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# taz.de -- Provenienzforschung zu NS-Raubkunst: Spurensuche nach mehr als 70 J…
> Im Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam lagern viele Akten zu
> NS-Raubkunst. Nun findet deren erste systematische Untersuchung statt.
Bild: Restauratorin Vanessa Müller im Brandenburgischen Landeshauptarchiv und …
Potsdam taz | Endlich kann die Spurensuche losgehen: und zwar in den rund
42.000 Akten der sogenannten Vermögensverwertungsstelle – dem Amt, das die
Nationalsozialisten eigens dafür einrichteten, um das von Juden und anderen
Verfolgten geraubte Eigentum systematisch zu verwerten.
Provenienzforscherin Dr. Irena Strelow will die Akten, die seit Jahrzehnten
im [1][Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam] liegen, mit ihrem
Team nach NS-Raubkunst durchforsten.
Dass Strelows Projekt mit 3,6 Millionen Euro vom Bund gefördert wird,
verwundert nicht. Mit der Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung von
1998 hatte sich Deutschland dazu verpflichtet, in Fällen von
NS-verfolgungsbedingtem Entzug von Kulturgütern eine „faire und gerechte
Lösung“ zu finden.
Wie oft es seither zu einer Rückgabe oder Entschädigung kam, ist ungewiss.
Es gibt keine Statistik darüber. Expert*innen sind sich jedoch einig,
dass es zu wenig ist.
Dass die deutsche Politik Wiedergutmachung immer noch in das Kulturressort
abschiebt und nicht im Sinne der historischen Verantwortung priorisiert,
dafür sprechen fehlende oder unterfinanzierte Provenienzforschungsstellen
an Museen sowie die Antragsbedingungen bei der öffentlichen Stiftung
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste. Die schüttet Forschungsgelder nur dann
aus, wenn der Antragsteller den nötigen Eigenanteil aufbringen kann.
Privatpersonen müssen das nach Auskunft der Stiftung nicht, jedoch ist
davon auszugehen, dass hier zum Teil erhebliche Vorleistungen nötig sind,
um den Antrag überhaupt stellen zu können. Und natürlich muss das Wissen um
eine solche Möglichkeit vorhanden sein. An entsprechender Kommunikation
scheint es jedoch ebenfalls zu hapern.
## Langsame Aufarbeitung
Die Mitglieder der Beratenden Kommission, die Schlichtungsstelle in
Sachen Raubkunst, arbeiten rein ehrenamtlich, ihre Empfehlungen sind nur
für Institutionen bindend, die vom Bund finanziert werden – Museen sind
aber oft Ländersache. Trotz vieler Beteuerungen kann die Kommission bis
heute nicht einseitig angerufen werden – verweigern sich die Museen einer
Schlichtung, ist für die Opfer hier Endstation. Was deutlich macht, dass es
vor allem an einem fehlt: dem politischen Willen für ein
Restitutionsgesetz, das es den Opfern und ihren Angehörigen ermöglicht, ihr
Recht einzuklagen.
Aber nicht nur die Politik ist schuld an der langsamen Aufarbeitung, meint
Irena Strelow. Ihrer Ansicht nach hat man in der Provenienzforschung bisher
auf die falsche Methode gesetzt. So wird hier stets vom Kunstobjekt
ausgegangen, indem man etwa Inventarbücher von Museen konsultiert. „Solche
Spuren enden schnell im Nichts“, sagt Strelow. Stattdessen müsse „man von
den Akteuren ausgehen, die an dem Raub beteiligt waren“. Also bei den
Tätern und ihren schriftlichen Hinterlassenschaften.
„Das ist das erste Mal, dass ein Aktenbestand dieses Umfangs komplett
durchgegangen wird“, erklärt Informationswissenschaftlerin Julia
Moldenhawer, die das archivarische Mammutprojekt in Potsdam leitet: Seit
2019 konnten mehr als die Hälfte der über 1,5 Millionen Blätter restauriert
werden, sie wurden entsäuert und an Bruchstellen repariert. Von elf
Aktenpaketen, die sich auf 169 Regalmetern stapeln, sind bisher drei
digitalisiert worden. Für eine komplexe elektronische Suche wurde ein
Schlagwortkatalog erarbeitet.
[2][Der digitalisierte Bestand] soll nicht nur dem eigenen Team, sondern
auch den Angehörigen der Opfer sowie anderen Forschungsprojekten
langfristig dienen. Schließlich geht es in den Akten um die Verwertung
jeglichen jüdischen mobilen und immobilen Eigentums. Von der Aktie über das
Grundstück zum Bidet wurde alles zu Geld gemacht.
## Geraubte Kunstschätze
Unter den Dokumenten, die der Computer auf die Suche hin ausspuckt, sind
Inventarlisten, die bei einer Beschlagnahme erstellt wurden, sowie die
Protokolle amtlich bestellter Versteigerer. Quittungen belegen, wann
welches Werk wohin gegangen ist und was dafür gezahlt wurde.
Korrespondenz gibt es auch zu finden. Sie belegt, dass die geraubten
Kunstschätze nicht zufällig in die Bestände staatlicher Museen gelangt
sind. So erkundigte sich beispielsweise der Direktor der Berliner
Nationalgalerie, Paul Ortwin Rave, gezielt nach Kunstwerken aus dem Besitz
der nach England geflohenen Marie Busch. Diese erbte die Sammlung ihres
Mannes nach dessen Suizid im Sommer 1938. „Felix Busch hat direkt neben dem
Pergamonmuseum gewohnt“, weiß Irena Strelow. „Dahinter befand sich die
Nationalgalerie. Die kannten den alle, die wussten, was der in seiner
Sammlung hatte.“
Die Verwertung jüdischen Kulturguts hatte System, das zeigen auch die
Forschungen von Strelows Kolleginnen Stella Baßenhoff und Johanna Heil.
