# taz.de -- Jungpolitiker*innen über Zukunft: Was können wir uns noch leisten? | |
> Renten, Schuldenbremse, Klima – wie gerecht geht es zwischen den | |
> Generationen zu? Jungpolitiker*innen von SPD, CDU und Grünen im | |
> Streitgespräch. | |
Bild: Siezen, Duzen? Johannes Winkel, Svenja Appuhn und Philipp Türmer (von li… | |
Pünktlich und beinahe gleichzeitig treffen alle drei bei der taz ein: | |
Svenja Appuhn von der Grünen Jugend ist mit dem Rad gekommen, Juso-Chef | |
Philipp Türmer zu Fuß und Johannes Winkel von der Jungen Union per Bahn aus | |
Düsseldorf. Gemeinsam wollen sie über das Thema Generationengerechtigkeit | |
diskutieren. | |
wochentaz: Frau Appuhn, Herr Winkel, Herr Türmer, was ist für Sie | |
Generationengerechtigkeit? | |
Svenja Appuhn: Dass die verschiedenen Generationen miteinander ein gutes | |
Leben haben und alle gemeinsam dafür sorgen, dass auch die nächsten | |
Generationen noch gut auf diesem Planeten leben können. | |
Johannes Winkel: Dass die heutigen Probleme nicht wichtiger sind als die | |
Probleme der Zukunft. Das heißt auch, dass die Politik heutige Probleme | |
nicht mit dem Geld von morgen lösen sollte. | |
Philipp Türmer: Dass das Aufstiegsversprechen, das für unsere Eltern galt, | |
auch für unsere Generation wieder ausnahmslos gilt. | |
Was heißt das ganz konkret für Sie? | |
Appuhn: Ich möchte, dass meine Großeltern, die ihr ganzes Leben gearbeitet | |
haben, von ihrer Rente leben können. Und ich möchte nicht, wenn ich 80 bin, | |
in einer Welt leben, die von Extremwetterereignissen und Kriegen um | |
Ressourcen geprägt ist. Ich stelle mir ehrlich die Frage: Möchte ich in | |
diese kaputte Welt hinein Kinder bekommen? | |
Winkel: Diese Gesellschaft hat mir ermöglicht, alles zu machen, was ich | |
möchte. Ich habe durch viele Anstrengungen und vielleicht auch ein bisschen | |
Glück etwas erreicht, und zwar unabhängig von meinem Elternhaus. Man muss | |
natürlich schauen, dass es so bleibt. | |
Türmer: Für meine Eltern ist das sozialdemokratische Versprechen des | |
Aufstiegs durch Bildung wahr geworden, deshalb war meine Ausgangslage gut. | |
Aber viele, mit denen ich zur Schule gegangen bin, hatten diese Privilegien | |
nicht. Und unser Bildungssystem gleicht das nicht aus. Deutschland ist | |
eines der Länder mit den schlechtesten Aufstiegschancen. | |
Dann lassen Sie uns über Geld und Chancen, über Klima und darüber reden, | |
wie auch die nächste Generation noch ein gutes Leben haben kann. Ihr | |
wichtigster politischer Kampf? | |
Türmer: Wir haben eine grundlegende Gerechtigkeitsfrage, die in dieser | |
Gesellschaft immer drängender wird. Wir haben eine neue Adelsschicht, die | |
Superreichen, deren Wohlstand vererbt und nicht erarbeitet wird, und der | |
sich immer mehr vermehrt. Diesen Trend müssen wir umkehren! | |
Winkel: Wenn du dir die reichsten Menschen anschaust, dann sind das Chefs | |
von Unternehmen, die es doch vor 20, 30, 40 Jahren noch gar nicht gab. | |
Tesla, Meta, Apple sind aus einer Innovation heraus entstanden und nicht | |
über sechs Generationen vererbt worden. Die Bedingungen, durch eigene | |
Arbeit und eigene Anstrengung sozial aufzusteigen, waren noch nie so gut | |
wie jetzt. Wir kämpfen dafür, dass das so bleibt. | |
Appuhn: Dann sprich doch mal mit migrantischen Jugendlichen in Neukölln. | |
Von denen haben viele nie eine Chance aufzusteigen, weil in Schulen | |
Lehrkräfte fehlen, weil sie keine Nachhilfe bekommen, weil sie aufgrund | |
