# taz.de -- Urbane Orte auf dem Land: An den Trommeln | |
> Waschsalons sind die urbansten Orte, die man sich nur vorstellen kann, | |
> findet unser Autor. Selbst wenn sie irgendwo draußen im Speckgürtel | |
> stehen. | |
Bild: Ganz egal, wo die Maschinen stehen: Urbaner als hier wird's auch am Kotti… | |
Irgendwo im Chaos meines Arbeitszimmers muss eine alte Zeichnung liegen, | |
die ich mit sieben oder acht Jahren gemacht habe. Sie war eine Hausaufgabe | |
in der Grundschule und sollte meine Sommerferien zeigen. Wer sich das | |
Gekrakel anguckt, vermutet meist Bullaugen in den unförmigen Kullern – | |
mehrere Reihen davon – und rät dann, dass ich diesen Urlaub wohl auf einem | |
Kreuzfahrtschiff verbracht habe. Stimmt aber nicht. | |
Ich war mit meinen Eltern im großen Berlin, und die Kreise sind die | |
Türklappen von Wäschetrocknern. Es war ein Waschsalon, der am | |
nachdrücklichsten hängengeblieben ist, in dieser an Reizen vermutlich nicht | |
ganz armen Großstadtwoche. | |
An dieser Faszination hat sich bis heute nichts geändert. Noch immer sind | |
Waschsalons mein Inbegriff von Urbanität; mehr als alberne Clubs, | |
überteuerte Kaufhäuser und siffige Kiezecken. Umso überraschter war ich, | |
neulich auch hier auf dem Dorf einen zu finden – und erleichtert noch dazu, | |
weil unsere eigene Waschmaschine den Geist aufgegeben hatte und sich zu | |
Hause bergeweise Klamotten und Bettwäsche stapelten. | |
Dieser Salon wirkt nicht nur in seiner ländlichen Umgebung kurios. Neben | |
alten Automaten stehen noch ältere Telefonbücher im Regal, Zeitungen von | |
vorvorheriger Woche liegen herum und zwischen untoten Pflanzen am Fenster | |
schlummert ein sonderbares Großgerät, das eine Mangel sein könnte oder aber | |
schwere Artillerie. Wirft man Münzgeld (nur das geht) ein, wird die Summe | |
in „D-Mark“ angezeigt, und wer sich dann nicht beeilt, ist das Geld auch | |
einfach los. | |
## Zu teuer für die Reichen | |
Obwohl die Salonwäsche 4,50 „Euro“ kostet, habe ich mir mit dem Kauf einer | |
neuen Maschine Zeit gelassen. Von wegen Nachhaltigkeitsblabla hatte ich eh | |
besondere Ansprüche, aber zur Wahrheit gehört auch, dass ich sehr gern mit | |
den Fahrradtaschen voller Schmutzwäsche in diesen schrulligen Laden | |
gefahren bin. | |
Vielleicht aus Sehnsucht nach der Stadt, der ich mich [1][seit dem Umzug | |
aufs Land] selten so nah gefühlt habe – vielleicht aber auch aus hilf- und | |
sinnloser Solidarität mit der übrigen Kundschaft. Denn natürlich leisten | |
sich sonst nur Leute diese teuren Wäschen, die eben kein Geld haben, denen | |
es an Platz in der Wohnung fehlt oder an den paar hundert Euro auf Schlag. | |
Ich habe recht viel mit Wohnungslosen zu tun, darunter einige | |
Stammkund:innen von Waschsalons. Es ist wie mit dem Kochen: Ohne Herd | |
und Kühlschrank ist Ernährung eine teure Angelegenheit. Wer auf der Straße | |
gelegentlich warm essen oder eben mal einen frischen Schlüppi anziehen | |
will, zahlt dafür ungefähr das Zehnfache [2][halbwegs organisierter | |
Hauswirtschafter:innen]. | |
Und vielleicht liegt darin auch das eigentlich Urbane dieser Idee vom | |
Waschsalon: Als unpraktische, aber irgendwie folgerichtige Idee, die kein | |
Problem löst, aber manche handhabbar macht – die als Ausdruck von Elend | |
erschrecken sollten und weggesprengt gehörten – und die mir stattdessen | |
offenbar schon als reisendem Dorfkind kultig, modern und faszinierend | |
erschienen. Großstadt eben. | |
3 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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