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# taz.de -- Debatte um Benin-Bronzen: „So unverschämt wie früher“
> Kommt es bald zu Rückgaben von geraubten Benin-Bronzen an Nigeria? Beim
> Verein Berlin Postkolonial ist man eher skeptisch.
Bild: Wann gehen sie zurück? Drei Benin-Bronzen in Hamburg
taz: Herr Mboro, Herr Kopp, werden im Humboldt Forum Benin-Bronzen
ausgestellt, was meinen Sie?
Mnyaka Sururu Mboro: Wir mussten bisher davon ausgehen. Ich freue mich
aber, dass die Sache endlich auch von den politisch Verantwortlichen
kontrovers diskutiert wird. Ganz unabhängig von den Benin-Bronzen sind wir
ja seit Langem entschieden dagegen, dass im rekonstruierten Berliner
Schloss der Hohenzollern in Kolonien angeeignete Kulturschätze präsentiert
werden. Immerhin gab es in dieser feinen Familie auch Sklavenhändler,
Kolonialherren und Völkermörder.
Christian Kopp: Ich denke auch, dass es zu früh ist, dazu etwas zu sagen.
Ziemlich klar scheint aber mittlerweile, dass eine Ausstellung der
Benin-Bronzen im Humboldt Forum ohne den Segen der nigerianischen Seite zum
Eklat führen würde. Die Frage ist daher jetzt wohl vor allem, wird es
diesen Segen geben, und, wenn ja, was wird Deutschland bereit sein, dafür
zurückzugeben: einige Bronzen? Viele? Und in welcher Form: als
Dauerleihgaben? Als Eigentum?
Der Chef des Humboldt Forums, [1][Hartmut Dorgerloh, sagte,] er rechne
nicht damit, dass bei der Eröffnung im Herbst Bronzen gezeigt werden. Er
hat das aber nicht zu bestimmen. Hermann Parzinger, Chef der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz (SPK), die das entscheidet, sagt, sehr wohl würden
die Bronzen Bestandteil der Ausstellung. Kulturstaatssekretärin Monika
Grütters kann sich „Leerstellen“ im Museum vorstellen. Ziemliches
Durcheinander, oder?
Kopp: Ja, vor allem, wenn man bedenkt, dass es keine deutsche, sondern eine
nigerianische Entscheidung sein sollte. Trotzdem ist eine Diskussion über
diesen wichtigen Teil der deutschen und europäischen Kolonialverantwortung
noch immer besser als die geschlossene Abwehr von Rückgaben durch deutsche
Politiker:innen und Museen der letzten Jahrzehnte.
Mboro: Ich bin da skeptischer. Mir kommt das Ganze erneut wie ein
abgekartetes Spiel vor, eine Hinhalte- und Vermeidungsstrategie der
Verantwortlichen. Man macht kompliziert, was sonnenklar und einfach ist.
Das soll uns ruhigstellen und müde machen!
Seit 1960 fordert Nigeria die Rückgabe von im Kolonialismus gestohlener
Kunst. Wie es damit an westlichen Museen und deren Regierungen scheitert,
hat Bénédicte Savoy in ihrem neuen Buch, „Afrikas Kampf um seine Kunst“,
geschildert. Wenn Sie nun hören, bevor es zu Rückgaben kommen könne, müsse
erst mal das Museum in Benin City fertig und die Nigerianer in Museumskunde
ausgebildet sein, überhaupt müssten sie sich erst mal einig sein … Sind das
nicht dieselben Ausflüchte wie früher?
Mboro: Das sind nicht nur Ausflüchte, das sind dieselben Unverschämtheiten
wie früher! Gerade die Benin-Bronzen waren teilweise mehrere hundert Jahre
alt, bevor sie von den Briten geplündert und verscherbelt wurden. Viele
unserer Objekte sind in Europas Kriegen vernichtet worden. Ich frage mich,
was wir von den Dieben unserer Kulturschätze, die gar nicht wissen, was sie
haben, lernen könnten!
