| # taz.de -- Zurückweisungen von Flüchtlingen: Auf die Notlage kommt es an | |
| > Die CDU/CSU verlangt, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen | |
| > zurückzuweisen. Das wird der Europäische Gerichtshof ziemlich sicher | |
| > beanstanden. | |
| Bild: Kontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze | |
| BERLIN taz | „Die Bundesregierung weiß, dass es rechtlich möglich ist, an | |
| den deutschen Außengrenzen zurückzuweisen“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz | |
| und zeigt sich dabei ziemlich sicher. Er hat der Bundesregierung schon vor | |
| einigen Tagen ein Ultimatum gesetzt. Nur wenn die Regierung Zurückweisungen | |
| von Flüchtlingen zustimmt, sei die CDU/CSU überhaupt bereit, an den | |
| Bund-Länder-Oppositionsgesprächen zur Migrationspolitik weiter mitzuwirken. | |
| Der CDU/CSU-Fraktionsvorstand hat das Ultimatum an diesem Freitag in einem | |
| Positionspapier bestätigt. Zurückweisungen hätten „Top-Priorität“ für … | |
| Union. | |
| Die Ampelkoalition hat zwar das Ultimatum heftig kritisiert, nicht aber die | |
| Forderung an sich. Vielmehr will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) | |
| bis nächste Woche prüfen, ob [1][Zurückweisungen rechtlich möglich sind.] | |
| Die FDP unterstützte am Freitag Merz' Forderung. Die Grüne Luise Amtsberg, | |
| Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, erklärte jedoch, | |
| „rechtswidrige Forderungen sind kein konstruktiver Beitrag zur Debatte“. | |
| Bisher weist die Bundespolizei Flüchtlinge an den Grenzen nur zurück, wenn | |
| diese keinen Asylantrag stellen. Künftig, so die Forderung der CDU/CSU, | |
| sollen alle Flüchtlinge von der Bundespolizei zurückgewiesen werden, die | |
| über einen anderen EU-Staat einreisen wollen. Da Deutschland nur von | |
| EU-Staaten umgeben ist, würden also alle Flüchtlinge an den Grenzen | |
| zurückgewiesen, auch wenn sie Asyl beantragen. | |
| Die Forderung der CDU/CSU ist nicht neu. Sie wird von Politikern wie | |
| Ex-Innenminister Horst Seehofer (CSU) schon seit 2015 erhoben. Er konnte | |
| sich damals aber nicht gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) | |
| durchsetzen. Die Befürworter von Zurückweisungen argumentieren mit Paragraf | |
| 18 des deutschen Asylgesetzes. Dort heißt es ausdrücklich: „Dem Ausländer | |
| ist die Einreise zu verweigern, wenn er aus einem sicheren Drittstaat | |
| einreist.“ | |
| Das deutsche Recht ist hier aber nicht anwendbar, weil EU-Recht Vorrang | |
| hat, konkret: die Dublin-III-Verordnung der EU. Die [2][sogenannten | |
| Dublin-Regeln] legen fest, welcher EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig | |
| ist. In der Regel ist es der Staat, über den der Flüchtling in die EU | |
| eingereist ist. Wenn ein Flüchtling nach Deutschland kommt, erhält er also | |
| erst mal kein Asylverfahren, sondern es wird geprüft, welcher Staat für | |
| sein Asylverfahren zuständig ist. | |
| Für diese Prüfung darf er nach den Dublin-Regeln aber zunächst einreisen | |
| und kann nicht einfach zurückgewiesen werden. Eine Zurückweisung zum | |
| Beispiel nach Österreich würde auch gar keinen Sinn machen, wenn etwa | |
| Italien für das Asylverfahren zuständig ist, weil der Flüchtling erstmals | |
| in Italien registriert wurde. | |
| Merz schlägt nun aber vor, sich auf die sogenannte Notlagen-Klausel im | |
| EU-Arbeitsvertrag zu berufen. Artikel 72 sagt, dass die EU-Staaten für die | |
| Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit verantwortlich bleiben. Der | |
| Europäische Gerichtshof (EuGH) legt dies so aus, dass EU-Staaten von | |
| EU-Recht nur dann abweichen können, wenn es keine rechts-konformen | |
| Möglichkeiten gibt, die Sicherheit aufrechtzuerhalten. | |
| Insbesondere Ungarn hat schon mehrfach versucht, sich im Asylrecht auf | |
| Artikel 72 zu berufen, um von EU-Recht abweichen zu können. Doch der EuGH | |
| hat das noch in keinem einzigen Fall akzeptiert. | |
| Auch eine deutsche Regierungs-Anordnung, die Dublin-III-Verordnung zu | |
| ignorieren und Flüchtlinge einfach an der deutschen Grenze zurückzuweisen, | |
| dürfte vom EuGH kaum akzeptiert werden. Schließlich ist die objektive Lage | |
| in Deutschland derzeit nicht übermäßig zugespitzt; die Flüchtlingszahlen | |
| sind 2024 sogar niedriger als im Vorjahr. Und dass ein [3][islamistischer | |
| Flüchtling beim Stadtfest in Solingen drei Menschen erstochen hat], kann | |
| natürlich nicht rechtfertigen, die Regeln für alle Flüchtlinge außer Kraft | |
| zu setzen. | |
| ## Mit einer Klage ist zu rechnen | |
| Dennoch scheinen es in Berlin viele auf einen Versuch ankommen lassen zu | |
| wollen. Ihnen ist es wohl wichtiger, schnell drastische, abschreckende | |
| Bilder an der deutschen Grenze zu produzieren, als eine Beanstandung durch | |
| den EuGH zu verhindern. | |
| Außerdem würde es auch geraume Zeit dauern, bis der EuGH die | |
| Zurückweisungen prüfen könnte. Die EU-Kommission wird vermutlich kein | |
| Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten, weil sie den | |
| EU-Staaten asylrechtlich bisher fast alle Regelverletzungen durchgehen | |
| ließ. Deutsche Nachbarstaaten wie Österreich könnten zwar auch klagen, weil | |
| sie dann ja die Flüchtlinge versorgen müssen. | |
| Viel wahrscheinlicher ist aber, [4][dass Österreich und andere Staaten | |
| sofort dem deutschen Beispiel folgen] und nun selbst Flüchtlinge an ihren | |
| Grenzen zurückweisen. Am wahrscheinlichsten ist, dass ein zurückgewiesener | |
| Flüchtling mit Hilfe deutscher Verbände aus dem Ausland bei einem deutschen | |
| Verwaltungsgericht klagt und dieses Verwaltungsgericht den Fall dann dem | |
| EuGH vorlegt. | |
| Sollte diese oder die nächste Bundesregierung Zurückweisungen an der Grenze | |
| anordnen, wird sie also einige Zeit lang behaupten können, der EuGH habe | |
| das bisher ja gar nicht ausdrücklich verboten. | |
| 6 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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