# taz.de -- Linken-Chefin Ines Schwerdtner vor Wahl: „Es ist wie ein Fiebertr… | |
> Sich aufs Soziale zu konzentrieren, habe funktioniert, sagt Linken-Chefin | |
> Ines Schwerdtner. Ein Gespräch über Demut, Freundlichkeit und die | |
> Zukunft. | |
Bild: Ines Schwerdtner | |
taz: Frau Schwerdtner, Sie sind seit Herbst vergangenen Jahres | |
Parteivorsitzende der Linken. Haben Sie seitdem etwas über Politik gelernt, | |
was Sie vorher nicht wussten? | |
Ines Schwerdtner: Ich bin ein bisschen demütiger geworden. Wenn man jeden | |
Tag an Haustüren klingelt oder am Wahlkampfstand steht, merkt man wirklich, | |
was für eine Herausforderung es ist, Menschen wieder für linke Politik zu | |
begeistern. | |
taz: Aber schaut man sich [1][die Umfragen] an, hätte es für Sie auch | |
schlechter laufen können, oder? | |
Schwerdtner: Das stimmt. Aber es war und ist ein ganz schöner Ritt. Seit | |
Anfang des Jahres ist es wie ein Fiebertraum – im positiven Sinn. Da begann | |
endlich die gute Stimmung in der Partei nach draußen zu schwappen. Es hat | |
wirklich funktioniert, was Jan van Aken und ich uns [2][im Oktober bei | |
unserem Amtsantritt] überlegt haben: nämlich konsequent aufs Soziale zu | |
fokussieren. Wobei da natürlich auch ein bisschen Glück dabei war. | |
Offenkundig haben wir eine Stimmung bei vielen getroffen, den Rechtsruck in | |
der Gesellschaft und auch im Parlament nicht einfach kampflos hinnehmen zu | |
wollen. | |
taz: Die FAZ warnt ihre Leser:innen davor, dass bei der Bundestagswahl | |
SPD, Grüne, BSW und die Linken zusammen eine Mehrheit im Parlament bekommen | |
könnten. Und dann könnte Olaf Scholz zu dem „Husarenstück“ bereit sein, | |
sich mittels solch einer Koalition eine Kanzlermehrheit zu organisieren. | |
Wären auch Sie dazu bereit? | |
Schwerdtner: Das ist außerhalb meiner Vorstellungskraft. Die Leute, die | |
gerade Wahlkampf für Die Linke machen, machen das nicht für irgendwelche | |
Koalitionen, sondern für ganz bestimmte Forderungen wie für einen | |
Mietendeckel und für günstigere Lebenshaltungskosten. Und weil wir | |
verlässlich antifaschistisch sind. Darum geht es aktuell. | |
taz: Wie fühlt es sich an, als bereits totgesagte Partei plötzlich wieder | |
Koalitionsfragen gestellt zu bekommen? | |
Schwerdtner: Das finde ich witzig, beschäftigt mich ansonsten aber kaum. | |
Wir meinen es ernst, wenn wir sagen: Andere wollen regieren – wir wollen | |
verändern! Und: Wir sind die Brandmauer! Das bedeutet, dass wir uns | |
verweigern, auf Kosten von Menschen Politik zu machen. Wir halten als | |
einzige Partei konsequent dagegen, wenn zum Beispiel in Talkshows gegen | |
Bürgergeldempfänger oder Geflüchtete gehetzt wird. Während SPD und Grüne | |
darum kämpfen, wer von ihnen mit Friedrich Merz regieren darf, verteidigen | |
wir das Asylrecht. Da brauche ich doch jetzt kein Koalitionsgeplänkel. | |
taz: Anders als Ihr Co-Vorsitzender Jan van Aken gehörten Sie zu jenen, die | |
gerne die Abspaltung des „linkskonservativen“ Flügels um Sahra Wagenknecht | |
verhindert hätten. Sehen Sie das immer noch so? | |
Schwerdtner: Weil eine Spaltung immer erst einmal schwächt. Spätestens seit | |
[3][der Abstimmung des BSW mit der AfD im Bundestag] dürfte aber allen klar | |
sein, dass die Abspaltung von denjenigen, die da mitgestimmt haben, richtig | |
