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# taz.de -- Bundestagswahl in Berlin: Die Linke räumt ab in der Hauptstadt
> Die jüngst noch abgeschriebene Partei wird Nr. 1. Grüne gewinnen drei
> Wahlkreise, einen mit nur 61 Stimmen Vorsprung. Erstes Direktmandat für
> AfD.
Bild: Wenn Mienen alles sagen: die führenden Grünen-Politikerinnen Jarasch, S…
Berlin taz | Die Linke ist die überraschende Gewinnerin der Bundestagswahl
in Berlin. Sie, in der letzten Umfrage auf Landesebene noch weit
abgeschlagen und kaum über der Wahrnehmungsgrenze, rangiert mit 19,9
Prozent der Erststimmen vor der CDU (18,3 Prozent), den Grünen (16,8
Prozent), der AfD (15,2 Prozent) und der SPD (15,1 Prozent). Zudem gewinnt
sie vier der zwölf Wahlkreise.
Vor dem Wahltag schien das nur in Treptow-Köpenick sicher möglich. Dort
holte Gregor Gysi, der hier seit 2005 regelmäßig gewann, das berlinweit
beste Erststimmenergebnis mit rund 42 Prozent – fast so viel wie die
Kandidaten von AfD, CDU und SPD als Nächstplatzierte zusammen.
Für die Grünen ist der Abend dagegen richtig hart. Sie können zwar erneut
ihre Kandidat:innen in Pankow und Mitte durchbringen, dazu neu auch in
Tempelhof-Schöneberg, verlieren aber ihre Hochburg
Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost klar an die Linke.
Die größte Überraschung des Wahlabends in Berlin – und darüber hinaus –
gelingt dem Linken Ferat Koçak in Neukölln. Mit mehr als 30 Prozent der
Erststimmen fährt er einen Erdrutschsieg in einem Bezirk ein, in dem die
Linke noch bei der letzten Bundestagswahl nur rund halb so viel Stimmen wie
die dort erfolgreiche SPD errang. Nun hat sich das Ergebnis ins Gegenteil
verkehrt. Erstmals überhaupt gelingt es damit der Linken, einen Wahlkreis
im ehemaligen Westteil der Republik zu gewinnen.
## Popkonzert-Stimmung bei der Linken Neukölln
Als Koçak vom ersten Auszählungsstand hört, sitzt er in einer
Pressekonferenz mit einem Dutzend Journalist:innen. Gerade sprach er
angesichts der bundesweiten Ergebnisse von CDU und AfD noch von
bevorstehenden „dunklen Zeiten“, nun kann er es kaum glauben: „Ich bin
überwältigt.“
In dem Moment dringt in den Raum der Jubel der 900 Menschen auf der
Wahlparty, die die Linke Neukölln in einem Veranstaltungssaal südlich des
Tempelhofer Feldes organisiert hat. Es herrscht Stimmung wie auf einem
Popkonzert. „Wir haben hier heute verdammt noch mal Geschichte
geschrieben“, ruft Koçak bei seiner Siegesansprache.
Dem Ergebnis zugrunde liegt der größte Haustürwahlkampf in der
bundesrepublikanischen Geschichte. Hunderte Unterstützer:innen von
Koçak haben wochenlang an insgesamt 139.000 Haustüren geklopft, etwa zwei
Drittel aller in Neukölln. Dabei wurden 51.000 Gespräche geführt und 11.000
Wahlzusagen eingesammelt.
„Egal, wie es ausgeht, es war und ist jetzt schon ein Erfolg. Wir haben
Neukölln zum Beben gebracht“, hatte Koçak in einer kurzen Ansprache noch
vor den ersten Bezirksergebnissen gesagt. Dann skandierte er zusammen mit
dem Publikum „Alerta, Alerta, Antifascista“.
