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# taz.de -- Provenienzforscherin über Raubkunst: „Ursprung kaum hinterfragt�…
> Kathrin Kleibl ist Provenienzforscherin am Deutschen Schifffahrtsmuseum.
> Sie erforscht die Biografie von Gegenständen wie Schmuck, Kunst oder
> Möbeln.
Bild: Nur wenig konnte in das Exil in Übersee mitgenommen werden
taz: Was ist Ihre Aufgabe als Provenienzforscherin?
Kathrin Kleibl: Ganz einfach ausgedrückt: Ich erforsche die Biografie von
Gegenständen – von ihrer Entstehung bis heute. Dabei suche ich vor allem
nach den ursprünglichen Eigentümern von Dingen wie Schmuck, Kunst oder
Möbeln, [1][die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten geraubt
wurden.] In einem Projekt kümmere ich mich zum Beispiel um Dokumente zu
beschlagnahmtem Umzugsgut von jüdischen Familien, die Deutschland verlassen
haben und deren Hab und Gut im Hamburger Hafen versteigert wurde. Nach so
vielen Jahren ist die Suche nach den damaligen Eigentümern oft eine
ziemliche Detektivarbeit, die leider nicht immer erfolgreich ausgeht.
Mit welchen Stücken haben Sie im Alltag zu tun?
Das ist ganz unterschiedlich. Geraubte Kunstwerke sind natürlich medial
sehr präsent – nicht umsonst sprechen wir von Raubkunst. Viele jüdische
Sammlungen wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und gingen
später in den Besitz von privaten Sammlern oder auch Museen ein. Doch es
gibt noch andere Dinge. Auch unzählige historische und damit sehr wertvolle
Bücher wurden beschlagnahmt und dann an Bibliotheken weitergegeben. Auch
wertvolle Musikinstrumente wie Geigen oder Flügel wurden von den
Nationalsozialisten geraubt, in Deutschland und in den besetzten Gebieten.
Aber natürlich gibt es auch Möbelstücke, Schmuck oder wertvolles Besteck,
die den jüdischen Familien gestohlen und später verkauft wurden.
Wie machen Sie die ursprünglichen Eigentümer:innen ausfindig?
Auch dabei gibt es ganz unterschiedliche Wege. Klaviere oder Geigen haben
zum Beispiel oft Seriennummern oder Herstellerangaben, die wenigstens erste
Anhaltspunkte zu den ursprünglichen Eigentümern liefern. Manchmal stehen in
Büchern oder auf Möbeln sogar die Familiennamen. Auch die heutigen Besitzer
sind oft eine ergiebige Quelle. Manchmal erinnern sich die
Familienmitglieder an Anekdoten der Großeltern zu diesem Stück und liefern
damit einen entscheidenden Hinweis für die weitere Recherche. Zum Beispiel
wurden viele Möbel aus den besetzten Gebieten in den Niederlanden oder
Belgien nach Norddeutschland gebracht und verkauft. Wenn wir also erfahren,
dass ein antiker Schrank oder ein Sekretär von den Großeltern im Krieg auf
Auktionen in Norddeutschland erworben wurden, haben wir eine heiße Spur.
Welche Rollen spielen historische Aufzeichnungen? Die Nationalsozialisten
sind für eine ziemlich genaue Buchhaltung ihres Schreckens bekannt.
Die Aufzeichnungen der Nationalsozialisten sind tatsächlich sehr
detailreich. Man wollte sich schließlich keine Reichsmark durch die Lappen
gehen lassen und hat deshalb die Beschlagnahmung der jüdischen Besitztümer
sehr genau dokumentiert. Leider können wir nicht alle Stücke auch diesen
Aufzeichnungen zuordnen, gerade dann nicht, wenn sie seither mehrfach den
Besitzer gewechselt haben.
Suchen Sie bei allen Stücken nach einem ursprünglichen Eigentümer, oder
gibt es da Prioritäten? Ist ein Besteckset vielleicht weniger wichtig als
ein 200 Jahre altes Gemälde?
Nein, ich versuche nach Möglichkeit für jedes Objekt einen ehemaligen
Eigentümer zu finden. Schließlich ist der Wert eines Stücks sehr
individuell bemessen. Auch ein Küchentisch kann großen ideellen Wert für
eine Familie haben, auch wenn ein solches Stück auf dem Antiquitätenmarkt
eher unattraktiv erscheint. Vielleicht war der Tisch lange das Zentrum des
Familienlebens und wurde im Exil schmerzlich vermisst. Eine Priorisierung
in Preiskategorien wäre da völlig fehl am Platz. Viel entscheidender ist
die Frage, ob ein Küchentisch heute noch erhalten ist und sich überhaupt
zurückverfolgen lässt. Das ist bei einem teuren Gemälde zumindest etwas
leichter.
