# taz.de -- Pfandleihhaus als letzte Rettung: Wenn's Geld zu knapp ist | |
> In Berlin gibt es 18 Leihhäuser. Für viele Menschen sind sie nicht nur | |
> die einfachste, sondern auch die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen. | |
Bild: Im Leihhaus von Stephan Goebel reicht der Stammkunde Ivan D. eine Handy �… | |
BERLIN taz | „Am besten, Sie kommen am Ultimo“, sagt Stephan Goebel am | |
Telefon der taz. Denn am letzten Tag im Monat trudelt bei den meisten | |
Kund*innen seines Leihhauses wieder Geld auf dem Konto ein – und sie | |
kommen in Scharen, ihr Pfand auszulösen. | |
[1][Das Leihhaus Goebel liegt in der Gotzkowskystraße in Moabit]. Dass | |
diese Gegend von vielen Menschen bewohnt wird, die knapp bei Kasse und | |
reich an Not sind, darauf deutet nicht nur Goebels Geschäft hin. In einem | |
Waschsalon trifft man auf Leute, die keine eigene Maschine besitzen, ein | |
Büro gesetzlicher Betreuer bietet Erwachsenen mit psychischen und | |
Suchtproblemen Hilfe an, beim Roten Kreuz an der Ecke tummelt sich eine | |
große Traube Bedürftiger vor der Kleiderausgabe. Bei einer Bank würden | |
Leute wie sie kaum einen Kredit bekommen. | |
Im Leihhaus braucht es hingegen weder [2][Schufa-Erklärung] noch | |
Aufenthaltsgenehmigung oder Bankkonto, auch werden keine unangenehmen | |
Fragen gestellt. Goebel: „Uns reichen ein beleihbarer Gegenstand und ein | |
Ausweis.“ | |
Stephan Goebel spricht nicht nur als langjähriger Pfandleiher, sondern auch | |
als Vorsitzender der Vereinigung Privater Pfandkreditverleiher, eines | |
Zusammenschlusses der 24 ostdeutschen Leihhäuser. Der Großteil davon ist in | |
Berlin ansässig, in den übrigen ostdeutschen Ländern gibt es nur sechs. Das | |
Pfandgeschäft lebe von Laufkundschaft, es lohne sich also nur in dicht | |
besiedelten Gebieten, erklärt Goebel, der den Familienbetrieb nun schon in | |
der vierten Generation führt. „Wir sind hier so was wie ’ne Kiezkneipe.“ | |
## Das Problem, mit Geld umzugehen | |
Zu Goebels Kundenstamm gehören Menschen aller Altersgruppen, Leute, bei | |
denen das Cent-Umdrehen zum Alltag gehört, wie Studierende, Arbeitslose, | |
Renter*innen und prekär Beschäftigte, aber auch Personen mit festem und | |
besserem Einkommen. „Das, was viele meiner Kunden eint, ist das Problem, | |
mit Geld umzugehen“, sagt Goebel. Aber das sei nicht ihre Schuld. „Wenn man | |
das nicht als Kind gelernt hat, hat man es schwer.“ | |
Bei Ivan D., der wie alle Kund*innen nur mit seinem Vornamen genannt | |
werden will, liegt das Problem woanders. Der Lohn, den er als Hundeführer | |
im Security-Gewerbe trotz 60 Wochenstunden verdient, ist viel zu gering, um | |
seine beiden Hunde zu ernähren. Daran ändert auch die Aufstockung durch die | |
Arbeitsagentur nichts. Die Hunde bräuchten für rund 400 Euro Futter im | |
Monat, rechnet er vor, die Inflation mache alles noch teurer. „Ich esse | |
kaum etwas.“ | |
Und dann stand auch noch eine Tierarztrechnung an – Ivan D. blieb nichts | |
anders übrig, als sein Handy zu verpfänden. „Das mache ich immer in | |
Notfällen“, sagt er. „Aber nur für zwei, maximal vier Wochen. Ich brauch | |
das Handy ja. Online-Banking kann ich mit meinem alten nicht machen.“ | |
