# taz.de -- Nabu-Chef über EU-Agrarpolitik: „Die Ampel sollte mit Nein stimm… | |
> Die Agrarpolitik von Rot-Grün-Gelb droht schlechter zu werden als die der | |
> CDU, sagt Nabu-Chef Jörg-Andreas Krüger. Auch bei Abstimmungen auf | |
> EU-Ebene. | |
Bild: Zum Erhalt der biologischen Vielfalt müssen Bauern bisher einen winzigen… | |
taz: Herr Krüger, die EU-Kommission will als Reaktion auf die | |
Bauernproteste einige der wenigen Fortschritte für die Umwelt in der | |
letzten Reform der Agrarsubventionen wieder rückgängig machen: [1][Die | |
Pflicht, dass Bauern 4 Prozent ihrer Ackerfläche der Natur überlassen | |
müssen], soll nun auch dauerhaft entfallen. Was für Folgen wird das für die | |
Umwelt haben? | |
Jörg-Andreas Krüger: Die Populationen von Insekten und Feldvögeln werden | |
sich so nicht erholen. Dabei haben wir ein massives Insektensterben und | |
einen Rückgang von Feldvögeln. Das liegt unter anderem daran, dass es zu | |
wenig Brachen, zu wenig Flächen für die biologische Vielfalt gibt. | |
Wissenschaftler*innen sagen, dass wir auf rund 10 Prozent ökologische | |
Vorrangflächen gehen müssen, damit sich die Populationen wieder gut | |
entwickeln. Wir müssen damit rechnen, dass sogar noch Flächen, die heute | |
existieren, verschwinden, sodass es den Populationen in Zukunft noch | |
schlechter gehen wird. | |
Die Kommission will auch Regeln für mehr Vielfalt auf dem Feld abschwächen. | |
Könnte man darauf nicht verzichten, um den Bauern zu helfen? | |
Nein. Aktuell ist geplant, Regeln zu Bodenschutz, [2][Fruchtfolge] und | |
Grünland wie Wiesen und Weiden aufzuweichen. Das wird den Landwirt*innen | |
nicht helfen, im Gegenteil: Die negativen ökologischen Folgen werden auf | |
sie zurückfallen. Je abwechslungsreicher die Fruchtfolge, desto weniger | |
wachsen störende Kräuter und Gräser, desto weniger teure Pestizide müssen | |
eingesetzt werden. Man muss auch befürchten, dass bald die Vorschriften zum | |
Erhalt von Dauergrünland angegriffen werden. Das würde dem Klima schaden, | |
denn diese [3][Böden speichern besonders viel CO2]. Es ist irre, wie | |
schnell gerade der Naturschutz abgebaut wird – wider besseren Wissens. Die | |
EU und viele Regierungen rennen vor den Fakten davon und knicken ein. | |
In mehreren EU-Ländern haben [4][Bauern mit ihren Traktoren Straßen | |
blockiert]. Die Landwirte sagen, die Pflichtbrachen und andere | |
Umweltvorschriften würden sie zu stark wirtschaftlich belasten. | |
Hier in Deutschland haben etliche Betriebe in den vergangenen Jahren gute | |
Ergebnisse gehabt. Was wir aus Gesprächen mit Landwirt*innen aber | |
wissen, ist, dass sie vor allem an der Bürokratie verzweifeln, die damit | |
verbunden ist, Gelder aus europäischen Förderprogrammen zu erhalten. Und da | |
geben wir ihnen in Teilen auch recht. Wir haben eine europäische | |
Bürokratie, eine Bundesadministrationsbürokratie und dann noch | |
Länderregelungen. Das muss besser abgestimmt werden. Aber es kann nicht die | |
Lösung sein, alle Maßnahmen gegen die Krise von Ökologie und Klima einfach | |
zu streichen. Das verstärkt die Krisen nur. | |
Wie bewerten Sie das Verhalten von Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) | |
in dieser Sache? | |
Der Bundeslandwirtschaftsminister hat auf europäischer Ebene immer wieder | |
versucht, gute Lösungen zu erreichen. Aber da unterstützen ihn oft nur ein | |
oder zwei andere europäische Länder. Deswegen wollen wir, dass | |
Bundeskanzler Olaf Scholz das selbst in die Hand nimmt, auch im Rahmen der | |