ihres Namens diskriminiert werden. Für mich ist die Frage aber größer: | |
Wollen wir in einer Welt leben, die systematisch Gewinner und Verlierer | |
produziert? Es ist doch nicht gerecht, wenn wenige Personen mehrere | |
Milliarden Euro besitzen, während gleichzeitig jedes fünfte Kind in Armut | |
lebt. Diese Frage ist übrigens auch ganz eng mit Klimaschutz verbunden. Das | |
[1][reichste Prozent der Weltbevölkerung] ist für mehr Emissionen | |
verantwortlich als die ärmeren zwei Drittel. | |
Winkel: Natürlich existiert in unserer Gesellschaft Ungleichheit. Und das | |
wird sich auch niemals ändern. | |
Appuhn: Wenn die CDU regiert, wahrscheinlich nicht. | |
Winkel: Unsere Gesellschaft ist ungleich, weil Menschen ungleiche Talente, | |
Vorstellungen, Ziele haben. Das ist auch gut so. | |
Appuhn: Diese immense Ungleichheit ist nicht naturgegeben, sondern eine | |
politische Entscheidung. Dagegen kann man was tun. Das macht unsere | |
Gesellschaft resilienter gegen Krisen und sogar glücklicher. | |
Deutschland gibt vergleichsweise wenig Geld für die öffentliche | |
Infrastruktur aus. Dafür ist die Staatsverschuldung relativ niedrig, auch | |
weil es die Schuldenbremse im Grundgesetz gibt. Was ist für Sie wichtiger: | |
Gute Schulen, gutes Klima oder solide Finanzen? | |
Winkel: Das ist kein Widerspruch. Es ist total einfach zu sagen, wir | |
verschulden uns. Aber wir geben schon dieses Jahr fast 40 Milliarden Euro | |
für Zinszahlungen aus! Ich bin hinsichtlich der Schuldenbremse nicht | |
ideologisch. Wenn der Staat kein Geld für die Daseinsvorsorge hat, wird er | |
Schulden aufnehmen. Aber bevor wir das tun, müssen wir erst wieder lernen, | |
Prioritäten zu setzen. | |
Appuhn: Ich habe kein Problem damit, darüber zu reden, welche Ausgaben im | |
Haushalt unnötig sind. Die vielen Milliarden Euro für neue Autobahnen etwa | |
können wir uns klimatechnisch gar nicht leisten. | |
Winkel: Wir brauchen mehr Autobahnen, nicht weniger. | |
Appuhn: Da werden wir nicht einig werden. Aber Sparen allein wird das | |
Problem nicht lösen. Jetzt wäre der Zeitpunkt zu investieren. Ich erläutere | |
es mal am Beispiel einer Straße, denn Straßen magst du ja gern, Johannes. | |
Solange ein Schlagloch noch klein ist, kann ich es mit ein bisschen Teer | |
reparieren. Wenn ich aber noch zehn Jahre warte, muss ich irgendwann die | |
ganze Straße austauschen. Ein anderes Beispiel: Für den Neubau der | |
Uniklinik, an der ich studiere, gab es jahrelang keine | |
Finanzierungszusagen. Jetzt muss doch neu gebaut werden und zusätzlich muss | |
noch fast eine Milliarde in den Erhalt des Bestandsgebäudes gesteckt | |
werden. | |
Türmer: Ich bin auch der festen Überzeugung, dass [2][die Schuldenbremse | |
die angezogene Handbremse] für die Entwicklung dieses Landes ist. Gemessen | |
am Bruttoinlandsprodukt gibt unser Staat wenig Geld aus. Um Industrieland | |
zu bleiben, müssten wir jetzt aber weit überdurchschnittlich in die | |
klimaneutrale Transformation investieren. Ein Beispiel: Das Deutsche | |
Institut für Urbanistik [3][geht von 372 Milliarden aus, die bis 2030 nötig | |
sind] für eine nachhaltige Verkehrswende in den Kommunen. Da kommen wir mit | |
Priorisierung niemals hin. | |
Winkel: Die angezogene Handbremse für die deutsche Wirtschaft ist die | |
Bürokratie. Ich gebe euch völlig recht, wir brauchen viel mehr | |
Investitionen in Deutschland. Zuerst sollte man sich aber fragen, warum wir | |
