# taz.de -- Entführter Unternehmer über Haft in Iran: „Sie benutzen uns wie… | |
> Der iranische Geheimdienst kidnappte Kamran Ghaderi 2016. Ein Gespräch | |
> über siebeneinhalb Jahre im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis und | |
> Irans Agenten. | |
Bild: Seltenes Bild: Häftlinge im Teheraner Evin-Gefängnis, die einen Bettpla… | |
taz: Herr Ghaderi, am 23. Juni hat die israelische Luftwaffe auch spezielle | |
Bereiche des Evin-Gefängnisses in Teheran bombardiert. Was haben Sie in | |
diesem Moment gedacht? | |
Kamran Ghaderi: Ich war zu Hause in Wien, als ich davon erfuhr. Zunächst | |
hatte ich große Sorge um meine Freunde und früheren Mitgefangenen. Es ist | |
ein riesiger Gefängniskomplex, mit vielen unterschiedlichen Gebäuden. Darin | |
sind politische, aber auch „normale“ Gefangene. Ich befürchtete, dass es | |
unter ihnen auch Opfer gab. Als ich das bombardierte Evin-Haupttor sah, | |
empfand ich aber schon eine gewisse Genugtuung. Die Geheimdienstgebäude | |
waren ebenfalls zerstört. Doch meine Freunde und Bekannten schwebten nun in | |
zusätzlicher Lebensgefahr. | |
taz: Sie selbst saßen fast siebeneinhalb Jahre im Evin-Gefängnis. Warum | |
verhaftete man Sie? | |
Ghaderi: Ich wurde am 2. Januar 2016 bei der Einreise am Flughafen Teheran | |
festgenommen. Plötzlich, einfach so. Sie brachten mich in ein Gebäude des | |
Geheimdienstes auf dem Evin-Gelände. Dort blieb ich eineinhalb Jahre, unter | |
schlimmen Bedingungen, die ersten Monate komplett isoliert. Danach | |
verbrachte ich sechs weitere Jahre im Evin-Komplex in „normalen“ | |
Gemeinschaftszellen mit anderen politischen Gefangenen. | |
taz: Sie leben seit 1983 in Österreich, sind Geschäftsmann, reisten immer | |
wieder in den Iran. Warum 2016 diese Festnahme? | |
Ghaderi: Eigentlich haben sie mich entführt. Sie hatten keinen Haftbefehl, | |
gar nichts. Die Agenten sagten am Flughafen nur, jemand wolle mich | |
sprechen. Ein gewisser „Sardar“, ein hoher Offizier. Ich war völlig | |
überrascht. Erst sehr viel später verstand ich, um was es hier ging. | |
taz: Und zwar? | |
Ghaderi: Um Geiseldiplomatie. Der Iran führt seit Jahrzehnten einen | |
Schattenkrieg gegen den Westen. Wegen dem Atomprogramm und überhaupt. Da | |
ich die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, war ich als | |
gebürtiger Iraner für sie ein lohnendes Ziel. Auch die US-Regierung zahlte | |
viel, um willkürlich in Iran Verhaftete frei zu kriegen. | |
taz: Aber in Ihrem Fall ging es nicht um Geld? | |
Ghaderi: Nein. Sie benutzen uns wie Trümpfe in einem Kartenspiel. Bei mir | |
ging es schließlich um den Tausch gegen einen ihrer verurteilten Agenten in | |
Europa. | |
taz: Haben Sie noch Kontakt zu früheren Mitgefangenen? | |
Ghaderi: Ja. Im ersten Jahr habe ich sogar aus dem Gefängnis Anrufe | |
bekommen und direkt mit Freunden sprechen können. | |
taz: Wie das? | |
Ghaderi: Die Gefangenen dürfen gelegentlich ihre Familien anrufen. Eine | |
Verwandte ruft dann mich mobil an, legt den Hörer daneben und schon sind | |
wir verbunden. Anrufe ins Ausland sind nicht möglich. Es wurde auch immer | |
komplizierter. Der Salon, in dem ich einsaß, war zuletzt völlig überbelegt. | |
Wo 45 Personen schon kaum Platz zum Schlafen fanden, waren jetzt 80 | |
Menschen zusammengepfercht. | |
taz: Die Zellentrakte im sogenannten Normalvollzug des Evin bezeichnen Sie | |
als „Salons“? | |
Ghaderi: Die Sektionen auf dem Evin sind in verschiedene Zonen eingeteilt, | |
