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# taz.de -- Museum der Dinge zieht um: Kreuzberg verliert seine Dinge
> Das Museum der Dinge schließt am 5. November in der Oranienstraße.
> Interimsmäßig zieht es an die Leipziger Straße und damit nach Mitte.
Bild: Das Museum, ein Fest für Sammler
Berlin taz | Letztlich werden es 900 Umzugskisten sein, mit denen die
Sammlung des Werkbundarchivs bis Ende des Jahres von ihrem Standort an der
Oranienstraße in Kreuzberg zum neuen Interimsort an der Leipziger Straße
transportiert werden. Noch mal so viele Kisten mit dem Archiv und dem Rest
der Sammlung kommen dazu. Denn das Museum der Dinge, das vom Werkbundarchiv
seit den 80er Jahren betrieben wird, muss am 31. Dezember dieses Jahres die
Räume in Kreuzberg verlassen, in denen das Museum seit 2007 seine exquisite
Sammlung von Alltagsdesign zeigt.
Bis zu 10 Mitarbeiter räumen darum bei laufendem Betrieb seit Mitte
September einen mit Exponaten voll gestopften Wandschrank nach dem anderen
aus und verpacken die Objekte sorgfältig in Umzugskartons. Inzwischen ist
die Hälfte der Wandschränke leer, Anfang November sind dann die großen
Vitrinen dran.
Das Museum der Dinge ist damit ein weiteres Opfer der Gentrifizierung von
Kreuzberg, der in der Oranienstraße 25 zwischen Adalbertstraße und
Rio-Reiser-Platz bereits die [1][Buchhandlung Kisch & C]o und die [2][Neue
Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK)] weichen mussten. In dem Gebäude, in
dem sich einst ein Yogastudio, ein Architekturbüro und verschiedene
Kunstorte befanden, stehen inzwischen die meisten Räume leer. Die
Briefkastenfirma Victoria Immo Properties V S.a.r.l., ein Immobilienfonds
mit Sitz im Steuerparadies Luxemburg, hat das ganze Gebäude im Eilverfahren
entmietet.
Das Museum der Dinge hätte eigentlich noch einen Mietvertrag bis 2024
gehabt, muss nun aber bereits zum Jahresende raus, wie das Museum im
November des vergangenen Jahres erfuhr. Am 5. November ist letztmals
geöffnet. So verschwindet in Kreuzberg, einst wegen der niedrigen Mieten
Wohnort von vielen Künstlern mitsamt Ateliers und Galerien, nicht nur ein
weiterer Kulturort. Für das Museum musste auch innerhalb eines Jahres ein
neuer Ort gefunden und ein komplexer und aufwendiger Umzug der
umfangreichen Sammlung geplant werden.
## Die Freude an den Objekten
Noch können viele der Dinge besichtigt werden, die die Sammlung des
Werkbund-Archivs so einzigartig machen: Geschirr und Nachttöpfe, Puppen und
verschiedene Generationen von Mobiltelefonen, Aschenbechern und
Deospray-Dosen, Sparschweine und Getränkeflaschen. Die Exponate sind dabei
nicht unbedingt nach den in einem Museum für Gestaltung üblichen Kategorien
geordnet, sondern nach ziemlich idiosynkratischen Kriterien, zum Beispiel
nach der Farbe oder nach Objekten mit Konstruktionsfehlern. Viele Vitrinen
quellen gleichsam über vor lauter einzigartig gestalteten Dingen. Man merkt
der Präsentation förmlich die Freude an den Objekten bei denjenigen an, die
sie sammeln und ausstellen.
Damit muss das Werkbund-Archiv, das seit seiner Gründung in den 70er Jahren
unter anderem schon im Bröhan-Museum und im Martin-Gropius-Bau Unterschlupf
gefunden hatte, wieder einmal umziehen. Seit 2007 war das Museum der Dinge
in den Räumlichkeiten mit der 960 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche,
in der neben der Präsentation der Sammlung auch Sonderausstellungen in
einem eigenen Raum gezeigt werden können – im Augenblick zum Beispiel eine
höchst empfehlenswerte Präsentation über die Röhre in der Architektur. Eine
weitere Attraktion des Museums ist die Frankfurter Küche der Wiener
Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die diese in den 20er Jahren für
die Bauten des Neuen Wohnens in Frankfurt am Main entworfen hat und die in
Zehntausenden Mietwohnungen eingebaut war. Für den Abbau und den Transport
kommen spezialisierte Restauratoren ins Haus.
Wieder aufgebaut wird sie in einem Gebäude an der Leipziger Straße in der
Nähe des Spittelmarkts, in dem bis vor Kurzem noch ein Zwischenquartier der
Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) war, während deren Bürogebäude
in der Dircksenstraße renoviert wurde. Das Bürogebäude aus den 70er Jahren
muss zwar teilweise für den Bedarf des Museums umgebaut werden und hat auch
eine kleinere Fläche für die Sammlungspräsentation, allerdings einen
größeren Raum für Sonderausstellungen.
Auch die Lage an der stark befahrenen und unwirtlichen Leipziger Straße, in
der es wenig Laufpublikum gibt, ist nicht ideal für ein Museum. „Wir haben
aber großes Glück gehabt, dass wir in so kurzer Zeit überhaupt einen Ort
für eine Interimslösung gefunden haben“, sagt Florentine Nadolni, die
Leiterin des Museums der Dinge.
Mit dem Ort hat sie sich sogar schon angefreundet: Außer der Julia Stoschek
Foundation und dem Kunstverein Ost gäbe es in der Nachbarschaft noch eine
Reihe von Galerien. In den Hochhäusern in Stahlbauweise entlang der
Leipziger Straße erkennt sie die DDR-Version eines internationalen Stils,
der beim Werkbund schon immer eine Rolle gespielt habe. Und dann hat sie
die neue Nachbarschaft gleich als Inspiration für die Ausstellung
„Profitopolis“ genutzt, mit der das Museum der Dinge im Mai des kommenden
Jahres wiedereröffnet werden soll (die Sammlung ist dann im Herbst 2024
wieder zu sehen). Entlang des ehemaligen Mauerstreifens ist in den letzten
Jahren ein ganzer Stadtteil mit seelenloser Investorenarchitektur voll
gestellt worden, die die Ausstellung analysieren soll.
## Sieben Jahre Übergangslösung
Voraussichtlich sieben Jahre soll die Übergangslösung an der Leipziger
Straße dauern, dann will das Museum der Dinge in Pavillons an der
Karl-Marx-Allee in der Nähe des Alexanderplatzes umziehen, die schon zu
DDR-Zeiten geplant waren und nun gebaut werden sollen. Entworfen sind die
Bauten bereits und auch Geld hatte der ehemalige Kultursenator Klaus
Lederer (Linke) besorgt, damit neben dem Museum der Dinge auch die Neue
Gesellschaft für Bildende Kunst wieder einen festen Ort haben.
Sorgen bereiten Imke Volkers, der wissenschaftliche Co-Leiterin des Museums
der Dinge, aber nun die aktuellen Haushaltsverhandlungen im
Kulturausschuss. Aus dem Kulturhaushalt, der Ende des Jahres beschlossen
wird, wurden die bereits lang eingestellten Gelder für den Bau des
Pavillons auf einmal gestrichen: „Wir haben Angst, dass die Pavillons nicht
mehr realisiert werden könnten.“
31 Oct 2023
## LINKS
[1] /Buchhandlung-Kisch--Co-vor-der-Raeumung/!5791746
[2] /Kreuzberger-Institutionen/!5960931
## AUTOREN
Tilman Baumgärtel
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