Kopp: Auch um solchen fadenscheinigen Argumenten entgegenzutreten ist ja in
Nigeria vor einigen Monaten der programmatisch benannte „Legacy Restoration
Trust“ gegründet worden. Der LRT ist die gemeinsame Interessenvertretung
der nigerianischen Nationalregierung, des Gouverneuers von Edo sowie des
regierenden Obas von Benin, und kümmert sich auch um das geplante
Benin-Museum.
Vom Auswärtigem Amt heißt es, es gebe kein offizielles Rückgabegesuch aus
Nigeria. Was sagen Sie dazu?
Mboro: Auch das ist eine Unverschämtheit: Nicht nur fordert Nigeria die
Benin-Bronzen seit Jahrzehnten zurück. Der nigerianische Botschafter in
Deutschland hat auch erst vor wenigen Monaten diese Forderung wieder
schriftlich eingereicht. Wie offiziell soll es denn noch werden? Soll das
Staatsoberhaupt Nigerias nach Berlin kommen und auf Knien darum bitten?
Kopp: Selbst wenn Länder noch keine offiziellen Rückgabeforderungen erhoben
haben: Sind wir hier in Deutschland nicht dazu verpflichtet, die
Herkunftsgesellschaften proaktiv darüber zu informieren, wenn sich in
unseren Sammlungen menschliche Gebeine, Kultur- oder Naturschätze finden,
die in der Kolonialzeit hierher verschifft wurden? Müssten wir diese nicht
von selbst umgehend zur Rückgabe anbieten?
Welche Rolle spielt der nigerianische Botschafter hier in Berlin in der
Angelegenheit?
Mboro: Botschafter Yusuf Tuggar hat seit seiner Ankunft in Deutschland in
2017 den moralischen Druck auf die deutschen Museen deutlich erhöht und an
den Anstand der Deutschen appelliert. Erst vor wenigen Tagen [2][sprach er
in einem Zeitungsartikel] von der kolonialen Aggression, die andauert,
solange die Institutionen in ihren Depots koloniales Raubgut verbergen. Ich
wäre froh, wenn auch andere afrikanische Botschaften so deutlich wären.
Es gibt seit 2010 die Benin-Dialogue-Group, in der Museen aus Europa, die
Benin-Bronzen haben, mit Museen in Nigeria reden. Was halten Sie von dieser
Runde?
Kopp: Die Gruppe war die Antwort der westlichen Museen auf die bewegenden
Rückgabeappelle von Mitgliedern der Oba-Familie während der großen
Benin-Ausstellungen 2007/08 in Wien, Paris, Berlin und Chicago. Es ging den
Museen dabei nicht um Restitutionen, sondern um degradierende „Leihgaben“
an Nigeria. Nach zehnjähriger Diskussion hat die Gruppe nicht einmal das
erreichen können.
Bei früheren Abwehrkämpfen haben hiesige Museen, wie Savoy schreibt, das
Problem aufgebauscht: Bei der Rückgabe-Frage gehe es prinzipiell um alle
Bestände von „Völkerkundemuseen“, die man also schützen müsse. Wie ist …
Geht es um „alles“ oder um Rennomierstücke?
Mboro: Es geht sicher nicht um die gesamten Bestände. Selbst in
ethnologischen Museen kommen nicht alle Objekte aus kolonisierten Gebieten.
Aber es kann auch nicht nur um einzelne Prestigeobjekte gehen, die uns von
den Nachfahren der Räuber gnädig zurückgegeben werden. Es geht um unsere
Ahnen und unser Eigentumsrecht an allen Kultur- und Naturschätzen, für die
ein rechtmäßiger Erwerb durch die Museen nicht nachgewiesen werden kann.
Wenn das anerkannt ist, werden wir uns überlegen, was wir den Häusern im
Norden unter welchen Bedingungen als Leihgabe überlassen.
Hiesige Museen sagen immer, vor der Rückgabe müssten die Bestände gründlich
inventarisiert und jede einzelne Provenienz erforscht werden. Man fragt
sich, warum dies in über 100 Jahren offenbar nie passiert ist. Jetzt
schreibt Savoy, es war gezielte Strategie der Museen, keine „Objektlisten“
zu erstellen, um Rückgaben zu verzögern. Macht das nicht wütend?
