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# taz.de -- Verteidiger des Asylrecht: „Die Leute gestalten dieses Land“
> Pro Asyl kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte von Flüchtlingen – trotz
> politischer Widerstände, die derzeit wieder stärker werden
Bild: Menschenrechte statt rechte Menschen: Es gibt noch Leute, die das Grundre…
Frankfurt am Main taz | Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu
relativieren“ steht auf einer Wand im Frankfurter Büro der
Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Ein Satz, der auf ein [1][Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012] verweist. Damals entschied das
höchste deutsche Gericht, dass die gekürzten Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig sind und dass man von nur 60
Prozent der Hartz-IV-Sätze nicht leben kann.
Die Klage brachte unter anderem die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl
damals auf den Weg. Nun, über ein Jahrzehnt später, muss sich die
Organisation in Frankfurt wieder mit derselben Frage beschäftigen: Die
Ampelkoalition plant, die Leistungen für Asylsuchende zu streichen, deren
Verfahren in anderen EU-Staaten bearbeitet werden. Pro Asyl erinnert erneut
daran, was bereits 2012 entschieden wurde.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Pro Asyl für ein „menschenwürdiges“
Leben von Flüchtlingen einsetzt. Gegründet 1986, erlebte die Organisation
zahlreiche asylpolitische Höhen und Tiefen: die Angriffe auf Asylsuchende
in den 1990er Jahren oder den sogenannten [2][„Asylkompromiss“], der darauf
folgte. Doch auch Momente wie 2015, als sogar in der Bild-Zeitung „Refugees
Welcome“ stand.
„Gerade erleben wir aber eine ganz neue Dimension“, sagt Karl Kopp, der
seit 1992 bei Pro Asyl arbeitet und heute Geschäftsführer ist. Damit meint
er die Ereignisse der letzten Wochen: Die AfD erzielt in Thüringen
Zustimmungswerte von über 30 Prozent, seit dem Anschlag in Solingen Ende
August machen Politiker*innen täglich neue Vorschläge zur Verschärfung
des Asylrechts.
## Grundrechte waren die Antwort auf die Barbarei
Bundesinnenministerin Nancy Faeser ordnet Kontrollen an allen deutschen
Grenzen an, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder stellt das
individuelle Grundrecht auf Asyl infrage, und CDU-Chef Friedrich Merz
fordert, Asylbewerber an der deutschen Grenze abzuweisen.
„Deutschland war eine ganze Weile vermeintlich ‚welcoming‘. Jetzt kippt
alles innerhalb eines Jahres“, sagt der 64-jährige Geschäftsführer. „Ich
sehe in den Äußerungen von heute eine Kaskade verbaler Molotowcocktails.“
Politiker wie Merz, die von einer nationalen Notlage sprechen und
EU-rechtliche Vorgaben außer Kraft setzen wollen, um Schutzsuchende an den
Grenzen zurückzuweisen, ignorierten laut Kopp die Argumente von
Menschenrechtsorganisationen und Völkerrechtler*innen: Solche Forderungen
seien europarechts- und völkerrechtswidrig.
„Die Flüchtlingskonventionen, Menschenrechtskonventionen und auch das
Grundgesetz sind Antworten der Zivilisation auf die Barbarei gewesen – auf
den Nationalsozialismus. Das jetzt infrage zu stellen, finde ich sehr
beängstigend und geschichtsvergessen“, warnt Kopp. „Wenn sie so
weitermachen, wird alles in Gefahr geraten.“
Trotzdem bleibt Kopp zuversichtlich. Er erinnert sich an die 1990er Jahre,
die flüchtlingspolitisch „schlimm und blutig“ waren, und betont, dass heute
eine Sache anders sei: Man habe heute in Deutschland eine Flucht- und
Migrationsgesellschaft, die sich nicht einfach vertreiben lasse. „Ich bin
fest davon überzeugt, dass es hart wird, aber die Höckes und die Völkischen
können diese Entwicklung nicht mehr zurückdrängen. Die Leute sind da, sie
gestalten dieses Land“, sagt Kopp. „Wir werden gemeinsam die
Migrationsgesellschaft mit Zähnen und Klauen verteidigen.“
## Auf dem Rücken der Schutzsuchenden
Für viele seiner „jungen Kolleginnen und Kollegen“ sei es dennoch ein
Schock, dass das, was in den letzten Jahren aufgebaut wurde, jetzt
eingerissen werde, erklärt Kopp. Doch wenn man wie Kopp seit über 30 Jahren
für eine solche Organisation arbeitet, dann lernt man jeden Tag aufs Neue,
dass es „ein langer Weg ist, bis die Schutzsuchenden zu ihrem Recht
kommen“. Und auf diesem langen Weg begleiten ihn rund 40 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in Berlin und Frankfurt – und das ohne staatliche
Zuwendungen, nur durch Mitgliedsbeiträge und Spenden.
