei also ein rassistisches Gesetz gewesen, sagte Liebl vor | |
Gericht erbost. „Ja“, antwortete der Richter. Aber wie sei es möglich, | |
setzte Liebl nach, „ein rassistisches Gesetz anzuwenden“? Eine Antwort | |
blieb Richter Bews ihm schuldig. | |
Liebls Kampf begann 1991. Damals kam er nach Deutschland, um den deutschen | |
Teil seiner Familie kennen zu lernen. Er beantragte zunächst erfolglos | |
Asyl, später die deutsche Staatsbürgerschaft. In verschiedenen | |
Gerichtsprozessen brachte er seither immer neue Argumente ein. Mit den | |
Jahren wurde er Experte in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht, fand | |
Unterstützer wie den Historiker Peter Sebald, der für Liebl in einem Archiv | |
die „Mulattenlisten“ fand. Mehrere Historiker schrieben Gutachten über | |
koloniales (Un-)Recht, Lokalpolitiker setzten sich für ihn ein, verfassten | |
Petitionen. Auch ein Film wurde über Liebl [2][gedreht.] | |
## Bis heute nur eine Duldung | |
Es half alles nichts: [3][2009 wurde der gelernte Goldschmied – nach 18 | |
Jahren in Deutschland – nach Togo abgeschoben]. Seine | |
Unterstützer*innen und er gaben jedoch nicht auf und tatsächlich | |
durfte er 2017 zurückkommen: Sein Sohn war Deutscher geworden, auch seine | |
Frau – ebenfalls aus Togo – hatte inzwischen unbefristeten Aufenthalt. Er | |
dagegen hat bis heute nur keinen dauerhaften Aufenthalt, [4][auch mit dem | |
Landeseinwanderungsamt (LEA) liegt er im Rechtsstreit]. | |
Dass der Fall endlich zu einem guten Abschluss kommen sollte, sehen wohl | |
auch die Behörden. Wenn Liebl seinen Streit mit dem LEA ausräume und einen | |
Antrag auf Einbürgerung stellte, „würden wir diesen mit positiver | |
Zielsetzung prüfen“, sagte der Vertreter der Innenverwaltung als Beklagter | |
vor Gericht. Doch das will Liebl nicht: „Einbürgerung ist | |
Ermessensangelegenheit, die Staatsangehörigkeit nicht.“ | |
Sein Bruder Rodolpho Dovi habe 2019 von der deutschen Botschaft in Lomé | |
einen deutschen Pass bekommen – und dafür dieselben Dokumente vorgelegt wie | |
er selbst, sagte Liebl. „Wie kann es sein“, fragte Liebl den Richter, „da… | |
mein Bruder und ich anders behandelt werden“? Tatsächlich hätte es auch die | |
Öffentlichkeit interessiert zu erfahren, vor welchem Hintergrund das | |
zuständige Bundesverwaltungsamt in Köln* dem Bruder vor drei Jahren das | |
„Deutschsein“ bestätigte. Doch Richter Bews folgte der Bitte Liebls nicht, | |
sich nach den Gründen zu erkundigen. Das seien unterschiedliche Fälle, | |
erklärte er. | |
Nach der Verhandlung zeigte Liebl sich „enttäuscht“ vom Richter, weil | |
dieser die Sache mit dem Bruder für unwichtig erachte. Er wolle nun das | |
schriftliche Urteil abwarten und die Begründung lesen – und dann | |
entscheiden, ob er in Berufung geht. | |
(*in einer 1. Fassung stand hier fälschlich Koblenz) | |
19 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Deutscher-Kolonialismus/!5592254 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=okqrv3Li0Fo | |
[3] /Abschiebung-von-Gerson-Liebl/!5167547 | |
[4] /Folgen-des-deutschen-Kolonialismus/!5638341 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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