## Nur Gysis Sieg galt als sicher
Für die Berliner Linke ist der Abend ein durchschlagender Erfolg. Neben
Neukölln holt sie weitere drei Direktmandate allein in Berlin. Vor der Wahl
noch hatte die Linke bundesweit auf drei Direktmandate gehofft, um für den
Fall, dass sie unter fünf Prozent der Zweitstimmen bleibt, trotzdem in den
Bundestag einziehen zu können. Die 5-Prozent-Hürde ist in diesem Fall
aufgehoben, bereits 2021 hatte das die Partei im Bundestag gehalten. Als
sicher galt einzig der Sieg von Gregor Gysi in Treptow-Köpenick.
Überraschend gewinnen noch zwei weitere Linken-Kandidat:innen ihre
Wahlkreise. Eben in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost, wo sich
der ehemalige Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser gegen seine
Grüne-Konkurrentin Katrin Schmidberger durchsetzt. In Lichtenberg wiederum
schlägt die Bundesparteivorsitzende Ines Schwerdtner die AfD-Kandidatin
Beatrix von Storch deutlich.
Auch in Mitte lag die Linke zwischenzeitlich bei den Erststimmen vorn. Das
drehte sich dann. 2021 hatte Hanna Steinmüller von den Grünen den Wahlkreis
mit klarem Vorsprung gewonnen. Sie muss dieses Mal lange zittern, liegt
lange hinter ihrer Linke-Konkurrentin Stella Merendino zurück, aber am Ende
knapp vorn. Merendino wird trotzdem in den Bundestag einziehen – über die
Landesliste der Linken.
Auf Rang 3 und klar abgeschlagen folgt im Wahlkreis Mitte die
Bundestagsabgeordnete Annika Klose für die SPD, die zusammen mit ihrem
Kollegen Ruppert Stüwe aus Steglitz-Zehlendorf das Spitzenduo der Berliner
Sozialdemokrat:innen gebildet hatte.
Beim Treffen des SPD-Kreisverbands Mitte in der Bar Supersonico unweit des
Mauerparks ist die Stimmung trotzdem durchaus heiter. „Wir sind überzeugt,
dass wir gute Antworten haben“, hatte die Parteilinke Klose kurz vor der
18-Uhr-Prognose zu den Wahlkämpfer:innen des selbst für hauptstädtische
Verhältnisse noch einmal besonders linken Kreisverbands. Es gehe darum, die
Menschen zu überzeugen. „Nur leider gelingt uns das nicht immer.“
## „An unserem Wahlkampf hat es nicht gelegen“
In der Tat: Mit nur etwas mehr als 16 Prozent hat die Partei bundesweit ihr
schlechtestes Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Als der
SPD-Balken um 18 Uhr auf dem Bildschirm erscheint, herrscht Stille. Annika
Klose sagt später für ihren Kreisverband: „An unserem Wahlkampf hat es
nicht gelegen.“ Auch Klose wird über die Landesliste ihrer Partei weiter
dem Bundestag angehören.
Dass die SPD insgesamt derart abschmiert, hatte sie befürchtet, sagt Klose
zur taz. Die Partei habe bundespolitisch zu wenig durchgesetzt und könne so
nicht weitermachen. „Wir sind krachend abgewählt worden. Wenn es am Ende
des Wahlabends andere Koalitionsoptionen für die CDU/CSU gibt als die SPD,
dann sollten wir daraus die Konsequenz ziehen.“ Und die hieße dann:
Oppositionsbank.
Am Ende des Wahlabends ist auch klar: Es wird keine andere demokratische
Zweieroption geben im Bund als Schwarz-Rot – mit einer schwer gerupften SPD
als Juniorpartner.
Noch bei der Aufstellung der SPD-Landesliste im Dezember hatte Berlins
SPD-Chefin Nicola Böcker-Giannini die Parole ausgegeben, dass die Wahl für
die Sozialdemokrat:innen längst nicht gelaufen sei. Damals stand die
Partei in Umfragen bei 14 Prozent. „Wie Aufholjagd geht, wissen wir, da
macht uns niemand etwas vor“, versuchte sich Böcker-Giannini als
Mutmacherin. Geholfen hat es kaum.
