# taz.de -- Graue Ödnis am Berliner Humboldt Forum: Unterm Pflaster kein Strand | |
> Klimawandel? Der Freiraum rund um das rekonstruierte Stadtschloss ist in | |
> seiner Verweigerung von Grün eine steinerne Realitätsverweigerung. | |
Bild: Die Südseite des Stadtschlosses, wo einst der Neptunbrunnen stand | |
Es braucht nicht viele Eigenschaftswörter, um das Drumherum um das Berliner | |
Stadtschloss alias Humboldt Forum zu beschreiben. Wer einmal um die drei | |
Seiten der Schlossrekonstruktion und die Lochfassade an der Ostseite herum | |
geht – das ist seit Weihnachten, als die Bauzäune fielen, möglich – sieht | |
vor allem eines: Pflastersteine. Im Grunde braucht man also nur ein | |
Adjektiv für den Freiraum rund ums Schloss: steinern. | |
Gut möglich, dass die steinerne Schlossumgebung, ebenso wie die Debatte um | |
die Architektur des Humboldt Forums, noch einmal eine Kontroverse auslöst. | |
Im Grunde wäre das die Wiederholung einer Diskussion, die bereits 2013 | |
stattgefunden hat. Damals hatte das Büro BBZ Landschaftsarchitekten den | |
Freiraumwettbewerb mit einem Entwurf gewonnen, der Grün überwiegend dort | |
einsetzt, wo es historische Bezüge anzudeuten gilt, etwa beim verloren | |
gegangenen Apothekerflügel. Dort, auf der Nordseite zum Lustgarten hin, | |
steht eine Baumgruppe. Das versprochene Grün freilich wird erst im Frühjahr | |
zu sehen sein, wenn die Blätter grünen. Die Bäume selbst stehen in | |
Baumscheiben, der Grundriss des Apothekerflügels ist nicht begrünt, sondern | |
mit grauem Granulat markiert. | |
Grau wäre also ein zweites Eigenschaftswort für die Schlossumgebung, wenn | |
auch keine „Fifty Shades of Grey“, sondern nur zwei. Etwas masochistisch | |
muss man dennoch veranlagt sein, um dieser grau-haften Ästhetik etwas | |
abgewinnen zu können. | |
Ähnlich sahen das wohl auch die Vertreterinnen und Vertreter von Land und | |
Bund in der Jury des Freiraumwettbewerbs. Ihnen, so war es 2013 zu hören, | |
hatte der andere, weitaus grünere Entwurf, der damals noch im Rennen war, | |
deutlich besser gefallen. Den Ausschlag aber gaben die Fachrichterinnen und | |
Fachrichter, also die Zunft der Architekten und Landschaftsarchitekten. | |
Dass der knapp zehnminütige Rundgang um das Humboldt Forum vor allem über | |
Berliner Kleinpflaster führt, wie man es auch aus Kreuzberg oder Prenzlauer | |
Berg kennt, den historischen Stätten der Berliner Maikrawalle, hat aber | |
noch einen anderen Hintergrund. So zumindest insinuierte es André Schmitz, | |
einst Kulturstaatssekretär, bei einer Veranstaltung in der Urania im | |
Februar. „Ich war in vielen Jury-Sitzungen, aber die von 2013 war die | |
Schlimmste“, zitierte der Tagesspiegel den Freund der historischen | |
Rekonstruktionen. Er habe das Gefühl gehabt, dass die Pläne zur Gestaltung | |
des Umfelds „die Rache derjenigen sind, die das Schloss nicht wollten“. | |
Oder auch nicht den Neptunbrunnen auf der Südseite, die einst als | |
Schlossplatz den Haupteingang zum Stadtschloss markierte. Seit 1891 stand | |
der Brunnen da, bis er 1969 an seinen heutigen Standort am Alex | |
transloziert wurde. Die Zahl derer, die sich eine Rückkehr wünschen – als | |
weiteren Baustein in der Rückgewinnung der historischen Mitte – ist groß. | |
In der Jury aber waren die Gegner in der Mehrheit, weshalb sich Schmitz | |
auch zu dem Satz hinreißen ließ, hier sei die „Rache der Alt-68er“ am Wer… | |
gewesen. | |
Aber was ist eine Rache an der Tümelei rund ums Schloss wert, wenn sie aus | |
Stein daher kommt? Lag nicht einmal unterm Pflaster der Strand? Warum | |
hatten die „Alt-68er“ nicht den Mut für eine radikale Entsiegelung des | |
Freiraums? So aber sieht, da die Bauzäune gefallen sind, in Zeiten von | |
Klimawandel und städtischen Gegenkonzepten wie Schwammstadt die Gestaltung | |
aus wie Stein gewordene Realitätsverweigerung. Ein freier Raum ist das | |
nicht. | |
Da wird es auch nicht viel helfen, wenn die Schlossterrassen einmal begrünt | |
sein werden. Die Terrassen liegen nicht an der Ostseite, die Franco Stella, | |
der Sieger des Architekturwettbewerbs, mit einer Fassade versehen hat, die | |
der Architekturkritiker Niklas Maak zu Recht als „gigantisches | |
Abluftgitter“ verspottet hat. Vielmehr sind sie das Pendant auf der | |
Nordseite zum Lustgarten hin. | |
Für die Bepflanzung der Terrassen, so heißt es bei BBZ | |
Landschaftsarchitekten, „wurden drei unterschiedliche Vegetationsthemen | |
entworfen, analog zu den drei von Alexander von Humboldt besuchten | |
Kontinenten: Südamerika, Nordamerika und Eurasien“. Auch die Jury lobte | |
diese Idee, freilich nur als Accessoire. Denn die Terrassen, so hieß es | |
2013 zur Begründung für die Entscheidung, dienten als „örtliche | |
Intervention“ vor allem als Hintergrund für den steinernen Entwurf. Denn | |
die „konsequente Reduktion auf ein Steinmaterial (Dolomit) und dessen | |
durchgängiger Gebrauch für vertikale und horizontale Flächen“, so die Jury, | |
„schaffen eine gelassene neue Identität“. | |
Nach steinern und grau „gelassen“ als drittes Adjektiv? Diese Meinung hat | |
die Jury wohl exklusiv. | |
28 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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