# taz.de -- Bildungssenatorin Scheeres im Interview: „Ich bin nicht in der De… | |
> Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verteidigt ihre | |
> Einstellungspolitik. Auch die Verbeamtung der LehrerInnen wird wieder | |
> diskutiert. | |
Bild: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) | |
taz: Frau Scheeres, alle in der rot-rot-grünen Koalition geben Geld en | |
masse aus, nur Sie können sich dafür nicht das kaufen, was Sie am | |
dringendsten bräuchten: Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher. Ist das | |
nicht frustrierend? | |
Sandra Scheeres: In meinem Bereich wird ja auch viel Geld ausgegeben. Und | |
was die Lehrerinnen und Lehrer betrifft: Es ist doch positiv, dass ich so | |
viele von ihnen einstellen kann, wie Berlin braucht. Da gab es auch schon | |
andere Zeiten. Aber Sie haben recht: Wir haben in ganz Deutschland einen | |
Lehrermangel. Das ist eine schwierige Situation, wie wir besonders in | |
Berlin spüren. | |
Die Stadt wächst, die Zahl der Kinder auch … | |
Das ist auch sehr schön. Und es ist mir auch in diesem Jahr wieder | |
gelungen, [1][alle Stellen zu besetzen]. | |
Leider nicht mit den Lehrkräften, die Sie wollten, sondern mit zwei | |
Dritteln QuereinsteigerInnen. | |
Richtig. Aber die Konsequenz wäre sonst, die Stellen nicht zu besetzen. Und | |
wir bilden diese Lehrkräfte weiter aus: Quereinsteiger haben ein | |
abgeschlossenes Masterstudium. Sie machen dann eine Staatsprüfung. | |
Wie lange ist Berlin noch auf QuereinsteigerInnen angewiesen? | |
Alle Bundesländer setzen auf Quereinsteiger. Das bleibt noch Jahre so. | |
10 Jahre? 15 Jahre? | |
In den nächsten zwei, drei Jahren wird sich das Thema jedenfalls nicht | |
erledigt haben. | |
Wie lange kann es sich Berlin noch leisten, seine Lehrkräfte nicht zu | |
verbeamten? Alle anderen Länder tun das inzwischen. | |
Das ist für mich kein Tabuthema. Wir prüfen derzeit, was sinnvoll und | |
möglich ist. | |
Könnte die Verbeamtung helfen, den Lehrkräftemangel zu beheben? | |
Der Wettbewerb mit den anderen Ländern bleibt, Verbeamtung kann das Problem | |
nicht lösen. Wer das sagt, ist naiv. Es kann aber die Situation | |
entschärfen. | |
Haben Sie durchgerechnet, was es kosten würde, wieder zu verbeamten? | |
Es ist kompliziert: Welche Altersgruppe nimmt man, bis zu welchem Jahr etc. | |
Aber sicher ist: Verbeamtung ist nicht teurer. | |
Auch nicht langfristig, wegen der Pensionen? | |
Nein, hier müsste man Vorsorgemaßnahmen treffen. | |
Sie agieren als Bildungssenatorin oft aus einer defensiven Situation | |
heraus, sowohl was QuereinsteigerInnen als auch was Verbeamtung angeht. | |
Ich fühle mich überhaupt nicht in der Defensive! Ich finde es sehr | |
offensiv, sich das Ziel zu setzen, alle Lehrerstellen in der derzeitigen | |
Situation zu besetzen. | |
Die CDU hat wegen der hohen Zahl der QuereinsteigerInnen Ihren Rücktritt | |
gefordert … | |
Ach ja, die CDU … Wen haben die nicht aufgefordert, zurückzutreten? | |
Ärgert es Sie, dass Sie in vielen Bereichen Versäumnisse Ihrer | |
VorgängerInnen ausbügeln müssen? | |
Im Bildungsbereich hat man immer was zu tun. Es gibt keinen | |
Bildungsminister, der keine Probleme hat. Und gerade in den Stadtstaaten | |
arbeiten wir an Riesenthemen. Erinnern Sie sich an die Situation 2015: | |
Gemeinsam mit den Schulen ist es uns gelungen, 20.000 Flüchtlingskinder zu | |
integrieren. Auch dadurch, dass wir 1.000 Willkommensklassen eingerichtet | |
haben. Da redet heute keiner mehr drüber. Die CDU hatte damals übrigens | |
kein besonders großes Interesse daran gezeigt, dass die Kinder und | |
Jugendlichen in die Schule integriert werden. | |
Sie haben auch Konkurrenz in den eigenen Reihen: Dass das [2][Schulessen ab | |
2019 kostenlos] wird und der Hortbesuch für die ersten beiden Schuljahre | |
auch, das hat SPD-Fraktionschef Raed Saleh zuerst so gesagt. Warum gönnen | |
Sie ihm das? | |
Raed war immer schon auch Bildungspolitiker. Ich arbeite eng mit ihm | |
zusammen, und wir sprechen uns ab. Das ist doch etwas sehr Positives! | |
