| # taz.de -- Linksradikale Hauswirtschaftler: Die fetten Jahre sind vorbei | |
| > In der Krise heißt es, Gürtel enger zu stellen, oder wenigstens das Geld | |
| > gelegentlich mal zu zählen. Das bringt mitunter ungeahnte Erkenntnisse | |
| > hervor. | |
| Bild: Praktisch sind Spätis bestimmt – aber schon auch etwas teurer als der … | |
| Es gibt ja nur wenig Gutes zu berichten gerade – so zeitenwendenmäßig – | |
| aber über Tobi am Bremer Hauptbahnhof hab ich mich dann doch ein bisschen | |
| gefreut. Der war gerade martialisch demonstrieren wegen der | |
| Lebensmittelpreise, wegen Heizkosten und sogar Benzin, obwohl er gar kein | |
| Auto besitzt, von dem ich wüsste. Was er hingegen schon hat, ist recht. In | |
| diesem Fall jedenfalls. Dass die Krise planmäßig jene Menschen am | |
| heftigsten treffe, denen es eh schon am beschissensten gehe, hat er zum | |
| Beispiel gesagt. Lustig ist daran wenig, eines aber eben doch: Tobi gehört | |
| nämlich zu jenen Menschen, die bis vor Kurzem noch so ununterbrochen wie | |
| lautstark damit kokettiert haben, von Hauswirtschaft nicht den Hauch einer | |
| Ahnung zu haben. | |
| Ich wundere mich tatsächlich darüber, dass Tobi inzwischen weiß, was ein | |
| Liter Milch im Discounter kostet und wo der Preis vor einem Jahr noch | |
| stand. Sogar über die Dämmwerte seiner Wohnung kann er referieren – und er | |
| weiß auch zu berichten, wie viel Geld man so grob an die Seite schaffen | |
| müsse, um „sein Zeug in Schuss zu halten“. | |
| Dass wir uns genau darüber mal heftig gestritten haben, hat er wiederum | |
| vergessen. Da hatte er seinen von Papa bezahlten Laptop durch den Raum | |
| geworfen, weil’s ja nur ein „Gebrauchsgegenstand“ sei. Um Geld ging’s | |
| damals nur am Rande, eher um Fetischismus und dass man die ganze | |
| „Warenscheiße“ ja nun auch nicht vergöttern dürfe. Sein Essen hat Tobi | |
| damals übrigens zu einem beachtlichen Teil aus dem Späti bezogen, wo’s 2010 | |
| schon so teuer war, als hätten Krieg, Inflation und Ernteausfälle schon mal | |
| ausgetestet, was in 2022 preistechnisch so drin sein könnte. | |
| ## Pseudolinke Pseudokritik | |
| Warum ich das nun aber erzähle: Tobi war einer der schärfsten Kritiker | |
| (oder eher: einer der gröbsten Nervenärsche), als mein [1][Umzug aus der | |
| Großstadt] aufs Land anstand. „[2][Hyggescheiße“] hat er gesagt und | |
| „Heimatquatsch“ und „Selbstversorgerideologie“ und solche Sachen. | |
| Ich glaube gar nicht, dass es ihm wahnsinnig ernst damit war, aber ich habe | |
| trotzdem häufiger mal dran gedacht in den letzten Jahren. Vielleicht auch | |
| ein bisschen im Angedenken an meine inzwischen verblichenen Eltern, die | |
| diesen innerlinken Kulturkampf knapp 30 Jahre vorher schon durchgespielt | |
| hatten, als sie sich unter anderem meinetwegen aus ihrer Kommune | |
| zurückzogen. Zur Einweihung der dörflichen Kleinfamilienbehausung gab’s | |
| einen [3][Christiania]-Bildband als Abschiedsgeschenk mit der vergifteten | |
| Widmung „Trautes Heim, Glück allein“ vorne drin. | |
| Gesagt haben sie das nie, aber ich glaube, meinen Eltern tat das schon weh. | |
| Mir hingegen hat es eher geholfen, mich im späteren Leben von | |
| vorzeigelinken Arschlöchern nicht stressen zu lassen – und meinen Umgang | |
| auf sporadische Konzertbesuche und konkrete Revolutionsfragen zu | |
| beschränken. | |
| Ganz geklappt hat das natürlich nicht, und eigentlich ist Tobi auch kein | |
| richtiges Arschloch. Trotzdem konnte ich’s mir dann doch nicht verkneifen, | |
| mich betont plötzlich aus dem Gespräch zu verabschieden, weil ich zum Zug | |
| müsse – und zu Hause [4][Quitten] ernten, bevor die Sonne untergeht. | |
| Das war übrigens eiskalt gelogen, weil die in Wirklichkeit noch ein paar | |
| Tage brauchen. Aber es klang so gut, viel besser als die gerade ehrlich | |
| gesagt eher traurige Wegfresserei geplatzter Tomaten und verspäteter | |
| Gurken. Die Äpfel hingegen sind super, aber eben auch zu banal für eine | |
| gute Geschichte. | |
| 26 Sep 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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