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# taz.de -- Deutschtogolese kämpft um Staatsbürgerschaft: Deutschland schiebt…
> Gerson Liebl hat seinen 18 Jahre währenden Kampf um die deutsche
> Staatsbürgerschaft verloren. Am Dienstag wurde er abgeschoben, dies droht
> nun ebenfalls seiner Familie.
Bild: Nach Togo abgeschoben: Gerson Liebl.
Ginette Liebl, 43, weiß nicht mehr weiter. Ihre Stimme zittert etwas. Sie
will nicht lange reden. Am Tag zuvor ist ihr Mann Gerson in ein Flugzeug
gestiegen, flankiert von drei Bundespolizisten. In der Nacht nach der
Abschiebung ruft Gerson bei seiner Frau an, nur ganz kurz. Um zu sagen,
dass er angekommen ist in Togo. Es ist ein Moment der Niederlage. Gerson
Liebl hat umsonst gekämpft.
Die vergangenen 18 Jahre hatte Gerson Liebl, 46, nur ein Ziel im Leben. Er
wollte Deutscher werden, ganz offiziell. Er war sich sicher, er habe ein
Recht darauf. Doch die Behörden verwiesen auf alte Gesetze, die heute
rassistisch wirken. Liebl ist in Togo geboren. Seine Haut ist dunkel. Die
Behörden glaubten nicht, dass so einer Recht auf einen deutschen Pass hat.
Doch Liebl blieb stur, bis zur Abschiebung.
Die Geschichte von Gerson Liebl beginnt im togolesischen Aného. Dort, im
deutschen Schutzgebiet an der Küste Westafrikas, arbeitet vor 101 Jahren
der junge Straubinger Arzt Dr. Fritz Liebl in einer Tropenklinik. Der
28-jährige Bayer ist Gersons Großvater. Fritz Liebl verliebt sich schon im
ersten Jahr seines Afrika-Aufenthalts in die einheimische Häuptlingstochter
Kokoé Edith Ajavon und heiratet sie. Ihr Vater, der Stammesfürst von Aného,
nimmt die Trauung nach Stammesbräuchen vor. Der Häuptling fungiert dabei
als kaiserlicher Standesbeamter, so bescheinigen es die togolesischen
Behörden später. Im Jahr 1910 bekommt das junge Paar einen Sohn, Johann.
Ein Jahr später kehrt Fritz Liebl nach Deutschland zurück - allein.
Gerson Liebl ist der Enkel von Fritz Liebl. 1992 siedelt der gelernte
Goldschmied nach Deutschland über, lässt sich zunächst in Pirmasens nieder
und beantragt die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wird ihm verwehrt.
Solange Liebl keinen kaiserlichen Stempel auftreiben kann, hat er kein
Recht auf den deutschen Pass. Für die rheinland-pfälzischen Gerichte ist
sein Vater Johann nur ein "nichtehelicher Abkömmling". Der Kolonialarzt
Fritz Liebl hätte "vor einem zur Eheschließung ermächtigten Beamten" des
Deutschen Reiches heiraten müssen, meinen die deutschen Richter.
Das kann nur so halb stimmen. Denn Gerson Liebls Bruder Rudolph geht in den
1990er-Jahren mit den Bescheinigungen seiner Herkunft und der Trauung
seines Großvaters in die Hauptstadt Lomé zur deutschen Botschaft. Das
Bundesverwaltungsamt schickt Rudolph 1996 einen
Staatsangehörigkeitsausweis. Der aber wird ihm bald abgenommen. Es ist ein
rechtswidriges Vorgehen, doch Rudolph versäumt die Widerspruchsfrist.
Sein Bruder Gerson Liebl klagt sich unterdessen in Deutschland durch alle
Instanzen, um endlich als Deutscher anerkannt zu werden. Er heiratet
Ginette, eine Togolesin, in Deutschland bekommen sie ein Kind, den
mittlerweile achtjährigen Gergi. Er geht in eine deutsche Schule.
Zwischenzeitlich kann Gerson Liebl als Gabelstapler-Fahrer in Straubing
arbeiten. Dort, im früheren Heimatort der bayerischen Liebls, lebt die
Familie - jedoch immer in einem wackligen Aufenthaltsstatus. Mit der
Polizei hat Gerson Liebl nur ab und an zu tun. 1993 erhält er eine
Geldstrafe, weil er ohne Führerschein Auto gefahren ist. 1996 wird ihm
vorgeworfen, er habe drei Tuben Zahnpasta geklaut. Viel Geld zum Leben
bleibt den Liebls nicht. Denn bis auf kurze Phasen in diesen 18 Jahren
werden Gerson Liebl und seiner Familie weder Arbeitslosengeld noch
Hartz-IV-Hilfe oder Kindergeld bewilligt.
Das zumindest erzählt Gerson Liebl, als er Ende vergangenen Jahres in die
taz-Redaktion kommt, um seine Situation zu schildern. Die taz hatte im Jahr
2001 bereits über seinen Fall berichtet. Der Deutschtogolese ist ein
präziser, freundlicher Mann. Konzentriert und sachlich schildert er das
komplizierte aufenthaltsrechtliche Verfahren. Er würde einen guten Juristen
abgeben. Sein mündliches Deutsch ist ordentlich - die schwierigen
juristischen Bandwurm-Wörter kommen ihm selbstverständlich über die Lippen.
