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# taz.de -- Die Wertschätzerin: Lieb und nicht immer teuer
> Heide Rezepa-Zabel begutachtet im Museum der Dinge in Kreuzberg
> mitgebrachte Schätze. Dabei geht es längst nicht immer nur um materiellen
> Wert.
Bild: Oft sind es Erbstücke, die Menschen im Museum begutachten lassen möchten
Nicht immer ist es der Mensch, der zum Ding kommt. Oft kommt das Ding zum
Menschen. „Eigentlich wollten wir das gar nicht“, sagt Christine Liebe über
das alte Kunstwerk, das die Frauenrechtlerin Clara Zetkin zeigt. Gut ein
Jahr ist es her, dass Liebe und ihr Mann von einem Flohmarkthändler
überredet wurden, die alte Kreidezeichnung in dem kaputten Holzrahmen für
fünf Euro zu kaufen. Dabei hat das Bild keinen Platz bei ihnen.
Es muss wohl an der – nicht nur von Walter Benjamin beschworenen – Aura des
Bildes liegen, dass die Liebes am Ende doch zur Geldbörse griffen. Seither
versuchen sie, das Ding wieder loszuwerden. Bei zwei großen Berliner Museen
wurden sie für den Fund zwar beglückwünscht, Zeit und Geld für Expertise
gab es dort jedoch nicht. Und so sind sie nun hier gelandet, im Museum der
Dinge in Kreuzberg.
Hier kann man heute die aus der ZDF-Show „Bares für Rares“ bekannte
Sachverständige Heide Rezepa-Zabel antreffen. In einer persönlichen
Dingsprechstunde und bei der anschließenden, größeren Schätzrunde schaut
sie sich mitgebrachte Objekte an.
Und, ist das Kunst? – „Auf jeden Fall“, sagt Frau Rezepa-Zabel ohne zu
zögern. Was folgt, ist eine recht spontane, jedoch äußerst präzise
Begründung: Gut gearbeitet sei das Werk, der Duktus zeuge von Talent und
handwerklichem Können. Kürzel und Papierart ließen ein privates Blatt
vermuten und Zetkins gelöster Blick eine höchst intime Situation erspüren,
die vor mindestens achtzig Jahren tatsächlich stattgefunden haben müsse.
„Das ist alles in die Waagschale zu werfen.“
Ob die glücklichen Finder das Porträt in einem Auktionshaus zu Geld machen
können, muss sich jedoch erst zeigen. Denn der Markt stellt andere Fragen
an das Werk: „Wie viele Bilder sind sonst noch von ihr unterwegs? Und wie
groß ist das Publikum für solche Sachen?“
Dass ein Ding nicht allein nach seinem Sachwert, sondern auch und vor allem
nach dem Tauschwert bemessen wird, das weiß man nicht erst seit Marx. In
der Praxis hat das zum Beispiel zur Folge, dass große Kunst ohne Signatur
liegen bleibt, während weniger gute, aber signierte Werke großen Absatz
finden. Rezepa-Zabel: „Das hat auch was mit Spieltrieb zu tun, mit Zocken.
Das treibt mehr Menschen um als solche, die bereit sind, sich wirklich auf
Kunst einzulassen. Viele Antiquitätenhändler sprechen sogar von Antique
Gambling.“
Aber auch Angebot und Nachfrage entscheiden nicht allein über den Wert der
Dinge. „Man kann nicht in ein Geschäft gehen und sagen, ich möchte das
verkaufen, bitte nennen Sie mir einen realistischen Marktwert. Nein, das
sind immer Interessenswerte, die da vermittelt werden.“ Händler*innen
wollen verdienen – weshalb es zumindest bei hochwertigen Dingen sinnvoll
ist, jemand Unabhängiges dazwischenzuschalten. „Es gibt viele Leute, die
wirklich keine Ahnung haben, was sie da geschenkt bekommen haben. Und es
gibt viele, viele Händler, die davon sehr, sehr gut leben.“
Tatsächlich sind es nicht selten Erbstücke und Geschenke, die in die Hände
von Rezepa-Zabel geraten und auch heute wieder mitgebracht werden. Fast
alle der rund ein Dutzend Teilnehmer*innen der Schätzrunde haben
Schmuck dabei. Und das, obwohl Rezepa-Zabel sich auch in anderen Dingen
auskennt.
Um den Wert eines Schmuckstücks zu bemessen, braucht es eine Menge Zeugs:
Zu Rezepa-Zabels „Feldinstrumenten“ gehören diverse Geräte, die Edelsteine
bestimmen und messen helfen. Wie bei jeder Detektivarbeit braucht es aber
vor allem eine gute Lupe. Es sind die kleinen Oberflächenspuren, die die
wesentlichen Hinweise auf die Geschichte des Objekts geben. Je nach Tiefe
und Art der Kratzer lässt sich das Metall bestimmen. Die Kanten einer
Fassung lassen Art und Verarbeitung des Objekts verstehen und damit
zeitlich und örtlich verorten. Stempel sind hilfreich, können aber
gefälscht sein.
