Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- EU-Migrationspolitik: Die Wiederkehr der Zurückweisung
> Die aktuelle Migrationsdebatte in Deutschland wärmt alte Ideen auf. So
> lässt sie innereuropäische Konflikte wieder aufleben.
Bild: Inspiration für Politiker:innen: Die Initiative „Herz statt Hetze“ v…
Berlin taz | Flüchtlinge bei der Einreise direkt wieder abweisen oder
abschieben zu können – ohne ein Asylverfahren: Das fordern konservative
Innenpolitiker seit Jahren. Auch nach dem jüngsten Gespräch zwischen
Bundesregierung, Landesregierungen und CDU/CSU zum Thema Migration
beharrten Politiker:innen der Union erneut darauf: Deutschland müsse
Menschen ohne Bleiberecht an den Grenzen zurückweisen dürfen.
Es gebe „keine Rechtsprechung, die dagegen spricht“, behauptete etwa der
parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU).
Es müsse die „grundlegende Frage“ geklärt werden, „ob sich die
Bundesregierung durchringen kann, diesen Beitrag zu einer drastischen
Reduktion der Migration nach Deutschland zu schaffen“, sagte Frei. Die
CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz sagte im ZDF, sie habe eine „große
Offenheit“, was das Thema Grenzkontrollen und Zurückweisung angeht, bei dem
Gespräch verspürt.
Pro Asyl hingegen hatte die [1][direkte Zurückweisung von Migranten] an der
deutschen Grenze am Dienstag als europarechtswidrig eingestuft. Im
September 2023 hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass
Zurückweisungen an den EU-Binnengrenzen „regelmäßig rechtswidrig“ sind. …
Urteil folgte auf eine Klage von Vereinigungen aus Frankreich, unter
anderem von Asylrechts-Anwält:innen.
Sie wandten sich gegen eine französische Verordnung aus dem Jahr 2020. Die
sah vor, dass französische Behörden Angehörigen von Drittstaaten die
Einreise an Grenzen zu anderen EU-Mitgliedsstaaten verweigern können. Der
EuGH urteilte damals, dass eine Abschiebungsandrohung mit Frist zur
freiwilligen Ausreise einhergehen muss. Die Person dürfe also an der Grenze
nicht direkt [2][ins Nachbarland zurückgeschickt] werden. Das gelte selbst
dann, wenn die Person eine Gefahr darstellt – in dem Fall könne die Person
jedoch inhaftiert werden.
## Geschlossene Grenzen und Lager
Die Idee, Binnengrenzkontrollen innerhalb der EU wieder einzuführen und
[3][irreguläre Migrant:innen zurückzuweisen], ist nicht neu. Bereits
2016 hatten Frankreich die Grenze zu Italien für Flüchtlinge geschlossen,
Flüchtlinge, die über den Küstenort Ventimiglia einreisen wollten, wurden
nicht durchgelassen. Weil viele in der Folge versuchten, über die Schweiz
nach Frankreich und Großbritannien zu gelangen, ging diese bald darauf
ebenso dazu über, die Flüchtlinge abzuweisen.
Ungarn hatte ab 2016 auf eine etwa andere Variante gesetzt: Es internierte
aus Richtung Serbien ankommende [4][Menschen in Lagern], die „rückwärts“
offen waren: Wer wieder nach Serbien ausreiste, kam frei, alle anderen
blieben in Haft. Straßburg hatte diese Praxis allerdings 2017 und 2020 für
rechtswidrig erklärt.
Bei „vorgelagerten Grenzkontrollen“ hinderten deutsche Beamte der
Bundespolizeiinspektion Freilassing schon am Bahnhof in Salzburg – also auf
österreichischem Territorium – Migrant:innen daran, Züge nach
Deutschland zu besteigen. Möglich machte dies ein Staatsvertrag aus dem
Jahr 2003.
Ab Anfang des Jahres 2016 machte Deutschland vorübergehend Gebrauch davon,
das Modell war beschränkt auf den Salzburger Bahnhof. Wer in Deutschland
einen Asylantrag stellen könnte, durfte nicht in den Zug und bekam direkt
in Salzburg eine „Einreiseverweigerung mit Belehrung“.
## Seehofers Transitzentren
Der damalige CSU-Innenminister Horst Seehofer wollte ab 2018 irreguläre
Migration durch noch umfassendere Zurückweisung an den deutschen Grenzen
eindämmen. Alle, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag
gestellt hatten, sollten nicht einreisen dürfen, sondern bis zur
Abschiebung und ohne Asylverfahren in [5][sogenannten Transitzentren]
festgehalten werden. Seehofer schloss dazu bilaterale Abkommen mit
Griechenland und Spanien ab.