die Häftlingsgebäude wieder in mehrere Einheiten. Diese bezeichnet man als | |
Salons. Zu jedem Salon gehören wiederum mehrere Zellen. Im | |
Geheimdienstsektor gibt es allerdings keine Salons. | |
taz: Das Regime hat nach dem israelischen Angriff behauptet, es hätte viele | |
Tote in Evin gegeben, auch unter den Häftlingen? | |
Ghaderi: Also in meinem früheren Trakt hat es unter den Gefangenen keinen | |
einzigen Toten gegeben. Und der war sehr nahe am bombardierten Bereich. | |
Hauptsächlich wurde das Bezirksgericht Nummer 33, das unmittelbar am Tor | |
zur Einfahrt des Evins liegt, getroffen. Auch die Staatsanwaltschaft und | |
die Geheimdienstgebäude. Leider sind auch einzelne zivile Opfer bekannt. | |
Etwa Angehörige, die im Besuchsraum waren. | |
taz: Was wissen Sie über Verluste auf Seiten des Regimes? | |
Ghaderi: Getroffen hat es zum Beispiel den Chef dieses Bezirksgerichts, den | |
Richter Ali Ghanaaktar-Mavardiani. Er hat mit den unter Folter erpressten | |
Aussagen Karriere gemacht und gehört zu den offiziell bestätigten Toten. | |
Ebenso ein Gefängnisdirektor sowie Verwaltungs- und | |
Geheimdienstmitarbeiter. Leider wurde auch eine Ärztin verletzt. Häftlinge | |
haben sie gerettet. Sie haben auch verletzten Wärtern geholfen. Ein | |
Paradox, man hilft denen, die einen unterdrücken. Die Bombardierung des | |
Evin-Gefängnisses bleibt für mich aber insgesamt zwiespältig. | |
taz: Warum? | |
Ghaderi: Das Risiko, Unschuldige zu treffen, ist einfach zu hoch. | |
Militärische Anlagen, führende Regimevertreter oder das Atomprogramm | |
anzugreifen, okay. Prinzipiell sollte man Gewalt vermeiden. [1][Aber bei so | |
einem aggressiven Regime?] | |
taz: Evin liegt im Norden Teherans? | |
Ghaderi: Auf einer Anhöhe. Der Lagerkomplex hat die Größe von zwanzig oder | |
dreißig Hektar. Es gibt unterschiedliche Sektoren mit durchnummerierten | |
Gebäuden. Im Geheimdienstblock 209 war ich eineinhalb Jahre. Danach in | |
Sektion 7, bestehend aus sieben Salons. Zuletzt in Sektion 4. Zur | |
Geheimdienstsektion in 209 hatten normale Wärter keinen Zutritt, nicht | |
einmal der Gefängnisdirektor. Auch nicht zu Parkplatz und Garage. Das war | |
streng abgeschirmt. | |
taz: Was spielte sich dort ab ? | |
Ghaderi: Es ist die Hölle. Eine komplett rechtlose Zone. Die ersten drei | |
Monate wusste draußen niemand, dass ich hier war. Meine Freunde nicht, | |
meine Familie nicht. Ich war von einem Tag auf den anderen verschwunden. | |
Was dort geschieht, bleibt auch dort. Nur der Geheimdienst weiß, was dein | |
Los ist, ob du überhaupt noch lebst. | |
taz: Wollen Sie über die Haftbedingungen reden? | |
Ghaderi: In Block 209 wurden alle ohne Ausnahme zunächst in Einzelhaft | |
gesteckt. Ich kam in eine winzige, fensterlose Zelle. Ich bin 1 Meter 70 | |
groß, beim Hinlegen konnten meine Zehen die Wand berühren. Die Zelle war | |
etwa 1.80 breit und etwa 2 Meter lang. Keine Heizung, kein Bett, kein Klo. | |
Kalter nackter Beton mit einem dünnen, völlig verdreckten Parkettboden. | |
Drei Soldatendecken zum Wärmen und Schlafen. Das war’s. | |
taz: Wie kam man zur Toilette? | |
Ghaderi: Wollte man auf die (schreckliche) Toilette, musste man einen Knopf | |
in der Zelle drücken und sich selbst die Augen verbinden. Öffneten sie die | |
Tür, schritt man durch einen engen Gang. Da war immer die Sorge, was noch | |
passieren könnte. Gleiches galt, wenn man in die verdreckte | |