Wissen die heutigen Besitzer:innen, dass zum Beispiel Raubkunst an ihren
Wänden hängt?
Das ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Familien oder auch Museen ist der
Ursprung der Kunst eindeutig fragwürdig, und es gibt deshalb auch eigene
Bestrebungen, diese Kunstwerke zurückzugeben. Andere Stücke sind schon sehr
lange im Familienbesitz, und ihr Ursprung wurde in den letzten 30 bis 40
Jahren kaum hinterfragt oder lässt sich von Laien auch kaum
zurückverfolgen. Auch bei historischen Möbeln, die man vielleicht auf dem
Flohmarkt kauft, kann man nie sicher sein, dass sie nicht aus enteignetem
Familienbesitz stammen.
Gibt es auch in Museen große Bestrebungen, Raubkunst ausfindig zu machen –
auch auf die Gefahr hin, wertvolle Stücke aus den Sammlungen zu verlieren?
In den letzten 20 Jahren sehen wir echte Bestrebungen, möglicher Raubkunst
wirklich nachzuspüren. Ausgelöst wurde diese erhöhte Wahrnehmung durch die
Washingtoner Prinzipien vom 3. Dezember 1998. Damals gab es eine
Übereinkunft, das während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmte
Kunstwerke ihren Vorkriegseigentümern oder deren Erben zurückgegeben werden
sollen.
Ich denke, wir scheitern heute eher an fehlenden Aufzeichnungen oder
Hinweisen zur Herkunft der Sammlungsgegenstände als wirklich am Unwillen
der Häuser. Kritisch sehe ich, dass [2][Provenienzforschung an den meisten
Museen] nur in zeitlich befristeten Projekten durchgeführt wird. Diese
teils sehr kniffligen Forschungen stellen jedoch eine Daueraufgabe für
Museen dar. Hier sollte ein Umdenken auch seitens der Politik erfolgen,
Provenienzforschende sollten als feste Grundausstattung eines Museumsteams
begriffen werden.
Haben Sie eigentlich eine rechtliche Handhabe, dass Stücke herausgegeben
werden?
Nein. Als nach Kriegsende die ersten Bestrebungen aufkamen, den jüdischen
Familien ihr Eigentum zurückzugeben, war es aber noch deutlich schwieriger.
Sie mussten aus dem Exil Listen mit ehemaligen Gütern erstellen, und in
Deutschland hat man versucht, diese Wertgegenstände zum Beispiel anhand der
Versteigerungslisten ausfindig zu machen. Selbst wenn das geklappt hat, war
die Bereitschaft der neuen Besitzer zur Rückgabe ziemlich gering. Die
Ausreden von damals waren sehr abenteuerlich – niemand wollte sich seiner
Mittäterschaft stellen. Heute ist das anders. Eigentlich will niemand
Raubkunst in seinem Wohnzimmer oder den Ausstellungsräumen hängen haben,
schon gar nicht, wenn der Ursprung auch noch öffentlich bekannt ist. Das
heißt, wir erleben eine bessere Kooperation vonseiten der heutigen
Besitzer, auch ohne rechtliche Handhabe.
Wie reagieren eigentlich die Erben darauf, wenn Sie ihnen die ehemaligen
Familienbesitztümer zurückgeben wollen?
Ich mache immer wieder sehr schöne Erfahrungen. Wir haben bei uns im
Deutschen Schifffahrtsmuseum einen riesigen Industriemotor als
Ausstellungsstück. Irgendwann stellte sich heraus, dass dieser Motor
eigentlich aus einer ehemaligen Walk- und Strickfabrik in Regensburg
stammte. Diese Fabrik gehörte einer jüdischen Familie und wurde enteignet.
Ich konnte nach langer Suche die Erben ausfindig machen. Sie wollten den
Motor nicht zurückhaben, aber sie waren gerührt von unserer Mühe.
Heute ist der Motor eine Leihgabe der Familie. Im Museum wird nun die
Geschichte seiner Herkunft erzählt. Außerdem habe ich mit meiner Anfrage
bei der Familie eine stärkere Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte
angestoßen, inklusive Kontakt zu entfernten Verwandten in den USA. Die
Fabrik in Regensburg ist heute eine Schule, und dort entstand jetzt ein
Schulprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte des Gebäudes. Es ist auch für
mich ein schönes Gefühl, somit eine sinnvolle Arbeit getan zu haben. Aber
natürlich gibt es auch Angehörige, die kein großes Interesse daran haben,
sich mit diesem traurigen Teil der Familiengeschichte auseinanderzusetzen.
Sie behellige ich natürlich auch nicht unnötig.
22 May 2022
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## AUTOREN
Birk Grüling
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