| # taz.de -- Debatte ums Berliner Humboldt Forum: Kein Ende gut, alles gut | |
| > Kurz vor der Eröffnung des Humboldt Forums erinnern Kritiker an die | |
| > verdrängte Frage der Ausstellung von kolonialer Beutekunst. | |
| Bild: Fertig! Ab nächstem Jahr soll man auch sehen können, was drin ist im ne… | |
| Berlin taz | Stellen Sie sich für einen Moment vor, es gäbe kein Berliner | |
| Schloss, das an diesem Mittwoch – zumindest digital – eröffnet wird. | |
| Stellen Sie sich vor: Die Kritik an dem wilhelminischen Prunkbau und seinem | |
| musealen Inhalt, die sich durch all die Jahre zieht, seit der Bundestag | |
| 2002 den Abriss des Palasts der Republik und die Schloss-Rekonstruktion | |
| beschloss, hätte etwas bewirkt. Das Schloss wäre, weil die Mächtigen | |
| eingesehen hätten, dass ihre Idee Murx war, ebenso „rückgebaut“ worden wie | |
| der Palast – und etwas ganz anderes wäre entstanden. Ein Ding namens | |
| Barazani. | |
| Barazani bedeutet in Kiswahili unter anderem Forum oder Versammlung. | |
| Anstelle des Schlosses ist also ein Raum entstanden für Versammlungen, | |
| Diskussionen, Zusammenkünfte, in dem die Perspektiven jener zu Wort kommen, | |
| die von den europäischen Kolonialmächten unterjocht und ausgeraubt wurden | |
| und bis heute von Europa nicht wirklich gehört werden. | |
| Mit diesem Gedanken spielt [1][barazani.berlin]. Die Webseite, die sich im | |
| Untertitel „Forum Kolonialismus und Widerstand“ nennt, im Umfeld des | |
| Bündnisses Decolonize Berlin entstanden ist und am Montagabend online ging, | |
| zeichnet den vielfältigen Protest und die Kritik am Humboldt Forum nach | |
| „und sucht nach einem aufrichtigen und angemessenen Umgang mit den | |
| generationsübergreifenden Traumata, die Kolonialismus und Imperialismus bis | |
| heute verursachen“. | |
| So wird etwa mit einer Fotostrecke erinnert an die zahlreichen | |
| Demonstrationen vor der Schlossbaustelle, man kann Dokumente nachlesen von | |
| Diskussionsveranstaltungen wie dem „Anti-Humboldt“ 2009 oder die fünf | |
| Thesen gegen Schloss und Forum, die das 2012 gegründete Bündnis No Humboldt | |
| 21 seinerzeit formulierte und die bis heute nichts an Aktualität verloren | |
| haben. | |
| ## Da Vincis „Abendmahl“ in Mogadishu | |
| Die Webseite ist bei weitem nicht der einzige aktuelle Beitrag zum Thema. | |
| Kritik am Humboldt Forum ist durch die anstehende Eröffnung wieder in der | |
| breiteren Öffentlichkeit angekommen. Vorigen Freitag brachte Jan Böhmermann | |
| in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ die Problematik auch für „Dummies… | |
| auf den Punkt: „Das kulturelle Erbe ganzer Zivilisationen wurde geklaut und | |
| woanders hingebracht. Das wäre so, als müssten Italiener heute nach | |
| Mogadischu fliegen, um sich da im Museum Da Vincis Abendmahl anzusehen.“ | |
| Zur Frage, wie viel „Geklautes“ wirklich im Humboldt Forum steckt, befragte | |
| Böhmermann die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy von der TU, die bis 2017 | |
| Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Forums war und aus Protest | |
| zurücktrat, weil ihr dort zu wenig Wert auf Erforschung der Provenienz der | |
| Ausstellungsobjekte gelegt wurde. | |
| Auch Savoy nahm kein Blatt vor den Mund: Fast alles, sagte sie, was heute | |
| in ethnologischen Sammlungen liegt, „ist in der Kolonialzeit gekommen“. | |
| Damals hätten sich die Europäer einfach „bedient“, wenn sie auch nicht | |
| alles direkt mit Gewalt genommen hätten. Sprich: In asymmetrischen | |
| Machtkonstellationen kann man eigentlich nicht von rechtmäßigen | |
| „Erwerbungen“ sprechen, weil das Gegenüber keine Chance hatte, Nein zu | |
| sagen. | |
| Gegen diese Aussagen der Kunsthistorikerin, die sich nebenbei auch gegen | |