Ivan D. vertraut Herrn Goebel so sehr, dass er nicht einmal den Leihschein | |
mitnahm, aber auch der Pfandleiher zeigte Vertrauen, weil er ein iPhone | |
akzeptierte, das macht er normalerweise nicht. Ivan D. ist darüber so | |
dankbar, dass er die 4,80 Euro, die er Goebel für 130 Euro Kredit bei einer | |
einmonatigen Laufzeit zahlen muss, großzügig aufrundet. „Bis zum nächsten | |
Mal!“, ruft er im Hinausgehen. | |
## Viel Stammkundschaft | |
Bei den meisten Leuten an diesem Vormittag handelt es sich um | |
Stammkundschaft. Auch Monica B., die als Reinigungskraft arbeitet, ist | |
nicht das erste Mal hier. Dass ihre Mutter diesmal gleich mehrere | |
Schmuckstücke verpfändet hat, liegt an einer besonderen Notsituation. | |
„Meine Großmutter hat Krebs, wir haben sie aus Polen hierhergeholt und | |
mussten für sie Medikamente kaufen, und die sind teuer.“ | |
Richtig erleichtert ist die junge Frau, dass sie die geliebten | |
Familienerbstücke abholen kann, nur einen Pfandschein musste sie | |
verlängern. Monica B. lächelt zuversichtlich: „Das letzte Stück hole ich | |
nächsten Monat.“ | |
Neben Schmuck und Uhren nimmt Stephan Goebel vor allem elektronische Geräte | |
an, aber auch Fahrräder und andere Gegenstände kommen infrage – sofern | |
diese Platz im Lager haben und sich grundsätzlich verkaufen lassen. Denn | |
kommt es auch nach mehrmaliger Verlängerung – bis maximal 10 Monate – nicht | |
zu einer Auslösung, muss Goebel das Pfand versteigern, so will es das | |
Gesetz. Der Erlös ist abzüglich der Leih- und Versteigerungskosten dem | |
Eigentümer auszuzahlen. Sofern er sich denn meldet. Andernfalls muss das | |
Geld an die Landeskasse abgegeben werden, bei Goebel sind das mehrere | |
tausend Euro im Jahr. Goebel: „Versteigert werden aber nur fünf Prozent der | |
Pfandstücke, der Großteil wird abgeholt.“ | |
Dank Internet ließe sich herausfinden, ob ein Ding nachgefragt ist und was | |
es auf dem Markt gerade bringt. Bei Handys und anderer Elektronik ist das | |
Alter des Geräts entscheidend, deswegen werden diese nur mit Kaufbeleg | |
akzeptiert. Schmuckstücke prüfen die Pfandleiher auf Echtheit, bei Gold | |
greifen sie im Einverständnis mit dem Kunden auch mal zur Säge. | |
## „Das ist Berufsrisiko“ | |
Goebel: „Immer wieder werden uns Stücke angeboten, die nur vergoldet sind | |
und innen einen Kern aus Blei haben. Das hat ein ähnliches Gewicht.“ Trotz | |
großer Vorsicht und 38-jähriger Berufserfahrung ist aber auch Goebel nicht | |
vor Betrug gefeit; gerade erst hat er 3.000 Euro für Falschgold in den Sand | |
gesetzt. „Das ist Berufsrisiko“, sagt er seufzend. | |
Auch aus diesem Grund zahlt Goebel seiner Kundschaft nicht den vollen Wert, | |
sondern nur etwa 80 Prozent davon aus. „Das ist natürlich auch | |
Kulanzsache“, sagt Goebel. „Je nach dem, wie gut ich den Kunden kenne, gebe | |
ich auch mal mehr.“ Nichts selten hängt der Betrag auch davon ab, wie viel | |
vonnöten ist. | |
Bei Siegmund S. zum Beispiel waren das 1.100 Euro für den neuen Computer | |
des Enkels: „Nicht ganz 1.000 haben wir gekriegt, den Rest haben wir so | |
berappt.“ Heute Morgen lag die Rente auf dem Konto, Herr S. machte sich | |
sofort auf, um einen Teil der beliehenen Dinge, Ring und Halskette, | |