einen Kapitalabfluss von 120 Milliarden im Jahr haben. Bevor man | |
öffentliche Investitionen forciert, sollte man bessere Rahmenbedingungen | |
für private Investitionen setzen. | |
Derzeit werden Schulen und Straßen öffentlich finanziert. Der | |
Investitionsstau allein bei den Schulen beträgt 50 Milliarden. Das soll | |
alles aus den regulären Haushalten finanziert werden? | |
Winkel: Ja, na klar. Wir müssen einfach mal Kassensturz machen. | |
Wo wollen Sie sparen, Herr Winkel? | |
Winkel: Einer der größten Posten ist sicherlich Migration. Der Staat gibt | |
ungefähr 50 Milliarden Euro im Jahr für Migration aus. Das ist ein | |
Riesenproblem. Und die Rente mit 63 kostet auch fast 50 Milliarden Euro pro | |
Jahr. Mitten im demografischen Wandel leisten wir uns ein | |
Frühverrentungsprogramm, das ist Wahnsinn. | |
Türmer: Das Beste, was wir machen können, ist, mehr zu investieren in die | |
Integration von Migrant*innen, egal auf welchem Wege sie hergekommen sind, | |
weil wir in allen Bereichen Arbeitskräfte brauchen. Und der Sozialstaat ist | |
kein nice to have, wie Herr Winkel glaubt, bei dem man kürzt, wenn es mal | |
wirtschaftlich nicht so läuft, sondern der Kitt unserer Demokratie. Da | |
kommen wir nicht zusammen. | |
Winkel: Herr Winkel, soweit ist es also schon. (Gelächter) Ich bin deiner | |
Meinung, der Sozialstaat ist der Kitt der Gesellschaft. Aber du musst auch | |
diejenigen respektieren, die ihn finanzieren. | |
Wie sieht es denn mit den Einnahmen aus? Die Erbschaftssteuer zum Beispiel. | |
Superreiche zahlen mit zwei bis drei Prozent viel weniger als normale | |
Erben. Würden Sie die reformieren, Herr Winkel? Erben hat ja nichts mit | |
Leistung zu tun, sondern ist Glücksache. | |
Winkel: Alles, was vererbt wird, ist schon mal versteuert und durch | |
Leistung erarbeitet worden. Trotzdem muss man darüber diskutieren, dass man | |
Erbschaften angemessen besteuert. Wichtig ist, dass man in Unternehmen | |
gebundenes Vermögen nicht zu stark belastet. Denn das kommt nicht nur den | |
Erben zugute, sondern auch den Leuten, die darin arbeiten. Für vernünftige | |
Vorschläge zur Besteuerung von Erbschaften muss die Union natürlich offen | |
sein. | |
Appuhn: Das freut mich. Aber ein großer Teil der Ungleichheit in | |
Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass große Betriebsvermögen in der | |
Hand sehr Weniger sind. Und da gibt es Möglichkeiten der Besteuerung, die | |
nicht dazu führen, dass Unternehmen geschlossen werden müssen: Steuern | |
können gestundet werden, der Staat kann als Teilhaber einsteigen oder das | |
Unternehmen kann in Verantwortungseigentum umgewandelt werden. | |
Winkel: Das sehe ich ganz anders. Du brauchst die unternehmerische Freiheit | |
und Verantwortung. Da ist der Staat kein guter Ratgeber. | |
Türmer: Tatsächlich sind Kapitaleinkommen gegenüber Arbeitseinkommen in | |
Deutschland ganz stark privilegiert. Einkommen aus Arbeit wird bis zu 45 | |
Prozent besteuert, und die Sozialabgaben kommen noch drauf. Wenn sich der | |
reichste Deutsche, der Logistikunternehmer Michael Kühne, Milliarden an | |
Dividenden auszahlen lässt, dann zahlt er eine pauschale Abgeltungssteuer | |
von 25 Prozent und keine Sozialbeiträge. Deutschland ist hinsichtlich der | |
Vermögensverteilung eines der ungleichsten Länder in Europa. Wir haben eine | |
enorme Akkumulation von unmoralischem Reichtum. Eine Reform der | |
Erbschaftssteuer ist richtig. | |