Von einer drohenden Abschiebung ist noch keine Rede. Aber die Sache ist ihm
dringend. Deshalb ist er nach Berlin gekommen, um in der Hauptstadt
politisch Druck zu machen. Sein Sohn, den er von der Schule genommen hat,
und seine Frau wohnen mit ihm bei einem Freund in Neukölln, vorübergehend.
Gerson Liebl hat die Kopien seiner seitenlangen Briefe an Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) dabei. Unter dem Aktenzeichen
8-PKTAb.3GL-6.02/2008 schildert er in etwas fehlerhaftem Deutsch sein
Schicksal, bittet um Hilfe der Politiker. "Denn man misshandelt uns
vorsätzlich und diskriminiert als wir Verbrecher oder Sklaven sind,
aufgrund, dass wir um unsere Anerkennung auf das Abstammungsrecht kämpfen,
mit der Bitte um Kenntnisnahme." Gerson Liebl verweist darauf, dass seine
Familie und er in Togo "bedroht sind". Er selbst sei dort mehrmals
inhaftiert worden. Er will jedoch nicht in ein Asylverfahren, er will
Deutscher werden. Dabei geht es Gerson Liebl nicht nur um sich. Er fordert
in seinem Brief an den Außenminister die "Aufhebung der rassistischen
Ehe-Gesetzgebung des deutschen Kaiserreichs in der Schutzgebietszeit". In
den früheren deutschen Kolonien Afrikas gebe es "nur etwa eintausend
Personen", Nachkommen von Deutschen, für die eine Regelung gesucht werden
müsste, argumentiert er: "Aus diese Gründen wird es höflich gebeten, diese
Tatsache durch sämtliche Institutionen bearbeiten zu lassen, denn wir leben
in der Höhle wegen diese politischen Hintergründen", schreibt er und
verwechselt Hölle mit Höhle.
Im Dezember vergangenen Jahres betritt Gerson Liebl ein Jobcenter in
Berlin-Lichtenberg. Er möchte Hartz IV beantragen. Doch als die Mitarbeiter
seine Daten eingeben, stellen sie fest, dass die Ausländerbehörde seiner
Heimatstadt Straubing schon nach ihm sucht. Noch im Jobcenter wird er
festgenommen und kommt für Wochen in Abschiebehaft. Seine Frau beginnt
einen Hungerstreik und beendet ihn erst nach langem Zureden. Gegen so viel
Sturheit ist sie machtlos. Es ist nicht nur die Sturheit der bayerischen
Behörden.
Dort will man den Liebls eine Brücke bauen. Es gibt im Aufenthaltsgesetz
eine sogenannte Altfallregelung. Die Liebls müssten nur einen kurzen Antrag
stellen und ihre Aufenthaltserlaubnis würde verlängert. Der Straubinger
Oberbürgermeister Markus Pannermayr schreibt sogar persönlich einen Brief
an Gerson Liebl. Er appelliere "an Ihre Einsicht und an Ihr
Verantwortungsbewusstsein als Eltern", schreibt der Bürgermeister. Er
schickt den Liebls auch drei fertig ausformulierte Anträge auf Verlängerung
ihrer Aufenthaltserlaubnis. Nur noch das Datum und die Unterschriften
fehlen. Doch Gerson Liebl will keine Almosen und keine freundlich gemeinten
Angebote. Er will Deutscher sein.
Mehr könne er nicht machen, schreibt der Bürgermeister: "Diese Entscheidung
wurde mehrfach gerichtlich in verschiedenen Instanzen bis hin zum
Bundesverfassungsgericht überprüft und abschließend bestätigt." Liebl
unterschreibt nicht.
Am Dienstag betritt er in München das Flugzeug nach Togo. Da hat er schon
aufgehört, sich zu wehren. "Die Abschiebung lief problemlos", berichtet der
Chef der Straubinger Ausländerbehörde, Martin Panten. "Herr Liebl war sehr
kooperativ."
Evrim Baba, für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, meint: "Liebl
wollte sich sein Recht erkämpfen. Ich mache ihm das nicht zum Vorwurf."
Baba hat in den letzten Wochen oft mit den Liebls gesprochen. Gerson Liebl
war auf seiner Suche nach politischer Unterstützung auch in ihr Büro
gekommen. Für Baba ist Liebl nicht an seiner eigenen Sturheit gescheitert,
sondern am Festhalten der deutschen Behörden an überholten, rassistischen
Gesetzen. Dort habe man auch einen Präzendenzfall verhindern wollen. "Die
Behörden hatten Angst, dass dann die Menschen aus Afrika in Scharen kommen
und sich auf ihre deutschen Großeltern berufen."
Doch für Ginette Liebl und ihren Sohn Gergi geht es nun um ganz andere
Probleme. Wie Gerson droht auch ihnen die Abschiebung nach Togo. Ginette
hat keinen togolesischen Pass. Gergi war sein ganzes Leben lang in
Deutschland. Ihm gefällt es an seiner Berliner Schule. Die beiden wollen
Gerson wieder in ihrer Nähe haben. Sie würden aber auch gerne hierbleiben.
Noch könnte Ginette Liebl den Antrag des Straubinger Oberbürgermeisters
einfach unterschreiben, gegen den sich ihr Mann so gewehrt hat. Aber sie
zögert. "Ich habe zurzeit keine Ahnung, was ich tun soll", flüstert sie.
Sie möchte warten. Vielleicht, hofft sie, ruft bald ihr Mann wieder an.
19 Feb 2009
## AUTOREN
B. Hübner
P. Gessler
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
Deutscher Kolonialismus
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