Trotzdem: In der Öffentlichkeit wirkt Saleh als Gestalter, Sie wirken wie | |
die Verwalterin. Ist das ungerecht? | |
Das Thema [3][Schulbau] habe ich vorangetrieben, die höhere Bezahlung der | |
GrundschullehrerInnen auch. Und der Bildungshaushalt, über den ich | |
verhandelt habe, kann sich auch sehen lassen. Das Geld fliegt da nicht | |
einfach vom Himmel. | |
Letztens sind Sie mit der Gemeinschaftsschule vorangegangen. Die ist jetzt | |
Regelschulform im Schulgesetz. Ist das die Schule der Zukunft? | |
Die Evaluation hat gezeigt, dass [4][Gemeinschaftsschulen erfolgreich] | |
sind. Deswegen war es richtig, sie nach zehn Jahren aus der Pilotphase | |
herauszunehmen. Wir stehen aber zu den beiden Säulen: Gemeinschaftsschule | |
und integrierte Sekundarschule einerseits, Gymnasien andererseits. | |
Wie viele der neuen Schulen, die in den nächsten Jahren im Rahmen der | |
Schulbauoffensive entstehen, werden Gemeinschaftsschulen sein? | |
Ich würde mich freuen, wenn es noch mehr Gemeinschaftsschulen geben würde. | |
Den Beschluss darüber fassen aber die Schulträger, also die Bezirke. Pankow | |
zum Beispiel hat entschieden, dass die Schule auf dem Güterbahnhofsgelände | |
eine Gemeinschaftsschule sein soll. | |
Gemeinschaftsschule ist die Schule der Zukunft, aber Berlin braucht | |
trotzdem noch das Gymnasium? | |
Ja. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Eltern Gymnasien haben wollen. Ich | |
halte gar nichts davon, die Bedürfnisse der Eltern zu ignorieren. | |
Die Politik muss aber immer auch Vorreiter sein, sonst würde sich ja nie | |
was ändern! | |
Stimmt, aber noch einmal: Ich halte nichts von Politik, die über die | |
Interessen der Eltern hinweggeht. Deswegen ermögliche ich auch die Wahl | |
zwischen den Schulformen. Das ist das Entscheidende. Auch bei der | |
Inklusion: Mein Vorgänger wollte die Förderzentren schließen. Das kommt für | |
mich nicht infrage. Denn es gibt Eltern, die sagen: „Für unser Kind ist der | |
beste Ort das Förderzentrum!“ Und ich sehe übrigens keine Berliner Eltern, | |
die fordern, die Gymnasien sollten geschlossen werden. | |
Mit dieser Einstellung hätte die Linkspartei vor gut zehn Jahren es nie | |
geschafft, die Gemeinschaftsschule überhaupt als Pilotprojekt | |
auszuprobieren … | |
Es war nicht nur die Linkspartei, auch die SPD hat das gewollt … | |
… zähneknirschend! | |
Die Gemeinschaftsschule war und ist in meiner Partei gewollt. Sonst hätten | |
wir unter Rot-Schwarz auch nicht um weitere Schulen dieser Art gekämpft. | |
Selbst die Grünen gingen beim letzten Parteitag Anfang Dezember [5][auf | |
Distanz zum Gymnasium]. | |
Die SPD will die Gymnasien nicht schließen, auch perspektivisch nicht. Und | |
auch diese Koalition steht zu unserem Schulsystem. | |
Konfliktstoff für Rot-Rot-Grün bietet auch das Neutralitätsgesetz. Vor | |
Kurzem hat erneut eine Lehrerin, die in der Schule Kopftuch tragen will, | |
vor dem Arbeitsgericht geklagt und eine Entschädigung bekommen. Wie lange | |
kann das Gesetz noch bestehen? | |
Hier geht es um Haltung. Ich stehe ganz klar zum [6][Neutralitätsgesetz], | |
genauso wie der dafür zuständige SPD-Innensenator Andreas Geisel. In der | |
Diskussion ist das Gesetz wegen jener Lehrkräfte, die mit Kopftuch | |
unterrichten wollen. Aber es ist ja kein Kopftuchverbot: Es dürfen auch | |
keine Kreuze getragen werden und keine Kippa oder andere religiöse Zeichen. | |
Und es ist richtig und wichtig, dass wir eine neutrale Situation an den | |
Berliner Schulen haben, denn Lehrkräfte sind immer Vorbilder und sollten | |
Kinder nicht in der Religionsausübung beeinflussen. Meine Schulleitungen | |
bestärken mich in dieser Auffassung. | |
Werden Sie deshalb gegen das jüngste Urteil in Revision gehen? | |
Wir haben die schriftliche Begründung noch nicht. Wir werden uns diese | |
anschauen. Generell hätte ich kein Problem damit, in die Revision zu gehen. | |
Selbst in der SPD gibt es viele prominente Stimmen, die sagen, das | |
Neutralitätsgesetz sei in der Form nicht mehr zu halten. Wir seien eine | |