Im Fall eines filigranen Rings benötigt die Exptertin die Lupe nicht. Schon
der Glanz des Metalls verrät ihr, dass es sich um Gold handelt. Die
Gestaltung lässt sie den Ring auf das beginnende 19. Jahrhundert datieren,
denn sie entspricht dem herrschenden Geschlechterbild der Belle Époque:
„Das weibliche Ideal war das zurückgenommene Ideal, das dezente.“
Es ist erstaunlich, wohin Rezepa-Zabel ein einziges Ding führt. Der kleine
Diamant in einem Armreif lässt sie von der Mechanisierung der
Diamantenproduktion im späten 19. Jahrhundert berichten, der Vollschliff
sorgte dafür, dass der Stein im Kerzenlicht feurig brillierte. Kein
Zweifel, man hat es hier mit einer Person zu tun, die für das Ding brennt.
Und zwar ganz gleich, ob es sich um ein hochwertiges Armband oder einen
opulenten Ring mit einem falschen Rubin handelt. „Mit jedem Objekt
offenbart sich einem die Welt. Es ist ein Türöffner für weitere Türen,
durch die man gehen kann. Und das ist es doch, was uns umtreibt, das
Interesse für Menschen, für das Leben, genau das spiegeln einem Objekte
doch wider.“
Dies scheinen auch die Teilnehmer*innen der Schätzrunde im wahrsten
Sinne des Wortes zu begreifen, gebannt hören sie der Expertin zu, stellen
Nachfragen, schreiben mit. Eine von ihnen ist schon zum wiederholten Male
hier. Sie hat die Schmucksammlung ihrer Mutter geerbt: „Ich hatte nicht
mehr die Chance, mit ihr über jedes Teil zu sprechen. Jetzt höre ich mir
an, was Frau Doktor dazu zu sagen hat.“
In der Beschäftigung mit den Erbstücken kommt die Frau, die ihren Namen
nicht veröffentlicht sehen will, nicht nur der Historie der einzelnen
Objekte, sondern auch der eigenen Geschichte näher. Im alltäglichen Umgang
mit den schönen Dingen sucht sie den Kontakt zur Mutter: „Ich habe immer
gesagt, ich geh nicht auf den Friedhof, aber ich gehe jeden Tag mit ihr
los. Da ist meine Mama ganz doll bei mir.“
Damit ist sie an diesem Abend allein. Es fällt auf, dass die Stücke, die
unter die Lupe kommen, meist nicht getragen, sondern aufbewahrt werden. Im
Fall von Perlen keine gute Idee, wie Rezepa-Zabel erklärt. Ein
„ungeheuerlicher Genuss-Luxus“ seien Perlen, als Erbanlage taugen sie
jedoch nichts, weil ihr Glanz mit den Jahren verschwinde. Ob es umgekehrt
sinnvoll ist, sich von Glanz und Gold zu trennen und „schnelles Geld“ damit
zu machen, stellt Rezepa-Zabel jedoch ebenfalls infrage.
Wie Autos verlieren die allermeisten Schmuckstücke schon beim ersten
Verkauf drastisch an Wert. Zudem gehen Vorstellung und Wirklichkeit oft
stark auseinander. „Das ist durch die Familie gegangen mit den Worten: Das
ist ganz viel wert. Weil das glitzert ja. Dafür hat der und der ganz viel
Geld ausgegeben.“ Nicht selten endet mit der Schätzung eines Objekts seine
Legende.
Noch größer kann die Enttäuschung sein, wenn mit dem Ding noch etwas
anderes, Immaterielles bewertet werden soll. „Bei Schmuck, da wollen viele
sehen, ist das ein ehrlicher Schenker“, berichtet Rezepa-Zabel. „Und das
tut mir dann leid, wenn es nicht so ist, sehr, sehr leid. Muss man sich
natürlich auch vorher überlegen, ob man den anderen daran messen möchte.“
Eine heikle Situation, von der die Expertin abrät. „Wenn ich etwas
geschenkt bekommen würde, würde ich es nicht unter die Lupe nehmen. Der
sehr besondere Moment, die Freude, die Erinnerung, der ideelle Wert zählen
viel mehr als der Material- und Marktwert.“
Und so stellt sich am Ende vor allem eine Frage: Was ist mir persönlich
lieb und teuer? Um darauf eine Antwort zu finden, muss man kein Experte
sein, so Rezepa-Zabel, sondern vor allem eins: offen. Für das Ding und die
Welt, die sich in ihm verbirgt. „Kunst geht nicht nur von dem Objekt aus,
sondern vermittelt auch Aura, Ausstrahlung, die natürlich auch mit dem
Betrachter zu tun hat. Wenn der Betrachter dafür nicht offen ist, dann
verpasst er die Kunst.“
5 Apr 2022
## AUTOREN
Karlotta Ehrenberg
## TAGS
Museum
Schmuck
Kunst
Berlin-Kreuzberg
Pfand
Sommer vorm Balkon
Schafe
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