war. | |
taz: Die Linkspartei erfreut sich derzeit eines bemerkenswerten Zulaufs und | |
ist inzwischen auf mehr als 81.000 Mitglieder angewachsen. Denken Sie, dass | |
das möglich gewesen wäre, wenn Wagenknecht und ihr Anhang noch in Ihrer | |
Partei wären? | |
Schwerdtner: Nein. | |
taz: Jan van Aken bezeichnet das BSW als Kreml-Partei. Tun Sie das auch? | |
Schwerdtner: Na ja, ich sage das seltener als er. Das liegt daran, dass ich | |
nicht glaube, dass das zur Charakterisierung des BSW den Kern trifft. Für | |
mich ist das Zentrale, dass es sich um eine autoritär geführte | |
Ein-Personen-Partei handelt, die mit Demokratie nichts am Hut hat und deren | |
Gründungskreis seinen Klassenstandpunkt verlassen hat. Dass das BSW ein | |
unkritisches Verhältnis zu Putin und wenig Empathie für die Menschen in der | |
Ukraine hat, kommt dann noch dazu. | |
taz: Haben Sie eine Idee, was Sie mit den [4][vielen neuen Mitgliedern] | |
anfangen wollen? Der Durchschnitt der Neuen ist um die 28 Jahre alt, mehr | |
als die Hälfte ist weiblich, viele akademisch. Das dürfte doch für etliche | |
Ihrer Landesverbände vor allem im Osten ein Kulturschock sein. | |
Schwerdtner: Das Tolle ist, dass die sofort in den Wahlkampf einsteigen. | |
Alt- und Neumitglieder lernen sich dadurch in der Praxis kennen. Die | |
Älteren nehmen die Begeisterung der Neuen auf und geben ihre Erfahrung | |
weiter. Ich habe den Eindruck, dass sich das gerade eigentlich sehr gut | |
gegenseitig so befruchtet. Natürlich machen wir uns Gedanken darüber, wie | |
es nach dem Wahltag weitergeht. Wie überführen wir die jetzige Energie in | |
eine organisierte Struktur, die auch jenseits des Wahlkampfs funktioniert? | |
Das ist in der Tat eine Mammutaufgabe. | |
taz: Parteien sind ja auch immer Jahrmärkte der Eitelkeiten. Wie sehr wurmt | |
es Sie eigentlich, jetzt so im Schatten der Linken-Spitzenkandidatin | |
[5][Heidi Reichinnek] zu stehen? | |
Schwerdtner: Gar nicht. Ich glaube, wir haben eine nahezu ideale | |
Arbeitsteilung gefunden. Es ist gut, dass [6][Sören Pellmann] und ich das | |
Groundgame machen und darum kämpfen, unsere Direktmandate in Leipzig und | |
[7][Lichtenberg] zu gewinnen. Jan van Aken macht in den Talkshows die | |
politische Konkurrenz fertig und Heidi Reichinnek ist die Queen im | |
Bundestag und auf TikTok. Dazu kommen noch die drei „Silberlocken“, also | |
Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch. Dass eine solche | |
Konstellation funktioniert, hätte ich mir auch nicht zu träumen gewagt. | |
Aber es klappt. | |
taz: Ihr Wahlkreis in Berlin-Lichtenberg hat eine einzigartige | |
Besonderheit: Seit der Wiedervereinigung wurde er ausschließlich von | |
Linken-Politikerinnen gewonnen, erst von Christa Luft und dann von Gesine | |
Lötzsch. Jetzt gilt die AfD-Politikerin [8][Beatrix von Storch] als | |
Favoritin. Ist das nicht verdammt bitter für Sie? | |
Schwerdtner: In der politischen Erbfolge von Christa Luft und [9][Gesine | |
Lötzsch] zu stehen, empfinde ich als eine große Ehre. Ich werde dem rechten | |
Hochadel aus dem Westen hier nicht einfach einen Ostbezirk wie Lichtenberg | |
mit einer solchen linken Tradition überlassen. Und mit mir kämpfen gerade | |
viele an Tausenden Haustüren darum, dass das nicht geschieht. Da sind auch | |