Die Vereinbarungen griffen nur bei Asylbewerber:innen, die bei Kontrollen
an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen wurden. Für
Migrant:innen, die über Griechenland und Spanien in die EU eingereist
waren, führte die Route gen Norden aber nur ganz selten durch Österreich.
Die Bundespolizei schob deshalb auf Grundlage dieser beiden Abkommen auch
seinerzeit nur eine sehr geringe Zahl von Menschen in diese beiden Staaten
ab.
Das Haupteinreiseland Italien weigerte sich indes, eine entsprechende
Vereinbarung zu unterzeichnen. Deutschland wiederum pochte vor allem
deshalb darauf, in dieser Frage weiter Druck zu machen, weil es die damals
laufenden Verhandlungen für das Gemeinsame Europäische Asylsystem nicht
weiter erschweren wollte.
Insgesamt ist das Thema der Einreiseverweigerung heikel und dürfte auf
[6][EU-Ebene zu Verstimmungen] führen. Italien etwa ist seit Langem der
Auffassung, dass Deutschland und andere Länder ihm zu wenige Flüchtlinge
abnehmen. Sie weigern sich seit Jahren, Personen zurückzunehmen, die es auf
Grundlage der Dublin-Regelung nehmen müsste. Zurückweisungen an Grenzen
dürften eine Kettenreaktion auslösen, die das politische Klima in der
Migrationsfrage noch weiter aufheizt.
4 Sep 2024
## LINKS
[1] /Gewalt-an-den-EU-Aussengrenzen/!6023990
[2] /Zurueckweisungen-von-Gefluechteten/!5879819
[3] /Migrationspolitik-in-der-EU/!6014828
[4] /Gefluechtete-in-Ungarn/!5687377
[5] /Aktivistin-ueber-Seehofers-Ankerzentren/!5526089
[6] /Debatte-ueber-EU-Asylpolitik/!6029941
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Migration
Grenzkontrollen
Dublin-System
Abschiebung
GNS
Abschiebung
Schwerpunkt Flucht
Generaldebatte
Migration
Schwerpunkt Flucht
Migration
CDU/CSU
Abschiebung
Migration
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
## ARTIKEL ZUM THEMA
Migrationsdebatte im Bundestag: Schneller, schärfer, härter
Im Bundestag übertrumpfen sich fast alle mit Anti-Migrationsrhetorik. Nur
die Linkspartei kritisiert die Richtung grundsätzlich.
Österreichische Migrationsexpertin: „Schlepperrouten verlagern sich“
Zurückweisungen direkt an der deutschen Grenze seien kaum umsetzbar, sagt
Migrationsforscherin Kohlenberger. Sie plädiert für europäische Lösungen.
Generaldebatte im Bundestag: Der lachende Dritte
Über den Schlagabtausch von Scholz und Merz kann sich die AfD nur ins
Fäustchen lachen. Wenigstens in Sachen Migration sollte man sich
zusammenraufen.
Migrationspolitik in der EU: Europas Wartesaal
Das Flüchtlingslager auf der Insel Kos gilt als Blaupause für die neue
europäische Migrationspolitik. Die zeigt: Das Konzept ist zum Scheitern
verdammt.
Faeser will Grenzkontrollen ausweiten: Ein gefährlicher Domino-Effekt
Das Narrativ der Rechten, an den deutschen Außengrenzen herrsche Chaos, ist
grundfalsch. Dennoch beeinflusst es die Politik – und das zum schlechtesten
Zeitpunkt.
Migrationsdebatte: Kommunen fordern „Task-Force“
Der Städte- und Gemeindebund will eine „Task-Force“ für mehr Abschiebunge…
CSU-Chef Markus Söder will Asyl-Erstanträge zudem auf unter 100.000
reduzieren.
Zurückweisungen von Flüchtlingen: Auf die Notlage kommt es an
Die CDU/CSU verlangt, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen zurückzuweisen.
Das wird der Europäische Gerichtshof ziemlich sicher beanstanden.
Spitzentreffen zur Migration: Kein Mittel gegen Rechtsruck
Es ist ein Irrglaube, mit Härte in der Asylpolitik die AfD schwächen zu
können. Stattdessen gilt es, veränderte Strategien voranzutreiben.
Reaktionen auf Asylrechtsverschärfungen: „Absehbar verfassungswidrig“
Viele zivilgesellschaftliche Organisationen warnen vor den geplanten
Verschärfungen in der Migrationspolitik – und äußern rechtliche Bedenken.
Neues Asylpaket: Ampel verschärft Migrationspolitik
Die Bundesregierung einigt sich auf eine Vielzahl von Maßnahmen. Bestimmten
Geflüchteten werden die Sozialleistungen komplett gestrichen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.