Klima ist ein anderes großes Thema im Zusammenhang mit | |
Generationengerechtigkeit. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, so | |
steht es im Klimaschutzgesetz, das die Große Koalition verabschiedet hat – | |
wir nehmen an, da gehen Sie alle mit. | |
Türmer: Gehst du da mit, Johannes? | |
Winkel: Ich finde es albern, wenn Politik Jahreszahlen in Gesetze pinselt | |
und glaubt, damit ein Problem gelöst zu haben … | |
Appuhn: Stimmt, ein Budgetansatz wäre besser gewesen. Dann wäre auch | |
aufgefallen, dass das, was im Klimaschutzgesetz steht, nicht ausreicht, | |
wenn wir auf den 1,5-Grad-Pfad wollen. | |
Türmer: Es geht es ja nicht um irgendwelche Jahreszahlen. Es geht um die | |
Pariser Klimaziele, der größte Erfolg in der internationalen Klimapolitik. | |
Ich finde, wir sollten uns an internationale Verträge halten. | |
Auf welche Weise lassen sich diese Ziele erreichen? | |
Winkel: Der Grundfehler ist, Klimaschutz in nationalen Grenzen zu denken. | |
Dass unser CO2-Ausstoß zurückgegangen ist, was Robert Habeck und die Grünen | |
gerade so feiern, ist logisch, wenn die energieintensive Industrie | |
einbricht. Ist es besser, wenn diese Unternehmen in anderen Ländern | |
produzieren, wo dann viel mehr CO2 ausgestoßen wird? Die aktuelle | |
Klimaschutzpolitik ist schädlich. | |
Türmer: Dieses Klimaschutzziel, zu dem du dich nicht bekennen magst, ist | |
direktes Ergebnis der internationalen Klimapolitik, die du einforderst. Du | |
versuchst zu verdecken, dass ihr eigentlich gar keine Klimapolitik machen | |
wollt. | |
Winkel: Das ist fast bösartig, vielleicht sind wir doch beim Sie hinterher. | |
(Gelächter) Das Klimaziel von Paris ist ja gut, wäre nur schön, wenn es | |
auch international verbindlich wäre. Eure „Deutsches Vorbild“-Debatte ist | |
einfach irre! Wenn wir hier in Deutschland und Europa politisch verbieten, | |
CO2 zu emittieren, führt das doch nicht dazu, dass das globale Angebot an | |
fossiler Energie geringer wird. | |
Appuhn: Das ist doch Quatsch! Der Anstieg der globalen Emissionen | |
verlangsamt sich, weil viele Länder Regeln erlassen haben. Ich erwarte, | |
dass Deutschland, eines der Länder, die historisch gesehen für die meisten | |
Emissionen verantwortlich sind, Tempo macht. Immer nur „Aber China“ zu | |
sagen, reicht halt nicht. | |
Winkel: Wir müssen das Angebot und nicht die Nachfrage an fossilen Energien | |
reduzieren. Und dazu müssen nicht-fossile Energien günstiger werden als | |
fossile Energien. | |
Türmer: Der Schlüssel ist der massive Ausbau von Wind- und Sonnenenergie, | |
das stimmt. Nur hat die Union genau das jahrzehntelang behindert. Und wir | |
müssen massiv die Netze ausbauen, und zwar mit Oberleitungen, weil das viel | |
günstiger ist und schneller geht. Aber dagegen stellen sich die | |
CDU-geführten Regierungen auch immer. | |
Herr Winkel, wie könnte es aus Ihrer Sicht gehen? | |
Winkel: Günstige, CO2-neutrale Energie werden wir vor allem dann bekommen, | |
wenn wir die [4][nächste Generation der Kernkraft] kriegen. Es braucht | |
zudem mehr Geld in die Forschung für Kernfusion … | |
Appuhn: Wenn du vor dem Feuer fliehst, kannst du dich doch nicht auf ein | |
Pferd setzen, das im Bestfall in Jahrzehnten rennen kann. | |
Winkel: Natürlich müssen wir viel intensiver forschen. Und das zweite Thema | |
sind Spaltungsreaktoren der vierten Generation. Dass wir als | |
Ingenieursnation über solche Sachen gar nicht mehr technologieoffen | |