viele Nichtmitglieder dabei, die sagen: Wir müssen Beatrix von Storch | |
verhindern! | |
taz: Sie werben damit, dass Sie und ihr Co-Vorsitzender Jan von Aken | |
freiwillig nur das Durchschnittseinkommen eines Arbeitnehmers in | |
Deutschland von 2.850 Euro netto im Monat beziehen würden. Das sollte Ihrer | |
Erachtens Vorbildcharakter haben. Haben Sie darüber eigentlich schon mal | |
mit den drei „Silberlocken“ gesprochen? | |
Schwerdtner: Ja, und auch mit vielen anderen. Ich spüre da gerade wirklich | |
Bewegung in der Partei. Wir haben ab der nächsten Legislatur eine ganz neue | |
Fraktion, der auch die „Silberlocken“ angehören werden. Wenn die drei | |
mitmachen, freue ich mich. Aber es werden sich ansonsten auch genug andere | |
freiwillig auf ein Durchschnittseinkommen beschränken. Schon jetzt spenden | |
die Linken-Abgeordneten übrigens viel. | |
taz: Den Umfragen nach hat die Linkspartei inzwischen eine gute Chance, | |
wieder in den Bundestag einzuziehen. Sicher ist das aber noch nicht. Haben | |
Sie einen Plan B für den Fall, dass es doch nicht klappt? | |
Schwerdtner: Nun ja, unser Plan A ist, möglichst deutlich die | |
Fünfprozenthürde zu überwinden. Plan B ist, in den Wahlkreisen mindestens | |
drei Grundmandate zu gewinnen – unser Sicherheitsgurt für den Wiedereinzug | |
in den Bundestag. Das war von Anfang an unsere Doppelstrategie. Sowohl für | |
Plan A als auch für Plan B sieht es sehr gut aus. | |
taz: Egal wie die Wahl ausgeht, so haben Sie angekündigt, soll es eine | |
programmatische Erneuerung der Linken geben. Was muss man sich darunter | |
vorstellen? | |
Schwerdtner: Unser Grundsatzprogramm stammt aus dem Jahr 2011. Ich finde es | |
in wesentlichen Teilen immer noch verblüffend gut und richtig. Wir müssen | |
also nicht alles über Bord werfen. Aber die Welt hat sich seitdem | |
weiterbewegt. Um nur drei Punkte zu nennen: Es gibt eine andere | |
Blockkonfrontation, die Klimakatastrophe stellt uns vor neue Realitäten, | |
die Transformationsprozesse der Wirtschaft haben einen anderen Stand als | |
noch vor mehr als einem Jahrzehnt. Und nicht zuletzt hat sich unsere Partei | |
stark verändert. Bei mehreren zehntausend Eintritten im vergangenen und vor | |
allem in diesem Jahr sind wir inzwischen praktisch eine neue Partei. Ich | |
finde, dass sich das auch in einem neuen Grundsatzprogramm widerspiegeln | |
sollte. Das streben wir bis Ende 2027 an. | |
taz: Sie haben Ihrer Partei „revolutionäre Freundlichkeit“ verordnet. Fäl… | |
Ihnen das nicht selbst manchmal schwer? | |
Schwerdtner: Ja, sicher. Insbesondere auf Podien mit den politischen | |
Konkurrenten ist das nicht immer leicht. Das gilt auch an manchen Haustüren | |
oder am Infostand, wenn da Leute sagen: Die Linken finde ich scheiße, die | |
habe ich sowieso schon immer gehasst. Aber gerade dann halte ich es für | |
wichtig, freundlich zu bleiben. Dann sage ich trotzdem: Na gut, Sie können | |
aber gerne trotzdem zu meiner Sozialsprechstunde kommen, wir haben übrigens | |
einen Mietwucherrechner und einen Heizkostenrechner, können Sie ja mal | |
prüfen. Und dann wünsche ich einen schönen Tag. Dass überrascht viele | |
enorm. Und vielleicht sorgt es bei dem einen oder der anderen für ein | |
Nachdenken. Damit ist doch schon etwas gewonnen. | |
13 Feb 2025 | |
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