Kaltwasser-Dusche durfte. Links solcher Gänge befanden sich weitere | |
Einzelzellen. Man hört nichts. Totenstille. Die Gänge mündeten in einen | |
Korridor mit den Verhörzimmern. Toiletten, Dusche, Zellen, alles war in | |
erbärmlichem Zustand. Voller Schimmel, Ameisen, Kakerlaken und anderem | |
Ungeziefer. | |
taz: Wollen Sie über die Methoden bei den Verhören sprechen? | |
taz: Die waren sicher sehr unterschiedlich. Mich brauchten sie ja noch. | |
Generell musste man sich beim Verhör mit dem Gesicht zur Wand drehen. | |
Zumeist saß man auf einem Stuhl. Man durfte weder nach links noch nach | |
rechts schauen. Nicht sprechen. Die Fragen stellten sie von hinten. Die | |
Antworten musste man auf Papier schreiben. Nur die Verhörer durften | |
sprechen. Wenn sie es ausdrücklich verlangten, durftest du sprechen. Am | |
Ende musstest du aber immer Antworten aufschreiben und ihnen geben, was sie | |
wollten. Unmittelbare Folter hieß in meinem Fall meistens Schlafentzug. | |
Zweimal taten sie auch so, als würden sie mich hinrichten. | |
taz: Fanden auf dem Gelände Hinrichtungen von Gefangenen statt? | |
Ghaderi: Damals nicht mehr. Früher, ja. [2][Die Älteren haben uns sogar die | |
Plätze gezeigt]. Zu meiner Zeit brachten sie Gefangene, kurz bevor sie sie | |
hinrichteten, in ein anderes Gefängnis, nach Ghesel-Hesar. In Evin wurden | |
besonders in den 1980er-Jahren Tausende politische Gefangene ermordet. | |
taz: Wie war das Leben in den Gemeinschaftszellen, in den Salons? | |
Ghaderi: Mit der Zeit verbesserten sich meine Haftbedingungen. In den | |
Salons war es auch sehr eng, es gab zu wenig Plätze zum Schlafen, aber | |
immerhin war man unter anderen politischen Gefangenen, durfte wieder | |
sprechen. | |
taz: Wie war es mit den konventionellen Gefangenen? | |
Ghaderi: Es hat immer Streitereien gegeben. Aber die Leute hatten mehr | |
Angst vor den Wärtern als voreinander. Außerdem waren alle mit ihren Fällen | |
beschäftigt. Mit dem, was sie bei den Verhören sagen sollten. Jeder hoffte, | |
dass es schnell vorbeigehen würde und man weniger gefoltert wird. Wir haben | |
Juden, Bahais oder Christen bei uns gehabt, die einzig und allein wegen | |
ihres Glaubens eingesperrt waren. Alles, was man in den Zellen hat, ist | |
zudem privat organisiert und finanziert. Das Gefängnisregime ist völlig | |
korrupt. | |
taz: Sie selbst sind kurdisch-iranischer Herkunft, spielte das eine Rolle? | |
Ghaderi: Ich merkte schon, dass allein durch die Tatsache, dass ich Kurde | |
war und nicht schiitisch, sie zu mir besonders streng waren. | |
taz: In Block 209 waren Sie schwer erkrankt? | |
Ghaderi: Ich bekam große Probleme mit der Wirbelsäule und weitere | |
Krankheitssymptome. Mein Körper machte nicht mehr mit. Im Kopf blieb ich | |
klar. Als ich in Block 209 war, mussten sie mich zweimal zum Arzt bringen. | |
Sie gaben mir Schmerzmittel. Beim zweiten Mal konnte ich nicht einmal mehr | |
gehen. Sie schubsten mich auf den Rücksitz eines Autos und transportierten | |
mich so zur Krankenstation. | |
taz: So weit auseinander liegen die einzelnen Sektionen? | |
Ghaderi: Es ist wie eine kleine Stadt. Vor den meisten Gebäuden gab es | |
Parkplätze. Aber 209 blieb vom sonstigen Lager völlig abgeriegelt. | |
taz: Wie sah Ihre medizinische Versorgung aus? | |
Ghaderi: Der Arzt, der mich behandelte, sagte, ich müsse sofort operiert | |
werden, dürfe mich auf keinen Fall mehr bewegen. Da haben die | |