Gespräche der europäischen Staats- und Regierungschefs. Denn wir reden ja | |
hier über die Voraussetzungen für [5][Subventionen]. Hier wird | |
landwirtschaftlichen Betrieben immer noch Geld dafür gegeben, dass es sie | |
gibt und dass sie Landwirtschaft machen. Das ist, als ob jemand Geld dafür | |
bekommt, dass er an einer roten Ampel hält. | |
Steuergelder sollten aber dazu dienen, Landwirt*innen für öffentliche | |
Leistungen zu honorieren. Die Zahlungen sollten deshalb schrittweise | |
ökologisiert werden. Das wird jetzt rückabgewickelt, gleichzeitig bleibt | |
aber das Geld erhalten. Das geht nicht. | |
Özdemir hat in seiner ersten Stellungnahme zu diesen Vorschlägen der | |
EU-Kommission nicht gesagt, dass er zum Beispiel die langfristige | |
Abschaffung der Pflichtbrache ablehnt. | |
Ja, und das halten wir für falsch. Darauf dauerhaft zu verzichten, macht | |
das gesamte Instrument ökologischer Mindestanforderungen kaputt. Die | |
Agrargelder sind einer der riesengroßen Steuergeldposten im Haushalt der | |
EU, allein nach Deutschland fließen 6 Milliarden Euro pro Jahr. Es kann | |
nicht sein, dass wir damit eine Landwirtschaft dauerhaft unterstützen, die | |
die Krisen von Klima- und Ökologie eher nach vorne treibt, statt sie zu | |
lösen. | |
Gleichzeitig zieht die Bundesregierung damit letztlich auch der | |
Zukunftskommission Landwirtschaft den Stecker, in der Bauern und | |
Bäuerinnen, Wissenschaftler*innen, Lebensmittelindustrie, Umwelt- und | |
Verbraucherschützer*innen gemeinsam Empfehlungen vereinbart haben. | |
Dieser große gesellschaftliche Konsens wird gerade leichtfertig aufgegeben, | |
denn die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission fallen weit hinter die | |
Empfehlungen zurück. | |
Wie sollte die Bundesregierung sich bei den kommenden Abstimmungen in der | |
EU verhalten – zum Beispiel zur Abschaffung der Pflichtbrache? | |
Wir fordern vom Bundeskanzler, dass Deutschland mit Nein stimmt. | |
Wenn das jetzt doch so kommt, würden die Umweltvorschriften unter einem | |
grünen Agrarminister dann am Ende schwächer sein als unter seiner | |
CDU-Vorgängerin Julia Klöckner? | |
Das ist dann so, ja. Es geht um die Honorierung der gesellschaftlichen | |
Leistungen der Landwirte, raus aus den Subventionen, hin zu einer | |
qualifizierten Honorierung. Diese Schritte werden gerade rückabgewickelt, | |
und wir haben dann wieder eine europäische Agrarpolitik, die eigentlich | |
sogar weiter zurückfällt als fünf oder sechs Jahre. Da kann man fast schon | |
in die nuller Jahre des Jahrhunderts gehen. Das ist erschütternd. | |
Sollte Özdemir zurücktreten, wenn er diesen Rollback nicht verhindert? | |
Das würde ich noch nicht so sehen, weil es am Ende eine Gesamtverantwortung | |
ist. Wir wissen aus den Diskussionen, die wir hier in Berlin führen, dass | |
es auch die SPD und der Bundeskanzler sind, die diesen Rollback wollen. | |
Sollten die Grünen SPD und FDP drohen, die Ampelkoalition platzen zu | |
lassen, wenn sie den Umweltschutz dermaßen zusammenstauchen? | |
Das ist eine Frage, die die Grünen beantworten müssen. Die Leistungsbilanz | |
im Bereich Ökologie ist jedenfalls deutlich schwächer als das, was wir | |
erhofft und erwartet haben unter einer grünen Regierungsbeteiligung. | |
Wie wird sich das auf das Verhältnis der Umweltschutzszene zu den Grünen | |
auswirken? | |
Da wird deutlich, dass diese Kurzformel „Alle Umweltverbände sind super eng | |
mit den Grünen“ falsch ist. Wir Umweltverbände haben das in den vergangenen | |
