# taz.de -- Renaissance der Linkspartei: Wiederauferstehung einer Totgesagten | |
> Die Linke galt schon als erledigt, nun erlebt sie einen Aufschwung. Wider | |
> Erwarten könnte sie sogar deutlich die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. | |
Bild: Die Linke lebt: Selfie-Alarm mit Heidi Reichinnek in Hannover am 14.02.205 | |
Unterhaltungen über die Linkspartei, das waren vor noch nicht allzu langer | |
Zeit Gespräche in der Vergangenheitsform. Über eine Partei mit einer – die | |
Vorläuferinnen mitgerechnet – sehr langen Vergangenheit, aber ohne Zukunft. | |
Über eine Partei in ihren letzten Zuckungen. Die Linke – das schien ein | |
klarer Fall für den Insolvenzverwalter zu sein. Die Frage war nur noch, ob | |
das unter Denkmalschutz stehende Karl-Liebknecht-Haus am | |
Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin demnächst zum Museum wird oder in die Fänge | |
irgendeines Immobilienhais gerät. | |
Inzwischen spricht vieles dafür, dass es anders kommt. Denn die [1][bereits | |
totgesagte Linke ist die Überraschung des Bundestagswahlkampfs]. Die Partei | |
wird geradezu überrannt von neuen Mitgliedern. Ihre | |
[2][Spitzenkandidat:innen Heidi Reichinnek] und Jan van Aken füllen | |
die Säle. Das gilt auch für die drei [3][„Silberlocken“ Gregor Gysi], | |
[4][Bodo Ramelow] und [5][Dietmar Bartsch], die auf ihre alten Tage einen | |
zweiten politischen Frühling erleben. | |
Und in der Sonntagsfrage, in denen die Linke lange eingemauert unter 5 | |
Prozent rangierte, überwindet sie [6][seit Ende Januar] plötzlich bei einem | |
Institut nach dem anderen wieder die psychologisch wichtige Marke. | |
„Irgendwie sind wir gerade cool, wir wissen auch nicht genau, warum“, | |
beschreibt van Aken das unerwartete Comeback. | |
Es dürfte ein Mix sein, der für diese Renaissance verantwortlich ist. | |
Offenkundig bedient die Linke zurzeit das Bedürfnis vieler, vor allem | |
jüngerer Menschen, dem gesellschaftlichen Rechtsdrift und der zunehmenden | |
sozialen und humanitären Kälte [7][etwas entgegenzusetzen]. | |
Das war vor nicht allzu langer Zeit noch anders. Denn die fehlende Kraft, | |
nicht schon bei der Initiierung der sogenannten Sammlungsbewegung | |
„Aufstehen“ 2018 den Bruch mit dem nationalpopulistischen | |
„linkskonservativen“ Flügel um Sahra Wagenknecht vollzogen zu haben, hat | |
die Linke viele Sympathien gekostet. Wer findet schon eine dauerstreitende | |
Partei attraktiv, von der man nicht mehr weiß, wofür sie steht | |
## Gleiches Programm, neue Ansprache | |
Verlorene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, ist nicht einfach. Der [8][im | |
vergangenen Oktober neugewählten Parteiführung] um [9][Ines Schwerdtner | |
und Jan van Aken] scheint das aber gelungen zu sein. Entscheidend dazu | |
beigetragen haben dürfte ein Wandel des Politikstils. Das Programm [10][hat | |
sich nicht geändert], aber die Ansprache: Die Linke tritt nicht nur | |
geschlossener auf, vor allem prangert sie angriffslustiger | |
gesellschaftliche Missstände an – ohne dabei verbissen und verbiestert zu | |
wirken. [11][Schwerdtner hat dafür den Begriff der „revolutionären | |
Freundlichkeit“ gefunden]. Selbst die nicht unbedingt wenigen Miesepeter | |
und Stinkstiefel, die es immer noch in der Partei gibt, halten sich | |
gegenwärtig daran. Mit ihrer [12][Mietwucher-App und ihrem | |