nachdenken, macht mich traurig. | |
Appuhn: Apropos Generationengerechtigkeit: Es dauert 40.000 Generationen, | |
bis Atommüll nicht mehr strahlt. | |
Winkel: Aber es gibt jetzt schon Technologien – die leider in Ruanda und | |
nicht bei uns erprobt werden –, die den Atommüll wiederverwerten und dessen | |
Halbwertszeit drastisch reduzieren können. | |
Türmer: Selbst wenn wir den Müll und die Gefährlichkeit von Atomkraft | |
ausblenden: Kernkraftwerke sind zutiefst unwirtschaftlich. Das zeigen alle | |
internationalen Beispiele. Für den Bau [5][des AKW in Hinkley Point] in | |
England waren Kosten in Höhe von 18 Milliarden Pfund eingeplant, jetzt | |
drohen bis zu 35 Milliarden. Dafür könnte man 12.700 Windkraftwerke bauen, | |
die ungefähr das Vierfache der Leistung dieses Kernkraftwerks hätten. | |
Appuhn: Vielleicht mal weg von Science-Fiction und zurück zur Wissenschaft. | |
Es besteht ein großer Konsens, dass der Weg zur Klimaneutralität über den | |
Ausbau der Erneuerbaren läuft. Die Frage ist, wie bezahlen wir das und | |
begeistern die Leute auch noch dafür? Im Moment werden die Kosten über den | |
CO2-Preis [6][auf alle verteilt], der soziale Ausgleich fehlt. Viele | |
Beschäftigte machen sich Sorgen, dass sie aufgrund der | |
Industrietransformation ihren Job verlieren. | |
Winkel: Erneuerbare Energien brauchen grundlastfähige Reserven. Dass diese | |
nicht klimaneutral mitgedacht wurden, ist der Grund, warum ihr mit der | |
Energiewende scheitert. | |
Apphun: Ihr? Ich bin nicht Robert Habeck. Abgesehen davon: Der Ausbau der | |
Erneuerbaren läuft; es muss halt noch schneller gehen und der soziale | |
Ausgleich beim Klimaschutz endlich deutlich besser werden. | |
Neues Thema: In den 2030ern werden die Leute im [7][Rentenalter die größte | |
Wählergruppe] sein, Politik wird noch mehr als jetzt von ihnen bestimmt | |
werden. Ist das ein Problem für die Demokratie? | |
Winkel: Ja, ganz klar. Das demografische Problem unserer Gesellschaft wird | |
jetzt schon zum demokratischen Problem für die junge Generation. Wenn ich | |
in meiner Partei für eine grundlegende Rentenreform appelliere, sagen mir | |
Leute: Da hast du Recht, aber gerade ist es ganz schlecht, weil bald Wahlen | |
sind. So kann man keine Politik machen, wenn man Dinge nicht anpackt, weil | |
es einer großen Wählergruppe nicht gefallen könnte. | |
Appuhn: Meine Großeltern machen sich sehr viel Sorgen um die Zukunft | |
unserer Generation. Ich weiß noch, wie ich meinen Opa gefragt habe, wie er | |
Fridays for Future findet. Seine Antwort: Großartig. | |
Aber kann man darauf setzen? | |
Appuhn: Ich glaube schon. Wenn man die Spaltungslinie nicht zwischen den | |
Generationen, sondern zwischen arm und reich sieht, findet man eine | |
verbindende Generationenpolitik. Ich finde es gefährlich, wenn man die | |
Generationen gegeneinander ausspielt, so als wären die Alten schuld an | |
unserer Situation. | |
Sind sie das nicht, zum Teil zumindest? | |
Türmer: Punkt eins: Der demografische Wandel ist nicht gottgegeben, sondern | |
von der Politik gemacht, weil man sich geweigert hat, einen konsequenten | |
Schritt in Richtung Einwanderungsland zu gehen. Punkt zwei: Ich bin | |
ebenfalls der Überzeugung, dass die Trennlinien in der Gesellschaft nicht | |
zwischen alt und jung, sondern zwischen arm und reich verlaufen. | |
Winkel: Die Debatte in der Rente ist systemlogisch eine zwischen alt und | |
jung. | |
