# taz.de -- Gen Z und die Volksparteien: Jung & nicht naiv | |
> Heranwachsende verlieren das Vertrauen in die Politik. Die alten | |
> Volksparteien sollten das ernst nehmen, sonst sind auch sie bald | |
> verloren. | |
Bild: Pfeil nach oben: In den sozialen Netzwerken schaffen es rechte Parteien w… | |
Die autoritären Systeme in unserer Welt haben gegenwärtig Konjunktur, die | |
Demokratie als Konzept schwächelt – auch hierzulande. Während sich die | |
beiden immer noch mitgliederstärksten Parteien SPD und CDU in Altenclubs | |
mit einem Durchschnittsalter von 60 verwandeln, bemerken sie nicht, dass | |
sie die Interessen der jüngeren Generationen übersehen und ihre eigene | |
Existenz damit gefährden. | |
Die sich überlagernden Krisenerfahrungen in Zeiten der Klimakatastrophe, | |
der Pandemie, der Inflation und diverser Kriege haben bei jungen Menschen | |
zu einem gravierenden Vertrauensverlust in die Politik geführt. Vor allem | |
während der Pandemie wurden ihre Interessen und Bedürfnisse übersehen. Was | |
den beiden Großparteien gleichermaßen entgangen ist: Mit dem | |
Vertrauensverlust steht auch ihr eigenes Dasein auf der Kippe. Denn die | |
heute unter 30-Jährigen werden schon in zehn Jahren den größten Teil der | |
über 60-Jährigen aus verantwortlichen Positionen in Beruf und Gesellschaft | |
ersetzt haben. Die einzige Lösung für das Parteiüberleben: Junge Menschen | |
mit ihren politischen Interessen ernst nehmen, sie zur innerparteilichen | |
Zusammenarbeit einladen und so viele von ihnen wie möglich als Mitglieder | |
oder feste Sympathisanten gewinnen. | |
Im Vorfeld der letzten Bundestagswahl waren es vor allem die kleineren | |
Parteien FDP und Grüne, ein wenig auch die Linken, die davon profitierten, | |
dass die beiden Großparteien sich kaum für junge Menschen interessierten. | |
Mit ihrem dementsprechend klaren Themenprofil in Sachen Umwelt, | |
Digitalisierung und Bildung konnten FDP und Grüne punkten und eine | |
[1][Eintrittswelle junger Mitglieder] verzeichnen. Sie schafften es, die | |
Quote der unter 30-Jährigen unter ihren Mitgliedern vorübergehend auf über | |
20 Prozent zu steigern. Inzwischen ist deren Idealismus verflogen. Im | |
Alltag des Regierungshandelns haben die Parteifunktionäre die Macht | |
übernommen. Das kommt bei den Neumitgliedern nicht gut an, viele treten | |
wieder aus. | |
Aber das macht die junge Generation keineswegs zu einer politikverdrossenen | |
Gruppe. Im Gegenteil: Etwa ein Drittel von ihnen ist nach wie vor politisch | |
oder sozial engagiert. Dieses Drittel beteiligt sich in Vereinen, Schüler- | |
und Studierendengruppen, Jugendorganisationen, Kirchengemeinden und auf | |
Online-Foren. Ihre Themen sind Klimaschutz, Freizeitangebote, Sport und | |
Musik, die Unterstützung benachteiligter und bedürftiger Menschen, die | |
Förderung der Integration von Eingewanderten. | |
## Der Gegenentwurf der Bewegungen | |
Besonders großes Engagement erfahren Umweltbewegungen. Fridays for Future | |
ist ein markantes Beispiel dafür. Und zeigt gleichzeitig ein großes | |
Dilemma: Die Bewegung bevorzugt politische Partizipationsformen, die sich | |
weitgehend außerhalb der etablierten Parteien und den von ihnen dominierten | |
Entscheidungsprozessen in den Parlamenten befinden. Sie strebt danach, | |
direkten Einfluss auf die Regierung auszuüben, indem sie die öffentliche | |
Meinung aktiv beeinflusst und zu Protesten aufruft. Echtes politisches | |
Mitwirken in Parteien meidet sie hingegen. | |
In Artikel 21 des Grundgesetzes heißt es: „Die Parteien wirken bei der | |
