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# taz.de -- Zurückweisungen an deutschen Grenzen: Faeser setzt auf Schnellverf…
> Die Innenministerin will „massive“ Zurückweisungen an den Grenzen – und
> setzt auf Schnellverfahren an der Grenze. Doch der Union reicht das
> nicht.
Bild: Früher gegen Grenzkontrollen und Zurückweisungen, jetzt dafür: Bundesi…
Dieser Text wurde mehrfach für Sie aktualsiert. Zuletzt um 18.38 Uhr.
Berlin taz | Die Ansage von Nancy Faeser war markig. [1][Eine „massive
Ausweitung“ der Zurückweisungen von Geflüchteten] an den deutschen
Außengrenzen kündigte die Bundesinnenministerin am Montag an. Wie genau,
das besprach Faeser am Dienstagnachmittag mit der Union. Ihr Voschlag:
Schnellverfahren an der deutschen Grenze, auch mit Haft oder einer
Wohnsitzauflage für die Asylsuchenden. Doch die Union erteilte dem eine
Absage.
Faesers Plan war bereits während der Gespräche mit der Union nach außen
gedrungen. Er lautet: Äußern Geflüchtete künftig an der deutschen Grenze
ein Asylgesuch, soll die Bundespolizei nun im Schnellverfahren prüfen, ob
die Personen bereits in einen anderen EU-Staat einreiste, der laut
Dublin-Verfahren für das Asylverfahren zuständig wäre. Solange die Prüfung
andauert, sollen die Geflüchteten in Grenznähe in Haft genommen werden.
Zuständige Gerichte sollen die Haft mit Verweis auf eine Fluchtgefahr und
Sicherstellung des Verfahrens verhängen. Alternativ soll eine feste
Zuweisung und Wohnsitzauflage für die Geflüchteten verhängt werden.
Die Dublin-Asylverfahren sollen dann künftig „beschleunigt“ erfolgen, mit
Befragungen schon durch die Bundespolizei, deren Ergebnisse an das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übermittelt werden sollen. Zugleich
soll bei den zuständigen EU-Ländern eine schnelle Zustimmung zur
Überstellung der Person erwirkt werden. Gibt es Klagen der Betroffenen
dagegen, sollen diese „zügig“ von den Verwaltungsgerichten entschieden
werden. Parallel soll die Bundespolizei den Zurückweisungstermin planen und
diesen schnellstmöglich umsetzen.
## Asylsuchende sollen inhaftiert werden
Wie schnell die Verfahren dann am Ende tatsächlich werden, und damit auch
wie wie lang die Haft oder Wohnsitzauflage der Asylsuchenden, bliebe damit
offen – denn es sind viele Variablen im Spiel. Faeser erklärte nach dem
Gespräch mit der Union, idealerweise schaffe man die Verfahren in fünf
Wochen. Für die Haftplätze für die Geflüchteten werde man mit den Ländern
ins Gespräch gehen. Möglich seien auch getrennte Bereiche in
Erstaufnahmeeinrichtungen, so Faeser. Und sie beteuerte, dass dieses Modell
effektiv und konform mit deutschem und europäischem Recht sei und auch
„keine nationalen Alleingänge“ bedeute. Zugleich wolle man darauf drängen,
dass die zuletzt beschlossene EU-Asylreform GEAS schnellstmöglich in
Deutschland umgesetzt wird.
Die Union aber verließ am frühen Dienstagabend die Gespräche mit der Ampel
und erklärte diese für beendet. „Wir sind zu keinem gemeinsamen Ergebnis
gekommen“, sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei. Die
Vorschläge der Ampel würden nicht zu tatsächlichen Zurückweisungen führen,
sondern die Einreisenden weiter erstmal ins Land lassen. „Das wird den
Herausforderungen nicht gerecht“, so Frei. Weitere Gespräche in diesem
Format machten daher keinen Sinn.
Auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) erklärte, eine „wirkliche
Trendwende“ in der Migrationspolitik sei so nicht möglich, die Gespräche
seien damit nicht weiter zielführend. Man müsse bereits die Einreise der
Asylsuchenden verhindern und nicht neue Bürokratie schaffen, so Poseck.
Faeser sowie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin
Annalena Baerbock (Grüne) bedauerten am Abend den Abbruch der Gespräche.
Das Trio verteidigte den Plan der Schnellverfahren an der Grenze: Nur
dieser sei rechtssicher. Faeser verwies darauf, dass etwa Österreich
bereits angekündigt, Zurückgewiesene an der Grenze nicht aufzunehmen. Man
brauche daher ein einvernehmliches, europäisches Modell. Faeser sagte, mit
dem Plan werde man international eine „immense Außenwirkung“ erzielen.
## Ordnung für Humanität?
Und alle Drei betonten, der Status Quo könne „so nicht bleiben“: Die
Kommunen seien von den Asylsuchenden überfordert. Geltendes Recht werde
heute „in zehntausenden Fällen“ gebrochen, wenn Dublin-Fälle nicht
umgesetzt würden, sagte Buschmann. Auch Baerbock betonte, ohne Ordnung in
der Migrationspolitik gebe es keine Humanität. Man müsse zusammenstehen,
wenn die Demokratie „von außen wie innen bedroht ist“.
In den Ampel-Fraktionen zeigte man sich über die Union entrüstet.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese erklärte, er habe den Eindruck, die Union habe
die Gespräche „von Anfang an Scheitern lassen wollen“, auch mit Blick auf
die Brandenburger Landtagswahl. Dies sei „sehr bedauerlich“. Man werde aber
als Ampel weiter schauen, welche Maßnahmen man auch so umsetzen könne.