| die Vereinnahmung der Gebrüder Humboldt für das Raubkunst-Museum verwahrte, | |
| montiert Moderator Böhmermann einen Satz Hermann Parzingers, seines | |
| Zeichens Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der noch | |
| 2011 gesagt habe: „Die Sammlung entstand auf legale Weise. Die Berliner | |
| Museen sind die rechtmäßigen Besitzer.“ | |
| ## Nigeria will Bronzen zurück | |
| In Afrika sieht man das anders. [2][Vorige Woche platzte der Botschafter | |
| Nigerias in Berlin, Jusuf Tuggar, mit der Nachricht heraus], er habe im | |
| Namen der Regierung und des ganzen nigerianischen Volks eine formale | |
| Restitutionsforderung an Deutschland gestellt und warte auf Antwort. Aus | |
| Nigeria stammen unter anderem die weltbekannten Benin-Bronzen, ein | |
| Prunkstück der künftigen ethnologischen Ausstellung im Forum. Die Äußerung | |
| des Botschafters wenige Tage vor der Eröffnung des Humboldt Forums wurde | |
| von Experten wie dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer als „Blamage“ | |
| bezeichnet, wenn auch als selbst verschuldete, weil man sich seit Jahren um | |
| das Thema Restitution von kolonialem Raubgut herumdrücke. | |
| Auf taz-Anfrage erklärte nun das Auswärtige Amt, das Schreiben des | |
| Botschafters sei bereits im August 2019 eingegangen, man sehe darin aber | |
| kein „offizielles“ Rückgabeersuchen der Regierung Nigerias. Zugleich | |
| verwies eine Sprecherin auf den „Benin Dialogue“, eine Gesprächsrunde | |
| verschiedener europäischer Museen mit Nigeria, bei denen es darum geht, ein | |
| Museum in Benin City zu realisieren mit Benin-Kunstwerken, die in Europa | |
| verstreut sind. | |
| Auch das Berliner Ethnologische Museum ist an dem Dialog beteiligt, bislang | |
| ist allerdings nur von möglichen Leihgaben für Benin City die Rede. | |
| Vielleicht deshalb scheinen die Gespräche zu stocken. Nach | |
| taz-Informationen ist nicht damit zu rechnen, dass man sich bis nächstes | |
| Jahr einigt, wenn das Museum in Benin City eröffnen soll. | |
| In diesem Zusammenhang erinnerte Savoy am Dienstag in einem Artikel in der | |
| FAZ daran, dass Nigeria bereits 1972 die Restitution seiner Benin-Bronzen | |
| gefordert hat. Dies hat sie unter anderem verschiedenen Verwaltungsakten | |
| der SPK entnommen. Savoy zufolge wollte Nigeria schon damals ein Museum | |
| bauen und dafür „Dauerleihgaben“ aus Europa bekommen. Das Auswärtige Amt | |
| habe dieses Ansinnen zuerst sogar positiv unterstützt, allerdings habe die | |
| SPK gemauert, was das Zeug hielt, so die Kunsthistorikerin. | |
| „Sie sperrte sich gegen ‚jedes Nachgeben‘ und gab unverzüglich zu | |
| Protokoll, dass ‚man aus grundsätzlichen Erwägungen‘ dem Verlangen des | |
| afrikanischen Staates ‚wohl kaum‘ werde nachkommen können.“ Offenkundig,… | |
| Savoy, sahen sich die Museen der 1970er in einem nationalen | |
| Prestigewettbewerb um die größten und schönsten Sammlungen, und die SPK | |
| meinte, keine „Verluste“ verkraften zu können. Am Ende setzte sie sich | |
| durch, so Savoy, das Auswärtige Amt ließ Lagos abblitzen. | |
| Ganz so einfach kommen die Museen heute nicht mehr davon. Nach außen müssen | |
| Dialogbereitschaft und guter Wille demonstriert werden, das verlangt schon | |
| der Zeitgeist. Doch das Stocken des Benin Dialogues zeigt, dass die | |
| Bereitschaft zur Rückgabe bis heute nicht allzu hoch einzuschätzen ist. | |
| Wofür braucht es, mehr als 100 Jahre nach dem Ende des deutschen | |
| Kolonialismus, jahrelange Verhandlungen, wenn hiesige Museen bereit wären | |
| zurückzugeben, was ihnen nie gehörte? | |
| 16 Dec 2020 | |
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| [2] /Raubkunst-im-Humboldt-Forum/!5733565 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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