Kopp: Ja, das ist wirklich ein Skandal, den Bénédicte Savoy da offenlegt.
Allerdings spricht sie wohl eher von der strategischen Weigerung der
Museen, vorliegende Inventarlisten auszuhändigen oder zu veröffentlichen.
Was die Provenienzforschung angeht, haben Sie natürlich Recht: so sehr das
jetzt in den Vordergrund gerückt wird, so wenig wollten und sollten die
Sammlungen früher darauf schauen.
Die Leiterin der Benin Dialogue Group, Barbara Plankensteiner, Direktorin
des Hamburger Museums am Rothenbaum, betonte kürzlich, die Bronzen seien
„Höhepunkte globaler Kunst“. Auch dieses Argument ist bekannt: Es gehe um
das „gemeinsame Erbe der Menschheit“, das in Europa besser geschützt werden
könne als in Afrika. Gleichzeitig warnt Plankensteiner, Rückgaben zu
„übereilen“ und die „nigerianischen Partner zu überfordern“. Wirken h…
vielleicht unbewusst, alte Rassismen weiter?
Mboro: Die Behauptung, afrikanische Kulturschätze wären im Westen besser
aufgehoben, ist wirklich rassistisch. Aber so eine Position habe ich
Plankensteiner noch nicht vertreten hören. Allerdings tritt sie jetzt
offenbar auf die Bremse und versucht, den Prozess unter Kontrolle zu
halten. Warum sollen Museen nicht selbst aktiv werden und eigenständig
Rückgaben anbieten? Wie kann sie nach 124 Jahren vor übereilten Aktivitäten
warnen? Warum soll es weitere Verhandlungen hinter verschlossenen Türen
geben?
Kopp: Ärgerlich finde ich, dass sie die Benin Dialogue Group nun
gleichzeitig zum Motor der Rückgabebewegung stilisiert, obwohl
Rückgabeforderungen natürlich immer schon von den Enteigneten selbst kamen
und im Norden immer nur einzelne Unterstützer:innen fanden. Dialog ist
immer gut, aber wenn er in 10 Jahren keine greifbaren Ergebnisse vorweisen
kann, wirkt das eher wie eine Hinhaltetaktik.
Kulturstaatssekretärin Monika Grütters plant ein Spitzentreffen zur Frage
der Benin-Bronzen, dazu soll noch im April eingeladen werden. Was erwarten
Sie sich davon?
Mboro: Ich hoffe, dass sich Bund und Länder nun endlich auf bedingungslose
Rückgaben und eine Bitte um Entschuldigung gegenüber Nigeria und anderen
Ex-Kolonien einigen. Deutschland könnte dabei nur gewinnen. Allerdings
zweifle ich daran, dass das wirklich das Ziel des Treffens ist.
Kopp: Ich befürchte, dass hier eher verhindert werden soll, dass einzelne
Bundesländer und Kommunen vorauseilen und auf eigene Faust Benin-Bronzen
zur Rückgabe anbieten könnten. Der Bund und konservative Länder im Besitz
der Kunstwerke wollen sicher nicht unter Zugzwang geraten. Verständlich
daher, dass sie im Umgang mit Nigerias Rückgabeforderungen auf
Geschlossenheit und eine nationale Strategie setzen. Allerdings scheinen
die Dämme nun auch außerhalb Deutschlands zu brechen: die Universität von
Aberdeen und die Anglikanische Kirche wollen Benin-Bronzen restituieren und
selbst das bedeutende Smithonian National Museum of African Art in
Washington D.C. ließ nun seine Vizedirektorin verkünden, dass es
unverzüglich einen „Restitutionsprozess, der auch Rückführungen umfasst“
einleiten wird.
16 Apr 2021
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[2] https://www.sunnewsonline.com/benin-bronzes-and-restitution-the-journey-thu…
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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