Geheimdienstleute hinter meinem Rücken mit dem Arzt gesprochen. Ich wurde | |
einfach wieder nach 209 zurückgebracht. Von den Schmerzmitteln bekam ich | |
üble Magenprobleme. | |
taz: Wie ging es weiter? | |
Ghaderi: Nach zweieinhalb Jahren mussten sie Behandlung und Operation | |
zustimmen. Das österreichische Außenministerium, | |
Menschenrechtsorganisationen, Freunde und Familie hatten viel Druck | |
gemacht. Heute gelte ich als zu 70 Prozent behindert. | |
taz: 2023 wurden Sie schließlich gegen einen iranischen Agenten | |
ausgetauscht, der in Europa inhaftiert war. Wer war dieser Mann? | |
Ghaderi: Assadollah Asadi, Diplomat an der Botschaft der Islamischen | |
Republik Iran in Wien. Als dritter Botschaftsrat war er hauptberuflich in | |
der Konsularabteilung tätig. Nebenberuflich plante er Attentate und | |
transportierte Bomben. 2018 wurde er in Deutschland verhaftet. Er hatte | |
einen Familienausflug vorgetäuscht, aber eine Bombe im Kofferraum seines | |
Autos. Zwei in Belgien angeworbene Terroristen sollten damit ein Treffen | |
iranischer Exil-Oppositioneller in Paris attackieren. [3][Asadi wurde 2021 | |
in Belgien zu zwanzig Jahren] Haft verurteilt. Der iranische Geheimdienst | |
MOIS wollte ihn unbedingt zurückhaben. Und so tauschten sie mich sowie | |
einen verschleppten Belgier, einen Dänen und einen weiteren Österreicher | |
2023 gegen Asadi aus. | |
taz: Vier gegen einen. | |
Ghaderi: Die Auseinandersetzungen zwischen Israel und Iran im Juni nennen | |
jetzt viele den „Zwölf-Tage-Krieg“. Es ist aber ein Krieg, der vor 46 | |
Jahren begann. Das iranische Regime propagiert die Vernichtung Israels. Sie | |
unterhalten spezialisierte Geheimdienstabteilungen für Cyberattacken | |
weltweit. Rings um Israel haben sie ein Netz terroristischer Organisationen | |
aufgebaut. Iran ist der Aggressor, Israel ist der Verteidiger. Das muss | |
gesagt werden, auch wenn man die jetzige rechte Regierung in Israel | |
kritisiert. Trotz ziviler Opfer freuen sich viele in Iran über die Schläge | |
gegen das Regime. Auch wenn sie prinzipiell gegen Krieg sind und diese | |
Regierung lieber selbst stürzen wollen. | |
taz: Nur wie? | |
Ghaderi: Es ist unübersehbar, die Menschen haben genug. Sie sagen ihre | |
Meinung offen, obwohl es gefährlich ist. [4][Veröffentlichen namentlich | |
gezeichnete Kommuniqués und offene Briefe], in denen sie eine neue | |
Verfassung fordern. Frauen gehen ohne Kopftuch auf die Straße, trotz des | |
Risikos. Als die Mauer fiel, hatte das auch niemand erwartet. | |
taz: Ohne Geiseldiplomatie wären Sie nicht wieder freigekommen, aber auch | |
nie verschleppt worden. Ist es richtig, dass westliche Staaten solchen | |
Erpressungen nachgeben? | |
Ghaderi: Das ist eine schwierige Frage. Man muss dem Regime auf alle Fälle | |
klare Grenzen setzen. Europäisch koordiniert handeln, Sanktionen verhängen, | |
Geldwäsche und Tarnfirmen nicht dulden. Mitglieder von Regime-Clans leben | |
unbehelligt in Europa, sie haben Milliarden außer Landes gebracht. Da ließe | |
sich ansetzen. | |
28 Jul 2025 | |
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[1] /Israel-Iran-und-das-Mullahregime/!6094358 | |
[2] /Berlinale-Born-in-Evin/!5568974 | |
[3] https://www.spiegel.de/ausland/belgien-gericht-verurteilt-iranischen-diplom… | |
[4] /Zukunft-Irans/!6098851 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
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