Jahren nicht empfunden, weil die Grünen in der Regierungsverantwortung auch | |
in den Bundesländern viele Entscheidungen mit getroffen haben, über die wir | |
den Kopf schütteln. | |
Sehen Sie die ökologische Kompetenz der Grünen in Gefahr? | |
Mir fehlt bei den Grünen momentan zumindest ein klares Konzept, wie man die | |
Ziele des [6][Weltnaturschutzabkommens von Montreal] erreichen will. Dazu | |
zählt unter anderem, umweltschädliche Subventionen in Milliardenhöhe | |
umzulenken, damit das Artensterben reduziert wird. | |
Die Ampel hat jetzt auch ihr Vorhaben verschoben, das Düngerecht zu | |
verschärfen. Wie sehen Sie das? | |
Das ist der gleiche Mechanismus und das gleiche Muster. Die Nitratbelastung | |
durch die Düngemitteleinträge vor allem ins Grund- und Oberflächengewässer | |
ist immer noch zu hoch. Aus Angst vor der tagespolitischen Diskussion | |
werden wichtige Zukunftsfragen gar nicht mehr diskutiert oder gelöst. Dann | |
geht das noch ein, zwei Jahre so weiter, und plötzlich sind die | |
ökologischen Probleme so groß, dass man dann umso härter agieren muss. Das | |
fällt am Ende den Landwirt*innen voll auf die Füße. So bekommen sie | |
keine Planungssicherheit. | |
Beispiel Insekten: Sie sind wichtig für die Bestäubung und für den | |
biologischen Pflanzenschutz. Viele Arten fressen ja auch die Arten, die | |
Landwirtschaft schädigen. Das Insektensterben ist nach wie vor da. Wenn man | |
das bis zum Exzess treibt, geht es uns irgendwann wie den Menschen in der | |
chinesischen Provinz Sichuan, dann landen wir dabei wie in dieser einen | |
Region in China, wo am Ende Apfelblüten per Hand bestäubt wurden, weil es | |
die Insekten nicht mehr gab. | |
Was bedeutet das für unsere Demokratie, wenn es eine winzige Minderheit mit | |
großen Traktoren schafft, dass die Kommission und mehrere Regierungen in | |
wichtigen Punkten auf Kosten der Umwelt einknicken? | |
Das muss keine Gefahr für die Demokratie werden, weil wir als | |
Wähler*innen die Möglichkeit haben, genau dieses Regierungshandeln bei | |
der nächsten Wahl zu korrigieren oder auch zu belohnen. Aber klar: Es gibt | |
unglaublich viele Bevölkerungsgruppen, die sicherlich genügend Gründe | |
hätten zu demonstrieren, aber nicht diesen Organisationsgrad haben. | |
Warum sind die Umweltverbände so leise geblieben, zum Beispiel als die | |
EU-Kommission ihre Pläne vorgestellt hat? | |
Wir haben immer sehr stark den Kompromiss hochgehalten, den wir in der | |
Zukunftskommission Landwirtschaft gemeinsam erarbeitet haben. Jetzt sehen | |
wir mit einer gewissen Fassungslosigkeit, was da gerade passiert. Wir haben | |
in den vergangenen Wochen auch gelernt, dass wir trotz des wissenschaftlich | |
bestätigten hohen Handlungsdrucks mit unseren Botschaften nicht | |
durchdringen. Unsere sachlichen Argumente sind im Moment nicht so | |
durchschlagskräftig wie die große Emotionalität der Landwirt*innen. | |
Wir müssen selbstkritisch sagen: Uns fehlt tatsächlich ein Momentum, jetzt | |
schnell auch mal eine große Demonstration mit oder ohne Traktoren auf die | |
Straße zu kriegen. Wir haben das das letzte Mal im Januar geschafft bei der | |
[7][„Wir haben es satt“-Demonstration für eine Agrarwende]. Das war gut, | |
aber in der Taktung können wir das nicht so leisten, wie es eine so gut | |
organisierte Interessengruppe wie die Agrarlobby kann. | |
26 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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