## SPD-Chefin Böcker-Giannini: Partei ist am Scheideweg
Nach der Klatsche am Sonntag sieht Böcker-Giannini ihre Partei am
Scheideweg: Entweder könne die Partei „unseren Anspruch, führende
Mitte-Links Volkspartei zu sein, glaubhaft unter Beweis stellen und sich
entsprechend neu aufstellen oder sie wird bedeutungslos werden“.
Bitter ist der Abend bei der SPD vor allem auch für einen: den ehemaligen
Regierenden Bürgermeister Michael Müller, der wie Klose und Stüwe seit 2021
im Bundestag sitzt. Wäre es nach ihm und seinem Kreisverband
Charlottenburg-Wilmersdorf gegangen, hätte Müller auf der Landesliste ganz
oben gestanden. Der Einzug in den nächsten Bundestag wäre ihm damit sicher
gewesen.
Allein, die Parteilinke hatte andere, nämlich eigene Pläne, Müller ging bei
der Landesliste leer aus. Seine letzte Chance ist das 2021 erstmals
gewonnene Direktmandat in Charlottenburg-Wilmersdorf. Am Abend zeichnet
sich im Westbezirk bei den Erststimmen zwar ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab
zwischen dem weithin unbekannten Rechtsanwalt Lukas Krieger für die CDU,
Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen und dem Ex-Regierenden
Müller. Recht bald ist dann klar: Krieger gewinnt, Müller ist raus aus dem
Bundestag.
Eine Überraschung gelingt der SPD immerhin im Wahlkreis
Spandau-Charlottenburg Nord: Im Laufe des Abends zieht der ehemalige
Bezirksbürgermeister von Spandau, Helmut Kleebank, an seinem
CDU-Konkurrenten Bernhard Schodrowski vorbei und verteidigt sein 2021
erstmals gewonnenes Bundestagsmandat. Es ist berlinweit das einzige
Direktmandat für die SPD.
## Grünen-Sieg mit 61 Stimmen
Das spannendste Rennen des Wahlabends lieferten sich in
Tempelhof-Schöneberg der Spitzenkandidat der Berliner CDU, Jan-Marco
Luczak, und der Grüne Moritz Heuberger. Am Ende der Wahlkreis-Auszählung um
22.15 Uhr lag Heuberger 0,1 Prozentpunkte oder lediglich 61 Stimmen vor
Luczak. Auch der kann allerdings über die Landesliste seiner Partei erneut
in den Bundestag einziehen.
## Czaja verliert nach langer Auszählung
In Marzahn-Hellersdorf sah es lange so aus, als ob der frühere
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) seinen 2021 erstmals gewonnenen Wahlkreis
verteidigen könnte. Erst mit den letzten ausgezählten Stimmpaketen und erst
lange nach 23 Uhr fiel er hinter den AfD-Kandidaten Gottfried Curio zurück,
der schließlich nur 481 Stimmen Vorsprung hatte.
Das Rennen so lange offen gehalten zu haben, konnte sich Czaja selbst
zuschreiben – bei den Zweitstimmen kam die CDU auf nur wenig mehr als halb
so viele Stimmen wie die AfD. Für die ist es der erste Wahlkreiserfolg in
Berlin. Der war zuvor in Lichtenberg durch Beatrix von Storch erwartet
worden, wo jedoch die Linke-Bundesvorsitzende Schwerdtner gewann.
Insgesamt liegt die Linke damit in Berlin nicht bloß bei den Zweitstimmen,
sondern auch bei der Zahl der gewonnenen Wahlkreise vorn. Bei ihr sind es
vier, bei den Grünen und bei der CDU jeweils drei und bei SPD und AfD je
einer.
Aktualisierung: 24.2.2028, 8.00 Uhr
23 Feb 2025
## AUTOREN
Stefan Alberti
Rainer Rutz
Erik Peter
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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