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# taz.de -- Auswüchse deutscher Bürokratie: Abschiebung statt Klassenfahrt
> Weil ihm ein Stempel aus der Kaiserzeit fehlte, wurde der deutschstämmige
> Gerson Liebl nach Togo abgeschoben. Nächste Woche sollen ihm Frau und
> Sohn folgen.
Bild: Der Flieger nach Togo für den deutschstämmigen Gerson Liebl steht berei…
Die Flugnummer steht schon fest: AF860. Ankunft: 29. April, 18 Uhr 05.
Ziel: Lomé, Togo. Ginette Liebl ist fertig mit der Welt. Eigentlich will
sie nur noch abwarten. Trotzdem steht sie immer wieder auf, zieht eine neue
Klarsichthülle hervor, vollgestopft mit Dokumenten. Jedes Schreiben kennt
die 44-Jährige auswendig. Aber jetzt liegt ein Fax vor ihr, das sie alle
nutzlos macht: ein Abschiebebescheid gegen sie und ihren Sohn Gergi.
Die Geschichte der Familie Liebl klingt wie eine Farce über die Auswüchse
deutscher Bürokratie. Kurz gefasst geht sie so: 18 Jahre lang kämpft der
deutschstämmige Gerson Liebl um die deutsche Staatsbürgerschaft, zuerst in
Bayern, dann in Berlin erfolglos. Grund sind Kolonialgesetze, die bis in
die heutige Zeit überlebt haben: Es fehlt ein kaiserlicher Stempel, der die
Hochzeit von vor über 100 Jahren zwischen Großvater Liebl und einer
Togolesin verifiziert. Vor einem Jahr wird Liebl nach Togo abgeschoben.
Frau und Sohn bleiben in Berlin: Der zehnjährige Gergi ist hier geboren,
soll nicht aus seinem gewohnten Umfeld gerissen werden.
Von offizieller Seite weiß Ginette Liebl noch gar nichts von ihrem Abflug.
In den Händen hält sie das Papier, das ihr Mann geschickt hat. Das
Auswärtige Amt in Togo hat ihm schon mal die Ankunftsdaten zukommen lassen.
"Ich habe alles getan", sagt Ginette. So richtig wahrhaben will sie noch
nicht, was das Papier bedeutet. Während seine Mutter erzählt, macht Gergi
Hausaufgaben an einem kleinen Tisch am Fenster.
Seit Monaten teilt er sich mit der Mutter das Zimmer in einer
Notunterkunft, geht jeden Tag zur Schule, wo er gute Freunde gefunden hat.
"Fertig!", ruft Gergi plötzlich, lässt den Stift fallen und rennt aus dem
Zimmer. "Mister Bean" kommt im Fernsehen. Ginette Liebl schaut ihm
hinterher: "Er ist doch noch ein Kind."
"Eine Sauerei ist das", sagt Jutta Schmidt-Stanojevic von den Grünen in
Friedrichshain-Kreuzberg. Die Liebls seien bestens integriert, auch Lehrer
und Mitschüler setzen sich für sie ein. Ein großes Problem ist im Fall
Liebl auch die Frage der Zuständigkeit: In Berlin, wo Ginette und Gergi
seit anderthalb Jahren wohnen, verweist man immer wieder auf die
Ausländerbehörde in Straubing. Dort, wo die Hebel zur Abschiebung in
Bewegung gesetzt wurden, ist der zuständige Beamte für die taz nicht zu
sprechen.
"Die humanitären Gründe, vor allem das Kindeswohl, müssen Vorrang vor der
Diskussion um Zuständigkeiten haben", fordert Evrim Baba von der Linken.
Für die Unterstützung der Liebls müsse Berlin alle Möglichkeiten
ausschöpfen. Eine Initiative aus Politik, Integrationsbeauftragten und
Schule hat sich bereits mit einem Schreiben an Innensenator Ehrhart Körting
mit der Bitte gewandt, sich für eine Aufenthaltserlaubnis für Gergi und
Ginette einzusetzen. Den Liebls läuft die Zeit davon.
Gergi weiß noch nichts vom Flug AF860. Seine Mutter müsste ihm eigentlich
etwas anderes beibringen. Er darf nicht mit auf Klassenfahrt, nach
Frankreich: Dazu fehlen ihm die Papiere.
***
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24 Apr 2010
## AUTOREN
Franziska Langhammer
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutscher Kolonialismus: Gerson Liebls letzter Trumpf
Weil sein Großvater Deutscher war, kämpft Gerson Liebl aus Togo seit Jahren
für seine Einbürgerung. Jetzt hat er ein historisches Dokument gefunden.
Abschiebung nach Togo verhindert: Die Liebls dürfen bleiben
Im letzten Moment wendet die Berlin die Abschiebung von Ginette und Gergi
Liebl nach Togo ab. Die Flugnummer stand schon fest. Jetzt hofft die
Familie auf ein dauerhaftes Bleiberecht.
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