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# taz.de -- Folgen des deutschen Kolonialismus: Gerson Liebl klagt an
> Seit fast 30 Jahren versucht der Nachfahre eines deutschen
> Kolonialbeamten Deutscher zu werden. Jetzt ist er im Hungerstreik.
Bild: Seit Mittwoch für sein Recht, hier zu sein, im Hungerstreik: Gerson Lieb…
Berlin taz | Eiskalt bläst der Wind ums Rote Rathaus. Passanten hasten
vorbei, nur wenige beachten das unförmige Bündel aus Decken und Taschen,
das schräg vor dem Haupteingang liegt und beinahe wie das Nachtlager eines
Obdachlosen wirkt. Wenn nicht das Schild an der Laterne darüber wäre:
„Hungerstreik!“ verkündet es.
Der Mann, der hier am Donnerstagvormittag liegt, ist verzweifelt und
erschöpft. Weil er Kopfschmerzen hat und ein Ziehen im leeren Magen nach 24
Stunden ohne feste Nahrung. Aber vor allem, weil er seit 28 Jahren einen
schier aussichtslosen Kampf gegen deutsche Behörden führt. [1][Gerson Liebl
aus Togo will Deutscher werden und hier leben dürfen.] Sein Großvater war
deutscher Beamter in der Kolonie Togo, sein Sohn ist Deutscher, seine
Ehefrau hat eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Da soll er kein
Recht haben, hier zu sein? „Das ist reine Schikane“, flüstert Liebl fast
unhörbar unter seinem dicken Schal. Und: „Ich bleibe hier liegen, bis ich
meinen Pass habe.“
Dass Liebl ein Recht darauf hat, glauben viele: Es hat mehrere Petitionen
für ihn gegeben, aktuell läuft wieder eine beim Petitionsausschuss des
Abgeordnetenhauses (AGH). Der gelernte Goldschmied, der 1991 nach
Deutschland kam, hat auch schon mal ein Bleiberecht bekommen, 2003 in
Rheinland-Pfalz. Später wurde es ihm wieder aberkannt, 2009 wurde er nach
Togo abgeschoben – nach 18 Jahren in Deutschland. Obwohl er hier in Berlin
einen Sohn hat, den 1999 geborenen Georgi, und eine Ehefrau, Ginette,
ebenfalls aus Togo. Es wurden [2][Filme über ihn gedreht] und zahllose
Artikel geschrieben. Denn sein Fall steht exemplarisch für ein Kapitel
deutscher Geschichte, das zwar fast vergessen ist, aber dennoch bis heute
Ungerechtigkeiten produziert.
Sein Großvater Friedrich Liebl, ein Arzt aus Straubing, war nämlich nicht
der einzige Kolonialbeamte, der sich in eine Einheimische verliebte. Davon
zeugen die „Mulattenlisten“, die im Togo der Kolonialzeit seit 1905 geführt
wurden. So habe die Verwaltung Väter zu Unterhaltszahlungen veranlasst,
schrieb der Historiker Peter Sebald, der Liebl in Togo half, seine
Abstammung zu beweisen.
## „Mischehen“ waren verboten
Tatsächlich ist in den Listen auch ein „Regierungsarzt Dr. Liebl“
verzeichnet, dazu der Vermerk: „zahlt für Mutter/Kind 1.000 Mark für
Unterhalt und Erziehung“; die taz konnte die Dokumente im Bundesarchiv
einsehen. Weil aber „Mischehen“ in der Kolonialzeit aus rassistischen
Gründen verboten waren und weil bis 1963 nur eheliche Kinder von deutschen
Vätern per Geburt Deutsche waren, wurde Gerson Liebls 1992 erstmals
gestellter Antrag auf Einbürgerung abgelehnt.
Ohne diese „menschenverachtende rassistische Ideologie und Praxis hätte
Gerson Liebl längst die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten können“,
schreibt daher der Kultursoziologe Wolfgang Lenk, grünes Mitglied der BVV
Friedrichshain-Kreuzberg, in seiner Petition ans AGH. Es gehe daher nicht
nur um ein individuelles Schicksal, sondern darum, dass „die Bundesrepublik
als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs weder das
staatsangehörigkeitsrechtliche Unrecht aufgehoben noch ausreichende
Regelungen geschaffen hat, um heutige Spätfolgen dieses Unrechts
auszuschließen“.
So beharrt die Berliner Ausländerbehörde bis heute darauf, dass Liebl
Togoer ist. Die Togoischen Behörden haben allerdings schon 2004
klargestellt, dass beide Liebls – Gerson und Ginette – keine togoischen
Papiere bekommen, „weil die Betroffenen Nachkommen eines Großvaters mit
deutschen Staatsangehörigkeit sind“, wie es vom dortigen Justizministerium
heißt. Beide Liebls sind de facto staatenlos.
Zwischenzeitlich hatten die hiesigen Behörden das sogar anerkannt: 2017,
als Liebl, damals in Togo, ein Visum von der deutschen Botschaft in Lomé
bekam, um für eine Familienzusammenführung zurück nach Deutschland zu
kommen. Sein Sohn war inzwischen Deutscher geworden, und so habe er das
Recht auf Rückkehr, schrieb die Innenverwaltung. Er bekam von der deutschen
Botschaft einen „Reiseausweis für Ausländer“, der als Passersatz für
Staatenlose gilt. Nur war der befristet bis 24. Dezember 2017 – der Tag, an
dem Liebls Sohn 18 wurde.
## Jetzt soll er zur Ausländerbehörde
Der Pass ist Liebls Schatz – sein Beweis, dass die Deutschen anerkannt
haben, dass er kein Togoer ist. Die Ausländerbehörde sieht das anders: Seit
Liebls Rückkehr im Dezember 2017 weigert sie sich, den Pass zu verlängern,
nicht einmal ein Aufenthaltsrecht soll er hier haben. Er könne sich ja
nicht finanzieren – was schwierig ist, da er von der Behörde auch keine
Arbeitserlaubnis bekommt.
„Sie haben unsere Familie zerstört“, sagt Ginette Liebl. Sie ist vors
Rathaus gekommen, um nach ihrem Mann zu sehen. „Ich bin die Einzige, die
arbeiten darf“, erzählt sie. „Gerson sitzt seit fast zwei Jahren zu Hause,
ist immer traurig.“ Sie hat Angst um seine Gesundheit wegen des
Hungerstreiks. „Wenn ihm was passiert, haben die Behörden Blut an den
Händen!“, sagt die zierliche Frau. Dann muss sie los, zur Ausländerbehörde.
Denn die Polizisten am Rathaus haben Liebls abgelaufenen „Reiseausweis“
einkassiert und ihn dafür schriftlich aufgefordert, sich bei der
Ausländerbehörde zu melden. Ob das gut ist oder schlecht? Ginette will sich
erkundigen. Gerson fühlt sich zu schwach. Außerdem muss der Hungerstreik ja
weitergehen. „Gott sieht alles“, sagt Liebl und lächelt. Und verschwindet
in seinen Schlafsack.
15 Nov 2019
## LINKS
[1] /Deutscher-Kolonialismus/!5592254&s=Gerson+Liebl/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=okqrv3Li0Fo
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
Schwerpunkt Rassismus
Staatsbürgerschaft
Togo
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