Online-Heizkostencheck], mit der Mieter:innen sich gegen Abzocke wehren | |
können, versucht die Linke zudem zu demonstrieren, dass sie sich nicht nur | |
theoretisch, sondern ganz praktisch um die Verbesserung der | |
Lebensbedingungen der Menschen bemüht. | |
Dass die Linke inzwischen in den Umfragen bei 6 Prozent oder darüber liegt, | |
hat noch einen anderen, auf den ersten Blick paradox klingenden Grund: Mit | |
der „Mission Silberlocke“ der drei Altvorderen Gysi, Ramelow und Bartsch | |
ist es ihr gelungen, die Botschaft auszusenden, dass es für einen | |
Wiedereinzug in den Bundestag gar nicht darauf ankommt, die | |
Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Das Kalkül: Gelingt es, schwankenden | |
Wähler:innen die Angst zu nehmen, ihre Stimme an eine aussichtslos | |
erscheinende Partei zu „verschenken“, dann wirkt sich das entsprechend | |
positiv auf das Zweitstimmenergebnis aus. Die aktuellen Umfragen sprechen | |
dafür, dass dieser Plan aufgehen könnte. | |
Dabei ist die „Mission Silberlocke“ vor allem eine Suggestion. Denn trotz | |
gegenteiliger Bekundungen war allen Beteiligten von Anfang an klar, dass | |
eigentlich nur Gysi relativ sicher damit rechnen kann, seinen Wahlkreis in | |
Berlin-Köpenick zu gewinnen. Die Kandidatur von Bartsch in Rostock galt und | |
gilt hingegen als aussichtslos. Und für Ramelow gibt es erst durch den | |
Aufschwung der vergangenen Wochen eine realistische Chance, in Erfurt und | |
Weimar vorn zu liegen. Sicher ist das jedoch keineswegs. Ob [13][Sören | |
Pellmann in Leipzig] gewinnen kann, ist ebenso offen. Es ist also gut | |
möglich, dass es letztlich nur zu einem jener drei Grundmandate reicht, die | |
zur Aushebelung der Fünf-Prozent-Hürde erforderlich wären. | |
## Hälfte der Mitglieder ist neu | |
Wie kurios die aktuelle Situation jedoch ist, zeigt sich daran, dass | |
gleichzeitig auch ein besseres Abschneiden, als die Partei bislang selbst | |
gedacht hatte, nicht mehr gänzlich undenkbar erscheint. Denn mittlerweile | |
haben Ines Schwerdtner, Pascal Meiser und vielleicht sogar noch Ferat Koçak | |
in ihren Berliner Wahlkreisen zumindest eine Außenseiterchance. Der | |
Wahlkampf hat eine schwer einzuschätzende Eigendynamik. | |
Auferstanden aus Ruinen? Das zu konstatieren, wäre verfrüht. Dass die Linke | |
von rund 50.000 Mitgliedern Ende 2023 auf jetzt mehr als 85.000 angewachsen | |
ist, ist indes beeindruckend. Die Abgänge gegengerechnet, bedeutet das, | |
dass etwa die Hälfte der Mitglieder neu in der Partei sind. Aber wie lange | |
dieser Hype anhält, lässt sich nicht vorhersagen. Außerdem wird sich die | |
Linke weiter verändern müssen, damit es gelingen kann, die vielen Neuen auf | |
Dauer zu integrieren. Das wird nicht konfliktfrei sein. | |
Entscheidend für alles Weitere ist, dass die Linkspartei wieder den Sprung | |
in den Bundestag schafft. Ausgemacht ist das noch nicht. Bei Umfragewerten | |
zwischen 6 und 7 Prozent ist die Fehlertoleranz viel zu groß, als dass | |
nicht doch noch alles für sie schiefgehen kann. Dann könnten die inneren | |
Destruktionskräfte schnell wieder die Oberhand gewinnen. Der Genosse Trend | |
spricht allerdings für die Linke. Jedenfalls ist es nicht mehr absurd | |
vorauszusagen, dass sie am 23. Februar die Fünf-Prozent-Hürde wird | |
überwinden können. Möglicherweise sogar deutlich. | |
18 Feb 2025 | |
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