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# taz.de -- Raubkunstschenkung in Hannover: Zeugnisse der Verfolgung
> Lange standen von Nazis graubte Einrichtungsgegenstände im
> Kestner-Museum. Die jüdische Erb*innen entschieden, dass sie dort
> bleiben sollen.
Bild: Nachfahrin Gabriele Berliner betrachtet die geschenkte Stickarbeit im Mus…
Hannover taz | Es ist ja nicht einfach nur irgendein alter Schrank, etwas
verspielt in seinen Formen, wie das halt im Rokoko so üblich war. Es ist
Raubkunst, jedenfalls: „arisiertes Vermögen“. Und müsste also zurückgege…
werden, zumal ja jetzt klar ist, wem der Schrank all die Jahrzehnte
gehörte. Wird er aber nicht! Der Schrank bleibt in Hannover, wo er eh schon
ist.
Das Möbel gehörte einst der jüdischen Fabrikantentochter Klara Berliner
(1897–1943), deren Vater Joseph Berliner einstmals die erste europäische
Telefonfabrik, aber auch die erste europäische Schallplatten- und
Grammophonfabrik errichtete, die [1][Deutsche Grammophon] von 1898, die es
bis heute gibt. Nur, dass sie nicht mehr in Hannover, sondern in Berlin
sitzt. Joseph Berliner starb 1938, seine Tochter war die Alleinerbin –
auch der um 1770 gefertigte Wäscheschrank aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern
gehörte zum Nachlass.
Doch schon wenige Monate später enteignete der NS-Staat Klara Berliner,
Schritt für Schritt. Sie musste antisemitische Steuern und Abgaben zahlen,
wie etwa die sogenannte Sühneleistung. Sie wurde gezwungen, ihren Schmuck
bei der Städtischen Pfandleihstelle abzugeben, alle
Einrichtungsgegenstände, alle ihre Besitztümer wurden beschlagnahmt. Sie
lebte in bitterster Armut in verschiedenen „Judenhäusern“ Hannovers, ehe
sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, wo sie 1943 starb.
Ihr Schrank stand da schon lange zur Versteigerung, fand aber zunächst
keinen Käufer. 1942 gelangte er dank dessen Direktor in das örtliche
Kestner-Museum. Der Kaufpreis wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, auf das
nur die Reichsfinanzverwaltung Zugriff hatte.
## Bürgermeister und Erb*innen einigen sich auf Schenkung
2014 landete der Schrank in der offiziellen deutschen Onlinedatenbank
[2][„Lost Art“] der damaligen Koordinierungsstelle für Kulturgüterverlust…
Und die [3][Provenienzforschung] der Stadt Hannover bemühte sich, die
rechtmäßigen Erben von Klara Berliner zu finden, um ihnen den Rokokoschrank
zurückzugeben. Nun aber kommt es anders. Denn die
Erb*innengemeinschaft der Familie Berliner und Hannovers grüner
Oberbürgermeister Belit Onay haben jetzt eine [4][Vereinbarung zur
Restitution und Schenkung] unterzeichnet.
Behalten darf Hannover nun auch einen kunstvollen [5][Kopfkissenbezug], der
auf eine Straminplatte gestickt worden ist. Klara Berliner hat ihn am Tag
vor ihrer Deportation verschickt. Außerdem gehören zur Schenkung die
gesamten deutschsprachigen Dokumente aus dem Manfred Berliner Trust, der
die Erb*innengemeinschaften vertritt und in der Familie finanzielle
Hilfen für Notlagen vermittelt. Der Schrank steht also weiterhin im
kulturgeschichtlichen [6][Museum August Kestner], das vor allem angewandte
Kunst beherbergt.
„Die wertvollen Objekte sind Zeugnisse der NS-Verfolgung von Klara
Berliner, veranschaulichen symbolisch unterschiedliche Schritte ihrer
Verfolgung und haben deshalb einen unermesslichen Wert für die Aufklärung
über die NS-Verbrechen in unserer Stadt“, sagt Onay. „Das Museum ist der
beste Ort für den Schrank“, sagte die eigens aus den USA angereiste
Familiendelegierte Gabriele Berliner: „Hier können ihn viele Menschen
sehen.“ 2018/19 stand er bereits im Mittelpunkt einer Sonderausstellung zu
dem „Spuren der NS-Verfolgung“ im Kestner-Museum.
21 May 2022
## LINKS
[1] https://www.deutschegrammophon.com/de/unternehmen
[2] https://www.lostart.de/de/start
[3] https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Museen-Ausstellungen/Provenienzfors…
[4] https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Akt…
[5] https://www.hannover.de/Aus-Stadt-Region/Zeugnisse-der-NS-Verfolgung-bleibe…
[6] https://www.hannover.de/Museum-August-Kestner/Das-Museum
## AUTOREN
Jan Zier
## TAGS
NS-Raubkunst
Restitution
Holocaust
Hannover
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