multireligiöse Gesellschaft, und das müsse auch die Schule anerkennen. | |
Zunächst mal zu meiner Partei: Wir haben im Januar auf der Fraktionsklausur | |
einen einheitlichen Beschluss pro Neutralitätsgesetz gefasst. Und die | |
Partei hatte in einer Mitgliederbefragung ein ebenso eindeutiges Votum | |
erhalten. | |
Und die Stimmung in der Stadt? | |
Ich bekomme viel Zuspruch von den Berlinern, dass ich da nicht lockerlasse | |
und mich klar positioniere, auch gegen die Koalitionspartner. Ja, wir sind | |
eine multikulturelle Stadt – übrigens mit vielen Familien, die keiner | |
Konfession angehören. Gerade deshalb muss sich der Staat neutral verhalten. | |
Gehen Sie mal in die Schulen: Man kann nicht auf der einen Seite | |
kritisieren, dass wir religiöse Konflikte haben – und dann selber nicht | |
neutral auftreten wollen. Und das kann man schwer, wenn Religiosität durch | |
das pädagogische Personal, auch optisch, gezeigt wird. Und das Kopftuch in | |
der Schule birgt nun einmal Konfliktpotenzial in sich. | |
Was meinen Sie genau? | |
Ein elfjähriges Mädchen sucht sich nicht selbst aus, ob es ein Kopftuch | |
trägt! Da ist doch die Frage: Was macht das mit einem Mädchen, das aus | |
einer religiösen Familie kommt, aber einen anderen Weg gehen möchte, wenn | |
es seine Lehrerin mit Kopftuch vor der Klasse stehen sieht? | |
Gute Frage. Wissen Sie es? | |
Gerade in der Grundschule ist es so, dass die Lehrkräfte absolute Vorbilder | |
sind. Und wenn ich aus einer Familie komme, in der kein Kopftuch getragen | |
wird, und meine Lehrerin trägt Kopftuch, dann stelle ich mir natürlich die | |
Frage: Bin ich jetzt eine gute oder eine schlechte Muslimin? | |
Kann man nicht auch sagen: Eine selbstbewusste, erwerbstätige Frau mit | |
Kopftuch als Lehrerin ist auch ein positives Rollenvorbild? | |
Wir können uns im Werteunterricht oder im Religionsunterricht positiv und | |
gleichzeitig neutral mit Religion auseinandersetzen. Mir geht es um die | |
Trennung von Staat und Religion im Unterricht. Ich möchte auch nicht, dass | |
die Lehrkraft ein großes Kreuz oder ein anderes religiöses Symbol vor sich | |
herträgt. | |
Hat der [7][grüne Justizsenator Dirk Behrendt], zuständig ebenfalls für | |
Antidiskriminierung, das auch verstanden? | |
Fragen Sie ihn doch mal. Aber ich glaube, Herr Behrendt und ich sind da | |
einfach unterschiedlicher Meinung. | |
Das wird man also die nächsten drei Jahre Rot-Rot-Grün aushalten? | |
Wir haben uns nicht in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass wir das | |
Neutralitätsgesetz anfassen. | |
Glück gehabt! | |
Ich scheue nicht die Debatte. Auch der Innensenator ist da sehr deutlich. | |
Ein anderes Thema: Das AfD-Onlineportal Neutrale Schule hat im Herbst für | |
viel Unruhe gesorgt. LehrerInnen sollen auf diesem Portal denunziert | |
werden, wenn sie sich negativ über die AfD äußern. Aus der | |
[8][Schülerschaft kam viel Protest] dagegen. Unterstützen Sie diese | |
Courage? | |
Ich bin sehr stolz darauf, was da aus der Schülerschaft heraus passiert | |
ist, denn dieses Portal stiftet Unfrieden in der Schule und denunziert | |
unsere Lehrkräfte. Es ist mein grundsätzliches Ziel, dass sich junge Leute | |
aktiv in die Gesellschaft einbringen, zum Beispiel durch die Stärkung der | |
politischen Bildung an den Schulen. | |
Sie haben die Landesdatenschutzbeauftragte um Prüfung des Portals gebeten. | |
Die sagt, sie sei nicht zuständig. Legen Sie jetzt die Hände in den Schoß? | |
Die Datenschutzbeauftragte hat gesagt, es sei Aufgabe des Parlaments, sich | |
eine Datenverordnung zu geben. Dabei ist sie natürlich zuständig! Warum | |
sollte sie plötzlich nicht für die Daten von Schülern und Lehrkräften | |
zuständig sein, an anderer Stelle ist sie es ja auch. | |
Die Diskussion ist also noch nicht zu Ende? | |
Ich fand die Antwort der Landesdatenschutzbeauftragten nicht befriedigend | |
und habe ihr gesagt, dass ich das nicht so stehen lasse. | |
20 Dec 2018 | |
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