| # taz.de -- Einwanderung und Extremismus: Offenheit, aber nicht für Intolerante | |
| > Die Linke muss lernen, die demokratische Verfassung gegen einen auch | |
| > zugewanderten Extremismus zu verteidigen, speziell wenn es um | |
| > Antisemitismus geht. | |
| Bild: Deutschland hat ohne Einwanderung keine Chance | |
| Flucht, Asyl, Migration. Die Lage 2025 ist unübersichtlich. Vieles, worüber | |
| wir heute innenpolitisch streiten, ist außenpolitisch verknüpft. Die | |
| globalisierte Welt ist ineinander verzahnt, tradierte Werte und | |
| Rechtssysteme stehen unter Druck und konkurrieren miteinander. Wo sich alle | |
| mit allem konfrontiert sehen, digital und medial verstärkt, zeigen sich | |
| deutliche Erschöpfungserscheinungen – ganz besonders in den Gesellschaften | |
| der liberalen Demokratien. | |
| Den Prinzipien der westlichen Welt wurde nach 1989 ein Siegeszug über den | |
| gesamten Globus vorhergesagt. Kraft besserer Ideen und Lebenschancen für | |
| die vielen würden sie sich überall durchsetzen. Doch mit dem Rücken zur | |
| Wand stehend, gingen korrupte Autokratien, nationalistische Regime oder | |
| religiös-faschistische Bewegungen angesichts der drohenden Transformation | |
| zur Offensive über. | |
| Diesen Sommer überzieht Russland nun schon im vierten Jahr die Ukraine mit | |
| Bombenterror und Invasionskrieg, während sich im Gazastreifen die | |
| terroristische Hamas seit bald zwei Jahren hinter der Zivilbevölkerung | |
| verschanzt. Sie gibt die aus Israel verschleppten, seit 700 Tagen gequälten | |
| letzten Geiseln nicht frei. | |
| ## Antiisraelisch und antisemitisch | |
| Die Bilder von Zerstörung und Hungernden in Gaza spielen den Gotteskriegern | |
| propagandistisch in die Hände. Israel ist mehr und mehr isoliert. Vergessen | |
| ist bei vielen, wer am 7. 10. 2023 mordend in Israel einfiel, den Krieg | |
| auslöste und immer noch nicht kapituliert. Die Ereignisse finden in vielen | |
| der globalisierten Metropolen des Westens in antiisraelischen und | |
| antisemitischen Manifestationen derzeit Widerhall. | |
| Auch die Massaker an religiösen Minderheiten in Israels Nachbarland Syrien | |
| feierten jüngst Hunderte Islamisten unbehelligt vor dem Roten Rathaus in | |
| Berlin. Dabei riefen sie Ende Juli auch dazu auf, drusische Frauen zu | |
| vergewaltigen, während in Düsseldorf parallel dazu syrische Islamisten | |
| gemeinsam mit türkischen Rechtsextremisten eine kurdische | |
| Solidaritätsdemonstration für die Drusen angriffen. | |
| Die Polizei kann häufig Sprache und Hintergrund solcher Aktionen schlecht | |
| einordnen; Türkisch oder Arabisch verstehende Intellektuelle, die | |
| aufklären, wie Güner Balci oder Ahmad Mansour, werden denunziert und | |
| bedroht. | |
| ## Klare Sprache für Probleme | |
| „Dabei führt kein Weg daran vorbei“, sagt Güner Balci, | |
| Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln, „zum Beispiel auch die | |
| Probleme, die Migration mit sich bringt, mit klarer Sprache zu benennen.“ | |
| Sie will sich nicht einschüchtern lassen. Balci ist in Neukölln | |
| aufgewachsen. | |
| Sie beschreibt, wie sich ihr Viertel mit dem Zuzug arabischer Familien aus | |
| dem Libanon seit den 1980ern verändert hat und sich eine | |
| patriarchal-chauvinistische Stimmung ausbreitete. Mit entsprechenden | |
| Moschee-Vereinen im Hintergrund. Im August erscheint ihr neues Buch | |
| „Heimatland. Zähne zeigen gegen die Feinde der Demokratie“. | |
| Autoritär geprägte Linke neigen dazu, unangenehme Entwicklungen, wie sie | |
| Balci im Bereich der Migration anspricht, zu ignorieren. Sie passen nicht | |
| in das Weltbild eines angeblich alles prägenden Nord-Süd-Konflikts mit | |