Auch Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic warf der Union „eine
Politik der Show-Effekte ohne Substanz“ vor. Diese habe keinerlei
rechtskonforme Vorschläge gemacht und zeige „demonstrativ ihr Desinteresse
an tragfähigen Lösungen für unsere Land“.
Zuvor war auch in Faesers Ministerium vor rechtlichen Hürden gewarnt
worden, wenn man die Unions-Forderung aufgreifen und die Zurückweisungen
über einen nationalen Notstand begründen würde. Hierfür müsste sich
Deutschland auf den Artikel 72 des EU-Arbeitsvertrags berufen. Dieser
gesteht den EU-Staaten eigenständiges Handeln zu, wenn es um die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit geht. [2][Der Europäische
Gerichtshof (EuGH) legt das eng aus]: EU-Staaten können nur im Ausnahmefall
vom EU-Recht abweichen, wenn es sonst keine rechtskonformen Möglichkeiten
gibt, die eigene Sicherheit aufrechtzuerhalten.
Nach taz-Informationen warnten Fachexpert*innen im Innenministerium,
dass noch kein EU-Mitgliedstaat sich bisher erfolgreich vor dem EuGH auf
den Artikel 72 berufen konnte. Wolle Deutschland nun pauschal Geflüchtete
ohne Prüfverfahren an der Grenze zurückweisen und sich auf den Artikel
berufen, müsse man konkret nachweisen, dass eine tatsächliche, schwere
Gefährdung der Inneren Sicherheit vorliege, und damit eine
Ausnahmesituation, heißt es intern. Hier reichten keine allgemeinen
Behauptungen.
Auch müsste dargelegt werden, welche nationalen, milderen Maßnahmen bisher
schon ergriffen wurden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Und um welchen
konkreten Personenkreis es bei den Zurückweisungen gehen soll, und genauso,
wie lange die Ausnahme gelten soll, bis der Verstoß gegen das EU-Recht
wieder beendet wird.
## Ministerium fürchtet Einschreiten des EuGH
Zudem wurde intern im Ministerium gewarnt, dass die Maßnahme von kurzer
Dauer sein könnte: Denn der EuGH könnte auch im Eilrechtsschutz eine
einstweilige Anordnung treffen, die Maßnahmen wieder zu beenden. Möglich
sei auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland oder der Antrag
eines deutschen Gerichts auf eine Vorabentscheidung zu dem Verstoß gegen
das EU-Recht.
Tatsächlich wäre die Begründung einer Ausnahmesituation für die
Bundesregierung schwierig geworden: Die Zahl der Asylanträge ging zuletzt
deutlich zurück. Auch die islamistischen [3][Anschläge von Solingen] und
[4][München] erschütterten die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht in
ihren Grundfesten.
Die Union hatte nach Solingen aber gefordert, eben genau diesen
„Ausnahmezustand“ zu erklären, um pauschale Zurückweisungen von
Geflüchteten an der Grenze zu ermöglichen. Bisher gibt es diese
Zurückweisungen nur, wenn Geflüchtete bei der Einreise keinen Asylantrag
stellen wollen oder offensichtlich ungültige Papiere besitzen.
## Auch Grüne und Teile der SPD mit Bauchschmerzen
Vor allem bei den Grünen, aber auch bei Teilen der SPD, gibt es Bedenken
gegen die Zurückweisungspläne. Grünen-Chefin Ricarda Lang erklärte am
Dienstag, „Zurückweisungen durch eine Notlage würde Europa zerstören“.
Nationale Alleingänge sorgten hier „für Chaos und Spaltung in Europa“. Der
SPD-Politiker Michael Roth nannte die „faktische Aufkündigung von Schengen
bitter, sehr bitter“.
Am Dienstagnachmittag wollte sich die Ampel-Regierung [5][zum zweiten Mal
mit der Union treffen,] um über weitere Verschärfungen der Migrations- und
Sicherheitspolitik zu sprechen. Die Union hatte eine Teilnahme lange
hinausgezögert und hierfür zur Bedingung gemacht, dass die Ampel
bundesweite Grenzkontrollen und Zurückweisungen durchsetzt. Beides hatte
Faeser am Montag angekündigt. Zudem wollen die Ampel-Fraktionen am
Donnerstag im Bundestag [6][in erster Lesung weitere Verschärfungen
einbringen].
Auch der Rat für Migration, ein Gremium von Migrationsforscher*innen,
nannte die Zurückweisungen am Dienstag eine „brandgefährliche Strategie“.
Zurückweisungen von Schutzsuchenden an der Grenze seien „unzweifelhaft
rechtswidrig“. Dies verstoße gegen die EU-Asylverfahrensrichtlinie, die
Dublin-III-Verordnung sowie die EU-Rückführungsrichtlinie. Weder bilde ein
Notstand die aktuelle Situation in Deutschland ab, noch sei der Bestand des
deutschen Staats aktuell gefährdet. „Wer den Vorrang von EU-Recht derart in
Frage stellt, gefährdet den europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts und rüttelt am Fundament der europäischen Rechtsordnung“,
warnen die Forscher*innen.
Auch mehrere Verbände wie Pro Asyl, Amnesty International, der Paritätische
oder die AWO protestierten gegen die geplanten Zurückweisungen. „Anstatt
sich zu stets neuen Verschärfungen treiben zu lassen, muss die
Bundesregierung für ein Europa der Rechtsstaatlichkeit und der
Menschenrechte einstehen“, forderten sie am Dienstag in einer gemeinsamen
Stellungnahme.
10 Sep 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Konrad Litschko
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