Anhand konkreter Fälle versuchen sie die Systematik im Vorgehen der
NS-Behörden zu ermitteln. Irena Strelow: „Wenn wir die Abläufe verstanden
haben, können wir in der Recherche schneller werden.“
Und um Tempo geht es, wenn man es mit NS-Raubgut zu tun hat. „Je mehr Zeit
verstreicht, desto schwieriger wird es“, sagt Prof. Dr. Julius Schoeps. Er
ist nicht nur der Enkel von Marie Busch, sondern gehört auch zu den 29
Erben von Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Als Sprecher der
Erbengemeinschaft setzt sich Schoeps für die Restitution von Picassos
„Madame Soler“ ein, die von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen seit 13
Jahren verweigert wird. „In fünf Jahren wird sich die Zahl der Erben
verdoppeln und verdreifachen. Dann können solche Fälle kaum mehr gelöst
werden“, so Schoeps. „Der Verdacht besteht, dass gerade darauf spekuliert
wird.“
## Suche nach den Lücken in der Akte
Zurück ins Brandenburgische Landeshauptarchiv. Hier hat die Recherche in
digitalisierten Bestand begonnen. „In einem bestimmten Fall hat sich ein
Anfangsverdacht nicht bestätigt“, sagt Strelow zu den Treffern, die sie
bisher untersucht hat. „Aber dafür hat zwei Zeilen drüber etwas gestanden,
wo ich dachte: das muss doch zu finden sein. Das war der erste Fund
aufgrund der elektronischen Suche.“ Die Beweisführung ist abgeschlossen,
das Dossier an das Museum versandt. Da der Eingang noch nicht bestätigt
wurde, will Strelow jedoch nicht darüber sprechen.
Dafür öffnet sie die Akte eines anderes Falls, der auch gerade
abgeschlossen wurde. „Ich suche immer nach den Lücken in der Akte:
aufscheinende Objekte, die im Verlauf der Verwertung nicht nochmals
auftauchen, weil sie selektiert wurden.“ Gemeint ist hier unter anderem ein
Gemälde von [3][Karl Blechen] „Das Mühlental von Amalfi“, das für das
Führermuseum Linz aussortiert wurde und heute im Besitz der
Kulturverwaltung des Bundes ist.
Das Werk gehörte zu einer großen Sammlung, die der ins Ausland emigrierte
Jude Edgar Moor von seinen Onkeln Arthur und Eugene Goldschmidt erbte, die
sie wiederum von ihrem Vater geerbt hatten. Wenige Tage nach der
Reichspogromnacht nahmen sich Moors Onkel das Leben.
Neben den Testamenten gibt es Dokumente, die Strelow aus etlichen anderen
Archiven zusammengetragen hat. Sie beweisen, dass es sich bei dem Großvater
von Edgar Moor genau um den Dr. H. Goldschmidt handelte, der auf einer
Karteikarte der Alliierten als Vorbesitzer eingetragen ist: Dazu gibt es
Einträge aus Adressbüchern, einen Wohnungsgrundriss sowie eine an
Goldschmidt adressierte Baugenehmigung.
## Aufwändige Beweisführung
Eine ziemlich komplizierte und aufwändige Beweisführung, wie auch eine
Rekonstruktionsgrafik zum Fall zeigt. Strelow sagt von sich selbst, dass
sie von ihren Recherchen „besessen“ ist. „Ich wache nachts auf, da fällt
mir ein, wo sich ein Objekt befinden könnte, dann mache ich Licht an und
schreib mir das auf. Also ich arbeite immer. Auch im Urlaub.“
Das Dossier zu dem Fall „Das Mühlental von Amalfi“ ist jüngst an die
Kulturverwaltung des Bundes gegangen. Auf taz-Anfrage wird bestätigt, dass
sich das Gemälde derzeit im Fürst-Pückler-Museum in Cottbus befände und man
eigene Recherchen anstelle. Sollte sich der Verdacht bestätigen, werde
„eine Restitution an die noch zu ermittelnden Berechtigten beabsichtigt“.
Was Irena Strelow angeht, so kann sie nur hoffen, dass es tatsächlich zur
Rückgabe kommt. „Wir haben keinen Einfluss darauf“, sagt sie. „Das Proje…
sieht ja nur vor, dass wir die Museen benachrichtigen und die
Rechtsnachfolger der Betroffenen auch informieren.“ – Sofern diese denn
bekannt sind.
Hier wird eine weitere Besonderheit des Potsdamer Projekts deutlich:
Während bisherige Verdachtsfälle von NS-Raubkunst meist auf Betreiben
beziehungsweise Druck der Opfer oder ihrer Rechtsnachfolger untersucht
wurden, führt Strelows Methode dazu, dass auch Fälle bearbeitet werden, um
die sich bisher niemand bemüht hat. Sei es, weil die Nachkommen nichts von
ihrem Erbe wissen, sie nicht die nötigen Mittel aufbringen können, sich der
enorme finanzielle und auch Kraftaufwand nicht lohnt – oder es keine Erben
gibt.
Irena Strelow fällt es nicht leicht, den Fall „loszulassen“, ehe das Objekt
bei den Nachkommen der Geschädigten oder, im Fall deren Nichtexistenz, bei
jüdischen Institutionen landet, also endlich Gerechtigkeit geschieht. Aber
die Arbeit geht weiter. Der nächste Fall wartet schon.
16 Apr 2022
## LINKS
[1] https://blha.brandenburg.de/index.php/2020/11/17/provenienzforschung-pilotp…
[2] https://blha.brandenburg.de/index.php/projekte/ofp-projekt/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Blechen
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
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