| angeblich „weißen“ Europäern, Amerikanern und Israelis als den | |
| Verantwortlichen an der Spitze. | |
| Doch sich häufende Vorkommnisse wie Amokfahrten oder Messerattacken mit | |
| islamistischem Hintergrund begünstigten die zuletzt sehr deutliche | |
| Verschiebung nach rechts. Zudem gehen Bedrohungen und Angriffe gegen | |
| jüdische Menschen und Institutionen in Deutschland (und dahinter abgestuft | |
| auch gegen subkulturelle Klubs der antiautoritär-antifaschistischen Linken) | |
| immer häufiger nicht mehr nur von originären deutschen Neonazis aus. | |
| ## Panislamische Perspektive der Parole | |
| [1][Der autoritär-antiimperialistische Teil der Linken] hat derzeit | |
| trotzdem nichts Besseres zu tun, als eine Parole wie „From the River to the | |
| Sea, Palestine will be free“ salonfähig zu machen. Juristisch und medial | |
| fordert man, sie straffrei skandieren zu dürfen. Aus panislamischer oder | |
| panarabischer Perspektive formuliert der Slogan das eindeutige Ziel, | |
| Israel vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer auszuradieren. Unter Berufung | |
| auf Abstammungsmythen und Naturrecht. | |
| Der Hinweis, dass das Judentum älter als der Islam ist, hilft da wohl | |
| wenig. Eigenständiges jüdisches Leben soll es im Nahen Osten nicht geben. | |
| Auch laizistisch und [2][demokratisch gesinnte Palästinenser werden von der | |
| Hamas brutal verfolgt]. | |
| Sich gegen solch hetzerische Parolen zu stellen, egal wie man zu der | |
| Kriegsführung Netanjahus im Gazastreifen steht, würde ein minimales | |
| Verständnis plural zusammengesetzter Gesellschaften voraussetzen. Im Nahen | |
| Osten genauso wie in Europa. Das linke Lager in Deutschland – die im | |
| Bundestag vertretenen Parteien SPD, Grüne und Die Linke – kritisiert zu | |
| Recht, dass das völkische Denken der AfD einen biologistischen | |
| Nationenbegriff propagiert. | |
| ## Keine Zusammenarbeit mit religiös-faschistischen Ideologen | |
| Mit der rassistischen AfD dürfe man von daher niemals zusammenarbeiten. | |
| Doch genau dies müsste im Umkehrschluss auch für religiös-faschistische | |
| oder völkisch-nationalistische Ideologen gelten, die sich phrasenhaft bei | |
| den Konzepten eines antiimperialistischen Dekolonialismus bedienen, um ihre | |
| antidemokratische und patriarchale Agitation voranzutreiben. | |
| Dies nicht selten in unmittelbarer Verbindung zu extremistischen | |
| Institutionen ihrer Herkunftsländer. Wie etwa zuletzt auch Anfang August | |
| auf dem Neuköllner Sommerfest der Partei Die Linke in Berlin. Der | |
| berüchtigte Ortsverband stellte es unter das [3][Motto „Neukölln steht | |
| zusammen – Solidarität mit den Menschen in Palästina“] und ließ Vertreter | |
| des „Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees“ dort auftreten, einer | |
| Vorfeldorganisation der mit der Hamas verbündeten terroristischen | |
| Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). | |
| Den Entwurf einer offenen Gesellschaft kann nur glaubwürdig demokratisch | |
| vertreten, wer seinerseits den Intoleranten nicht mit falscher Toleranz | |
| begegnet. | |
| Eine fortschrittliche Asyl- und Migrationspolitik muss nach den Erfahrungen | |
| von 2015 berücksichtigen, dass die meisten Menschen, die vor Verfolgung | |
| fliehen, zwar mit guten Absichten nach Europa oder Deutschland kommen. Aber | |
| eben nicht alle. Bereits vor 2001 ließ sich ein Teil der Attentäter von | |
| 9/11 in Hamburg nieder. Terroristen des „Islamischen Staats“ (IS) bedienten | |
| sich 2015 der „Balkanroute“, um so unbemerkt nach Frankreich zu gelangen. | |
| In Paris richteten sie in [4][der Konzerthalle Bataclan und an anderen | |
| Orten des Nachtlebens Massaker an]. | |