politischen Willensbildung des Volkes mit“. Zum Volk gehören auch die | |
jungen Generationen. Diese fremdeln mit den Strukturen und Routinen vor | |
allem der beiden Großparteien, die nur in den älteren Bevölkerungsgruppen | |
noch gut verankert sind. Junge Menschen finden keine Andockstellen, die | |
Funktionäre treten nicht gerade mit offenen Armen an sie heran, und das | |
fehlende Zugehörigkeitsgefühl kann am Ende demokratiegefährdend sein. | |
Wie gefährdend – [2][das zeigt ein Blick auf den Demokratieindex der | |
britischen Zeitschrift Economist]: Die anspruchsvollen Kriterien einer | |
„liberalen Demokratie“ erfüllen nur noch Länder mit insgesamt sechs Proze… | |
der Weltbevölkerung. Zu den Kriterien gehören das Abhalten von freien und | |
geheimen Wahlen, die Verteilung der Staatsgewalt auf unabhängige Organe in | |
Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung, der Schutz von Minderheiten, | |
friedliche Regierungswechsel sowie die Sicherung menschlicher Grundrechte, | |
Pressefreiheit und Meinungsfreiheit. | |
Die meisten europäischen Staaten, auch Deutschland, erfüllen diese | |
Kriterien. Aber der Kreis wird kleiner. Der ungarische Staatschef Orbán hat | |
unmissverständlich erklärt, sein Land in eine „illiberale Demokratie“ | |
umwandeln zu wollen, während die nun abgelöste Regierung in Polen massiv | |
versuchte, die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken. Seit 20 Jahren | |
erstarken rechtsextreme Parteien in fast allen liberalen Demokratien. Sie | |
bekunden offen ihre Absicht, ihre zuvor genannten Merkmale zu untergraben, | |
falls sie an die Macht kommen. In Deutschland geht die AfD um Alice Weidel | |
gezielt auf die Suche nach Bevölkerungsgruppen, die sich enttäuscht und | |
sozial benachteiligt fühlen, und sie wird immer mehr fündig. Inzwischen | |
auch in der jungen Generation. | |
## Rechte können Internet | |
Rechte Parteien und Bewegungen haben nämlich eine oft übersehene | |
kommunikative Stärke: Sie sind in sozialen Netzwerken aktiv und sichtbar. | |
In den USA treten sie an Studierende auf dem Campus heran und dringen somit | |
sowohl digital als auch analog in die Wahrnehmung der jungen Generation | |
ein. Ein zentrales Beispiel dafür ist Turning Point USA: Eine | |
US-amerikanische studentische, konservative, rechtspopulistische | |
Non-Profit-Organisation, die unter anderem durch Mitglieder der | |
Trump-Familie finanziell unterstützt wird. Studierende übernehmen deren | |
Thesen, sprechen sich gegen Abtreibung aus, machen transphobe Aussagen und | |
rechtfertigen diese mit „FREE Speech“, der Akademiker-Version von „Das wi… | |
man jawohl noch sagen dürfen.“ Auf Instagram folgen Turning Point USA über | |
zwei Millionen Menschen – auch weit über die Landesgrenzen hinaus. | |
In Deutschland belegen Recherchen, dass rechtsextreme Gruppen wie die NPD | |
oder auch die [3][Identitäre Bewegung Deutschland] diese Strategie seit | |
Jahren abkupfern. Erst ganz unscheinbar in Form von glücklichen | |
Familienbildern auf Instagram: Vier blonde, blauäugige Kinder. Darunter | |
Hashtags wie #Heimatliebe und eine Deutschlandflagge. Das nächste Bild im | |
Feed zeigt ein schlafendes Kleinkind, neben ihm ein auf den ersten Blick | |
harmloses Holzspielzeug. Beim genauen Hinsehen wird klar: Es ist ein | |
Sonnenrad, drei übereinander gelegte Hakenkreuze. Der Algorithmus der | |
US-amerikanischen Plattform erkennt das Symbol nicht. | |
Die AfD ist unter allen Parteien in Deutschland in den Netzwerken am | |
