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# taz.de -- Benin-Bronzen und die Rückgabedebatte: Raub, Reue, Rückgabe
> Deutsche Museen besitzen viele Kunstwerke, die einst in Benin geraubt
> wurden. Vor deren Präsentation im Humboldt Forum nimmt die
> Rückgabedebatte Fahrt auf.
Bild: Kunstwerke aus Benin, hier im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe
Willst du ein Volk schwächen, weil es deinen Handels- und
Ausbeutungsplänen im Wege steht, kappe seine Wurzeln. Nimm ihm seine
Götter- und Ahnenbilder, seine Tafeln mit Heldengeschichten – alles, was
ihm emotional und spirituell Kraft verleiht oder von seiner kulturellen
Leistung zeugt.
All dies taten die britischen Kolonialherren, als sie 1897 in Benin
einfielen, um ihre kommerziellen Interessen durchzusetzen. Denn das
Königreich Benin war damals ein mächtiges Handelsmonopol rund um das
Nigerdelta – und damit den Briten im Wege, die hier selbst Geld verdienen
und Benin trotz vertraglich vereinbarter Unabhängigkeit kolonisieren
wollten.
Sie drangen ein, nachdem der König zuvor Gespräche mit dem Hinweis auf
religiöse Feiern verweigert hatte, wurden angegriffen und unterlagen – und
kamen in waffenstarrender Überzahl wieder. Im Zuge dieser brutalen
„Strafexpedition“ samt Zerstörung der Hauptstadt von Benin stahlen die
Briten 3.000 bis 5.000 hochwertige Kunstwerke aus Schreinen und dem
Königspalast: bronzene Königsköpfe, Holzschnitzereien von Kampfgeschichten,
Salzfässer aus Elfenbein. Von London aus verkauften sie ihre Beute an
internationale Sammlungen und Museen.
Heute lagern Benin-Objekte in Ausstellungshäusern in den USA,
Großbritannien, Schweden, den Niederlanden, Österreich, rund 1.000 auch in
Deutschland. Die meisten finden sich im Ethnologischen Museum von Berlin,
weitere etwa in Dresden, Leipzig, Stuttgart, Köln und Hamburg.
Dort wurden sie über viele Jahre unkommentiert als Trophäen und
Publikumsmagnete präsentiert. Denn auch handwerklich und künstlerisch
können diese Werke des 16. bis 18. Jahrhunderts, teils aus feinstem Bronze-
und Gelbguss, mit der Renaissance- und Barockkunst Europas konkurrieren.
Den Respekt vor den Urhebern erhöhte das allerdings nicht. Der Globale
Norden machte sich diese Objekte zu eigen, als sei das sein gutes Recht.
Restitutionsforderungen nach dem Ersten Weltkrieg sowie in den 1970er
Jahren verhallten. Provenienzforschung gab es noch nicht, und als diese in
den 1990ern begann, konzentrierte sie sich auf NS-Raubkunst – auch das
gegen den Widerstand etlicher Museen, die den Verlust wertvoller Werke
befürchteten. Einen Überblick über koloniale Raubkunst im Globalen Norden
verschaffte sich niemand.
Nun aber hat der Plan, zur baldigen Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums
– wenn auch kommentiert – 200 Benin-Objekte zu zeigen, das Zaudern beendet.
Lebhaft bis aufgebracht tobt seither die Debatte über Restitutionen, und
die bereits seit 2010 tagende Benin Dialogue Group (BDG) ist unter Zugzwang
geraten. Ihr gehören Vertreter*innen des Edo-Staates in Nigeria sowie
einiger internationaler Museen an, die Benin-Objekte „besitzen“.
Gründerin und Leiterin der BDG ist Barbara Plankensteiner, seit 2017
Direktorin des Hamburger „MARKK – Museum am Rotherbaum. Kulturen und Künste
der Welt“, wo 180 Benin-Objekte lagern. Da sind die drei bereits
mitgezählt, die Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe bald übergeben wird.
Dessen Gründer Justus Brinckmann hatte als erster deutscher Museumsdirektor
Bronzen aus Benin erworben und an andere Museen weiterverkauft. Besagte
drei Bronzen waren 2018 in der Ausstellung „Raubkunst? Provenienzforschung
zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe“ zu sehen. Durch die
Übergabe ans MARKK entzieht sich das Kunstgewerbe-Museum geschickt der
Restitutionsdebatte.
Wie viel indes die Museen des Globalen Nordens zurückgeben werden, ist
unklar. Zwar bekräftigten Vertreter*innen aller deutschen Museen, die
Benin-Objekte haben, gemeinsam mit der Bundesbeauftragten für Kultur und
Medien in einer Erklärung vom 29.4.2021 ihre „grundsätzliche Bereitschaft
zu substantiellen Rückgaben von Benin-Bronzen“. Doch vielen ist das zu
vage. „Die enteigneten Gemeinschaften müssen selbst entscheiden können, was
mit ihren Objekten in Zukunft geschehen soll. Die Ankündigung
einer,substantiellen Rückgabe' ist daher anmaßend“, sagen Mnyaka Sururu
Mboro und Christian Kopp vom Verein Berlin Postkolonial.
Der Hamburger Globalgeschichtsforscher Jürgen Zimmerer moniert zudem, dass
die Zivilgesellschaft, die den Prozess über Jahre vorangetrieben habe,
nicht vorkomme. „Es gibt bedauerlicherweise keinen strukturierten
Partizipationsprozess, der für Angehörige der Zivilgesellschaft frei
zugänglich wäre“, sagt er. „Das wird hinter verschlossenen Türen auf
diplomatischer Ebene geregelt.“
Wobei vor der Debatte über den Verbleib der Objekte von Rechts wegen die
offizielle Besitzübertragung stehen müsste. „Die Eigentumsrechte an den
Benin-Bronzen sollten umgehend restituiert werden“, fordert Zimmerer
deshalb. „Dann sollten Vertreter der Museen und der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz demütig darum bitten, einige Bronzen weiter ausstellen zu
dürfen.“
Ob die Gespräche der Benin Dialogue Group in diese Richtung gehen, ist
schwer zu sagen. Zwar will die Gruppe nun kurzfristig, bis zum 15. Juni,
auf der Website der neuen „Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen
Kontexten in Deutschland“ eine Liste aller „im Besitz der Museen
befindlichen“ Benin-Bronzen veröffentlichen, die die Museen bis Ende 2021
um die Provenienzen ergänzen sollen. Aber von zusätzlichen Stellen für
diese aufwändige Arbeit ist keine Rede, und so wird dies schwer zu schaffen
sein.
Erste Restitutionen werden im Jahr 2022 „angestrebt“. Dass es auch anders
geht, zeigt die Universität im schottischen Aberdeen: Sie hat die Rückgabe
zumindest einer Benin-Bronze binnen weniger Wochen verbindlich zugesagt.
Dieser Text ist die Einleitung eines gemeinsamen Schwerpunkts von taz Nord
und taz Berlin über die Geschichte der geraubten Benin-Bronzen in deutschen
Museen und die Diskussion über ihre Rückgabe an Nigeria. Weitere Texte in
den gedruckten Ausgaben der taz Nord und der taz Berlin – und am Sonntag
auf taz.de.In einer früheren Version hatten wir fälschlicherweise
berichtet, dass im MARKK – Museum am Rotherbaum. Kulturen und Künste der
Welt 280 Benin-Objekte lagerten.
22 May 2021
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
Restitution
Raubkunst
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