| ## Taten und Täter klar benennen | |
| Man muss Taten und Täter klar benennen, sollen nicht ganze | |
| Bevölkerungsgruppen nach Herkunft oder Religion stigmatisiert werden. | |
| Ebenso die Defizite in der Einwanderungspolitik. Dass das | |
| extremistisch-arabische „Nakba“-Vokabular derzeit Einzug in den | |
| Alltagsdiskurs autoritärer Linker findet, ist ein alarmierendes Zeichen. | |
| Die Staatsgründung Israels 1948 war keine Katastrophe („Nakba“), genauso | |
| wenig wie die Befreiung Deutschlands vom Faschismus 1945. | |
| Mit „Katastrophen“ wurden immer schon eigene Untaten begründet. Etwa auch | |
| die vielen arabischen Angriffskriege gegen das plurale und demokratische | |
| Israel oder die Ablehnung des UN-Teilungsplans. | |
| Die Bundesrepublik bekennt sich seit der von der ersten rot-grünen | |
| Regierungskoalition 2000 durchgesetzten Reform des | |
| Staatsangehörigkeitsrechts dazu, eine multiethnische Nation zu sein. Das | |
| völkische Abstammungsprinzip wurde um das des Geburtsorts erweitert, | |
| Einbürgerungen von Migranten erheblich erleichtert. | |
| Dies betraf zunächst viele „Gastarbeiter“-Familien aus der alten | |
| Bundesrepublik, auch „Vertragsarbeiter“ aus der früheren DDR. Die nationale | |
| Integration der einst Angeworbenen und zum Teil dauerhaft in Deutschland | |
| sesshaft Gewordenen war überfällig. Die Unionsparteien hatten diese | |
| jahrzehntelang verschleppt, die Wahlkämpfe der 1980er und 1990er waren | |
| entsprechend völkisch-national aufgeladen. Nur so blieb Kanzler Helmut Kohl | |
| auch über den Mauerfall hinweg von 1982 bis 1998 durchgängig | |
| mehrheitsfähig. | |
| ## Rechtsterrorismus aus Einheitsnationalismus | |
| In den Augen vieler war der Preis dafür ein im Gefolge des völkischen | |
| Einheitsnationalismus entstandener Rechtsterrorismus. Die ostdeutschen | |
| Haupttäter des nazistischen NSU verübten von 2000 bis 2006 eine | |
| beispiellose Mordserie an Migranten, erst 2011 flogen sie auf. | |
| Unter der von 2005 bis 2021 währenden Kanzlerschaft Angela Merkels schien | |
| die neue Bundesrepublik zur Ruhe gekommen zu sein. Merkels Union verbannte | |
| das völkische Vokabular aus ihrem Wortschatz. | |
| Doch am rechten Rand wuchs mit der AfD eine neue Kraft. Wie Friedrichs | |
| Merz’ Rede von den „kleinen Paschas“ 2023 andeutete, sich vor der | |
| Bundestagswahl durch die gemeinsame Abstimmung zur Migrationspolitik der | |
| Union mit AfD im Januar abzeichnete und sich jetzt beim Spektakel zur | |
| Verhinderung der Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf erneut | |
| zeigte: Die Versuchung bei Merz’ Konservativen ist riesig, an die | |
| Kulturkämpfe der verklärten Ära Kohl anzuschließen. Doch wie die Umfragen | |
| zeigen, nützt dies bislang vor allem der AfD. | |
| ## Ursachen für Flucht und Asyl | |
| Zudem: Die Welt dreht sich bekanntlich weiter. Die Ursachen für Flucht, | |
| Asyl und Migration werden auch unter Merz’ Regierung bestehen bleiben. Man | |
| kann sie nicht einfach abschaffen, zumal bei den existierenden | |
| machtpolitischen und militärischen Realitäten. Man kann aber versuchen, | |
| deren Auswirkungen so solidarisch und humanistisch wie möglich mit | |
| geschultem Personal zu gestalten. | |
| Und nicht wie jüngst geschehen, ausgerechnet eine jesidische Familie oder | |
| andere bereits integrierte Menschen im Dobrindt’schen Abschiebeflieger in | |
| den Höllenschlund des Islamismus zu schicken. Um abgewandelt mit Jürgen | |
| Habermas zu sprechen: Zu Hause ist dort, wo dein Herz für die Verfassung | |
| schlägt. | |
| 20 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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