Einer von ihnen ist [3][Tareq Alaows,] der 35-jährige flüchtlingspolitische
Sprecher von Pro Asyl. Alaows floh 2015 aus Syrien nach Deutschland, um dem
Wehrdienst zu entgehen. Nun, in einer Zeit, in der über Abschiebungen nach
Syrien und Afghanistan diskutiert wird, macht er sich Gedanken. „Früher
sagte die ganze Welt, Assad sei ein Diktator, mit dem man nicht
zusammenarbeiten dürfe. Und jetzt will man plötzlich mit ihm kooperieren,
nur um Menschen um jeden Preis abzuschieben“, erzählt Alaows.
Er kritisiert, dass die Ampelregierung gemeinsam mit der CDU versucht,
strukturelle Probleme auf dem Rücken von Schutzsuchenden zu lösen, ohne
dabei ernsthafte Lösungsansätze zu bieten. „Durch Abschiebung werden keine
Wohnungen und keine Kitas geschaffen. Und am Ende sind auch die Menschen
weg, die die Strukturen in diesem Land aufgebaut haben“, sagt er.
Abschiebung löse keine Probleme, sondern verschärfe sie. Die aktuelle
Debatte sei zudem faktenfern und reine Symbolpolitik. Alaows geht davon
aus, dass Zurückweisungen an Deutschlands Grenzen vor Gericht gekippt
werden. „Das wird in der Gesellschaft nur noch mehr Unzufriedenheit schüren
und den Rechtsruck weiter stärken.“
## Menschenrechtler werden bedroht
Wo die Rechten stärker werden, entstehen auch für zivilgesellschaftliche
Organisationen neue Herausforderungen – auch für Pro Asyl. Man bereite sich
schon vor, wie Kopp erklärt – sei es im Bereich psychische, rechtliche oder
Datensicherheit. Auch etwa die Büros in Frankfurt und Berlin bleiben seit
Jahren anonym.
Doch besondere Sorgen macht sich Kopp nicht um sich, sondern um
Partnerorganisationen, etwa in Ungarn oder Malta, oder um die Sicherheit
von Veranstaltungen, vor allem in Ostdeutschland. Und am meisten solle es
nun um die Sicherheit der „Opfer dieser Diskussion“ gehen, sagt Kopp: „Wer
schützt Geflüchtete und Migranten in gefährlichen Situationen?“
Auch Alaows fragt sich das: „Wir erleben eine andere Dimension. Jeder, der
sich offen für Menschenrechte einsetzt, läuft mittlerweile auch in
Deutschland Gefahr, bedroht zu werden“, sagt er. Diese Bedrohungen hätten
die Arbeitsweise nicht jetzt erst, sondern eher seit Jahren verändert.
Woher nimmt man die Kraft, sich täglich mit diesen Debatten
auseinanderzusetzen, fragt man sich, wenn man trotz allem die kämpferische
Stimmung im Frankfurter Büro miterlebt: „Verlieren wird man erst, wenn man
aufgibt“, sagt Alaows. An diesen Satz müsse er erneut seit dem
[4][Schiffsunglück vor Pylos] im Juni 2023 denken. Damals sank ein
Flüchtlingsboot vor dem griechischen Küstenort, nur 104 von 750 Menschen
überlebten. Einige von ihnen sind heute in Deutschland politisch aktiv.
## Asylrecht erhalten – und verschönern
Einer von ihnen erzählte Alaows: „Ich stehe hier nicht nur für mich,
sondern für die 650 Menschen, die man hat ertrinken lassen. Auch dafür,
dass es sich nicht wiederholt.“ Solche Begegnungen inspirieren Alaows. „Wir
sehen unsere Aufgabe darin, mit Betroffenen für ihre Rechte zu kämpfen. Das
gibt uns Mut. Wir sind hier, um nicht aufzugeben.“
Trotz aller Herausforderungen gibt sich auch Kopp entschlossen: „Wir können
keine Pause machen. Unser Job ist es, an der Seite von Geflüchteten zu
stehen. Punkt.“ Dieses Jahr wurde Pro Asyl 38 Jahre alt, in zwei Jahren
folgt das 40. Jubiläum: „Bis dahin wollen wir das Asylrecht nicht nur
erhalten, sondern noch schöner machen.“
10 Sep 2024
## LINKS
[1] /Leistungen-fuer-Gefluechtete/!5964135
[2] /Der-Asylkompromiss-von-1993/!5853601
[3] /Ex-Gruener-zum-Austritt-wegen-Asylpolitik/!5981460
[4] /Prozess-zu-Schiffsunglueck/!6011332
## AUTOREN
Yağmur Ekim Çay
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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Asylpolitik
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Kolumne Hamburger, aber halal
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