Türmer: Nein. | |
Winkel: Doch, weil wir ein Umlagesystem haben. Die Frage der | |
Lastenverteilung ist immer eine der Generationen, weil die Jungen die Alten | |
finanzieren. | |
Türmer: Der Generationenvertrag bedeutet doch vor allen Dingen, dass | |
diejenigen, die jetzt einzahlen, sich darauf verlassen können, dass sie | |
später auf dem gleichen Niveau abgesichert werden wie diejenigen, für die | |
sie jetzt die Rente zahlen. Und deshalb ist es richtig, dass wir jetzt das | |
Rentenniveau festschreiben. | |
Winkel: Aber das lässt sich langfristig gar nicht bezahlen. Wir geben | |
momentan 370 Milliarden Euro jährlich an Rentenzahlungen aus, und das | |
steigt wegen der Babyboomer in 20 Jahren auf über 800 Milliarden Euro im | |
Jahr. Das wird nicht finanzierbar sein! | |
Türmer: Ihr wollt die Leute für das gleiche Geld länger arbeiten lassen | |
oder ihnen gleich die Rente kürzen. Alternativ sollen die Leute mehr in die | |
private Altersvorsorge investieren. Und das ist der eigentliche Konflikt: | |
Will man Einkommen aus Arbeit – und damit die gesetzliche Rente – oder | |
Kapitaleinkommen stärken? Wir sind dafür, dass die Löhne steigen, dann | |
steigt auch die gesetzliche Rente und ist zukunftssicher. | |
Appuhn: Fest steht: Es werden weniger Menschen in die gesetzliche | |
Rentenversicherung einzahlen als leistungsberechtigt sind. Abgeordnete, | |
Selbstständige, Beamte sind allerdings bislang von der gesetzlichen Rente | |
ausgenommen, das sind alles eher gutverdienende Berufsgruppen. Die sollten | |
einzahlen. Die Beitragsbemessungsgrenze könnte man anheben. Je mehr man | |
verdient, desto weniger muss man aktuell anteilig in die gesetzliche Rente | |
zahlen, das ist ungerecht. Und beim Rentenniveau könnte man differenzieren: | |
Bei geringen Einkommen darf es sicher nicht sinken. | |
Können wir uns in 25 Jahren noch den gleichen Lebensstil leisten wie heute? | |
Oder gibt es Dinge, auf die wir verzichten müssen? | |
Appuhn: Privatjets, Superyachten, Luxusvillen. | |
Winkel: Die Herausforderung wird sein, den Lebensstandard mindestens zu | |
halten, wenn nicht auszuweiten. Verzichtsdebatten bringen uns nicht weiter | |
und überzeugen international auch niemanden. Alle Schwellenländer streben | |
ja das Niveau an, auf dem wir jetzt sind. | |
Türmer: Den Lebensstandard der Superreichen werden wir so nicht bewahren | |
können und umverteilen müssen. Wir müssen aber dafür sorgen, dass der | |
Lebensstandard der restlichen Bevölkerung möglichst steigt. | |
Dann wagen wir doch mal einen kurzen Ausblick ins Jahr 2050, also eine | |
Generation weiter. Wird es 2050 noch Inlandsflüge geben? | |
Türmer: Nein, braucht auch keiner. | |
Winkel: Klar, viel mehr als heute. | |
Appuhn: Um Gottes Willen! | |
Fahren wir noch in den [8][Skiurlaub]? | |
Appuhn: Ich fürchte, dafür fehlt dann in vielen Skigebieten der Schnee. | |
Türmer: Dann bleiben vielleicht nur Indoorhallen. Aber ich hoffe, dass | |
unsere Klimapolitik so erfolgreich ist, dass es auch in Zukunft noch Schnee | |
in den Alpen gibt. | |
Winkel: Skiurlaub ist mir persönlich zu teuer. | |
Und wird es in den Kantinen einen Fleischtag geben? | |
Appuhn: Ja, warum nicht? Ich glaube sowieso, dass die Alternativen bis | |
dahin so gut sind, dass es niemandem mehr auffällt. | |
Türmer: Solange es eine Dönerbude in Reichweite gibt. | |
Winkel: Da geh ich mit, Philipp. | |
31 Mar 2024 | |
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