aktivsten. Sie hat mit fast 300.000 die größte Followerschaft auf TikTok. | |
Die SPD ist zwar aktiv, mit 83.000 Followern hinkt sie aber deutlich | |
hinterher. [4][Prio hat die Plattform definitiv nicht]. Die CDU im | |
Bundestag hat sich nicht mal die Mühe gemacht, einen Account anzulegen. | |
Deutlicher können die traditionellen Parteien nicht zum Ausdruck bringen, | |
dass sie an der Kommunikation mit jungen Menschen nicht interessiert sind. | |
Überlassen die traditionellen Parteien aber das Internet der AfD, dann | |
treiben sie ihnen die jungen Wählergruppen geradezu in die Arme. | |
## Junge Leute brauchen Selbstwirksamkeit | |
Und viel schlimmer noch: Jungen Menschen wird in diesen Zeiten nicht | |
beigebracht, wie sie digitale Inhalte, die gezielt als politische Waffe | |
eingesetzt werden, kritisch hinterfragen und konsumieren. In den letzten | |
Jahrzehnten hat es weder die CDU noch die SPD geschafft, ein | |
Unterrichtsfach wie Medienkompetenz oder Digitalkunde flächendeckend in den | |
Schulen der Bundesrepublik zu etablieren. | |
In Zeiten von Deep Fakes, Desinformationskampagnen und Cyber Wars kann es | |
der Demokratie zum Verhängnis werden, wenn die Generation Z zwar als | |
Digital Natives bezeichnet wird, ihnen aber die wichtigsten Kompetenzen | |
nicht beigebracht werden. Altparteien schieben diese Bedrohung vor sich | |
her, neue Bündnisse wie das von Sahra Wagenknecht scheuen eine | |
Positionierung. | |
Noch finden etwa 70 Prozent der jungen Generation, dass Demokratie eine | |
gute Sache ist, die es zu schützen gilt. Diese 70 Prozent sollten nicht | |
weiter enttäuscht werden. Es muss Schluss sein mit der | |
demokratiegefährdenden Ignoranz gegenüber der jungen Perspektive. | |
Junge Menschen sind Pragmatiker. Sie werden sich nur parteilich beteiligen, | |
wenn sie Selbstwirksamkeit spüren und Themen und darüber hinaus auch sich | |
persönlich weiterentwickeln können. Diese Weiterentwicklung können Parteien | |
strukturiert anbieten und beispielsweise früh zeigen, wie ein | |
regelgeleitetes Streitgespräch als Instrument in einer funktionierenden | |
Demokratie eingesetzt wird. Sie können [5][Debattierkurse] anbieten: Das | |
Aufstellen von Thesen, der geregelte Schlagabtausch und die kritische | |
Grundhaltung sind wesentliche Kommunikationsmittel, die geschult und dann | |
auf Augenhöhe eingesetzt werden sollten, um gravierende Zukunftsprobleme | |
mit allen Altersgruppen zu diskutieren. Zu zeigen, dass dieser verbale | |
Schlagabtausch auch Spaß machen kann und junge Menschen mit dem Rückhalt | |
der eigenen Partei wachsen lässt, ist dabei enorm wichtig. | |
So kann es auch den beiden immer noch wichtigsten und einflussreichsten | |
Parteien Deutschlands, SPD und CDU, gelingen, politisch interessierte und | |
leidenschaftliche junge Leute anzuwerben. Gerade sie als gelernte | |
Volksparteien sollten sich auf ihre Geschichte besinnen. Sie sind beide als | |
soziale Bewegungen groß geworden und wissen eigentlich genau, wie das geht: | |
An der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. | |
17 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Mitgliederzuwachs-bei-den-Gruenen/!5576031 | |
[2] https://www.economist.com/graphic-detail/2023/02/01/the-worlds-most-and-lea… | |
[3] /Identitaere-Bewegung-und-Social-Media/!5611738 | |
[4] /Politik-in-den-Sozialen-Netzwerken/!5782204 | |
[5] /Berlinerin-bei-Jugend-debattiert/!5600643 | |
## AUTOREN | |
Ronja Ebeling | |
Klaus Hurrelmann | |
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