auszulösen. Der alte Mann streicht sich um den Hals. „Da hab ich mich ganz | |
schön nackig gefühlt.“ Seine Freude trübt auch nicht das Wissen, dass ihm | |
das Geld, das er heute zurückbezahlt hat, später im Monat fehlen wird. Das | |
müsse er nun beim Essen einsparen. Und zur Not komme er eben wieder. „Das | |
geht von einer Hand in die andere.“ | |
In der Regel werden heute meist kleinere Beträge durch den Spalt in der | |
schusssicheren Thekenverglasung gereicht. Stammkunde Michael S. etwa holt | |
sich nur 10 Euro ab. „Wir schreiben auch Pfandscheine für kleinere | |
Beträge“, sagt Goebel. Er weiß: Was für den einen Peanuts sind, sind für | |
den anderen die letzte Rettung. „Wenn wir einem Studenten am Ende des | |
Monats 5 Euro geben, dann kriegt der Spaghetti mit Tomatensoße.“ | |
## „Im Durchschnitt beleihen wir 240 Euro“ | |
Geringe Leihbeträge sind für Berlin typisch, wo das Kreditvolumen insgesamt | |
sehr viel geringer ist als etwa in München oder Hamburg. „Im Durchschnitt | |
beleihen wir hier nur 240 Euro.“ In Westdeutschland sind es fast doppelt so | |
viel. Goebel zufolge liegt das daran, dass dort auch gut getuchte Leute wie | |
Manager oder höhere Angestellte ins Leihhaus gingen. In Berlin tun sie dies | |
eher selten. | |
Ist der Gang zum Leihhaus in der Hauptstadt also immer noch so | |
schambehaftet, dass sich nur die hintrauen, denen nichts anderes übrig | |
bleibt? Goebel glaubt das nicht. Die letzte Generation habe das Image des | |
Leihhauses stark aufpoliert. Das befände sich nicht wie früher versteckt | |
auf oberer Etage oder im Hinterhaus, sondern zeige sich offen zur Straße, | |
„mit einem Design zwischen Juwelier und Bank“. Auch das Image der | |
Pfandleiher selbst habe sich gebessert, meint Goebel. Das oft auch | |
antisemitische Klischee des geldgierigen Halsabschneiders sei Schnee von | |
gestern. | |
Nichtsdestotrotz befindet sich das Leihgewerbe schon seit Jahren in steter | |
Stagnation, wenn nicht sogar in der Krise. Das hat auch mit der | |
Coronapandemie zu tun. Anders, als man es angesichts der zahlreichen | |
Verdienstausfälle und Insolvenzen erwartet hat, gab es keinen Run auf | |
Leihhäuser. „Im Gegenteil“, sagt Goebel, „die Leute haben ihre Sachen | |
plötzlich alle abgeholt.“ Möglicherweise liegt das daran, dass während des | |
Lockdowns weniger konsumiert werden konnte. Goebel vermutet noch einen | |
anderen Grund: „Gold vermittelt das Gefühl von Sicherheit.“ Und das war in | |
dieser Zeit wohl nötiger als Geld. | |
Erst in diesem Frühjahr habe sich das Pfandleihgeschäft von der Coronakrise | |
erholt, so Goebel. Aufwärts gehe es aber nicht, daran ändere auch die | |
Inflation bisher nichts. „Die Leute fangen jetzt erst mal an zu sparen und | |
geben weniger für Urlaub und Restaurants aus“, mutmaßt der Pfandleiher. Bis | |
die Reserven aufgebraucht sind, werde es noch etwas dauern. „Kommen Sie im | |
August wieder. Dann ist hier vielleicht mehr los.“ | |
27 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://leihhaus-goebel.de/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Schufa | |
## AUTOREN | |
Karlotta Ehrenberg | |
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