| # taz.de -- Neue Studie zum Artensterben: Ohne Moos nix los | |
| > Eine neue Studie schlägt Alarm: Mehr als doppelt so viele Tier- und | |
| > Pflanzenarten als bekannt sind bedroht, unter anderem wichtige Moose. | |
| Bild: Fast so niedlich wie ein Orang-Utan-Baby: Torfmoos Sphagnum magellanicum … | |
| Berlin taz | Je genauer die Wissenschaft hinschaut, desto schlimmer wird | |
| die Lage: Anstatt der weltweit etwa eine Million Arten, die vom Aussterben | |
| bedroht sind, sind es wohl eher zwei Millionen. Das ist das Ergebnis einer | |
| neuen Studie um Axel Hochkirch, Kurator für Ökologie am Nationalmuseum für | |
| Naturgeschichte in Luxemburg. Sie ist am Mittwoch in der renommierten | |
| Zeitschrift Plos One veröffentlicht worden. | |
| Für seine Studie analysierte das Team um den Biologen die Daten aller | |
| 14.669 europäischen Wirbeltier-, Wirbellosen- und Pflanzenarten, welche die | |
| Weltnaturschutzorganisation IUCN in ihren Roten Listen der bedrohten Arten | |
| führt. Es hatte auch Zugriff auf neue Daten, etwa zu Pflanzenarten. „In den | |
| letzten Jahren sind viele Rote Listen in Europa entstanden“, sagt | |
| Hochkirch, „doch bislang wurden die Daten daraus noch nicht systematisch | |
| zusammengefasst.“ Ergebnis der Zählaktion: „Gerade die Insektenarten sind | |
| deutlich stärker gefährdet als bislang angenommen“, sagt Hochkirch. In | |
| seinem Bericht aus dem Jahr 2019 war der Weltbiodiversitätsrat IPBES noch | |
| davon ausgegangen, dass rund 10 Prozent aller Insektenarten in Europa | |
| gefährdet seien. „Nun gehen wir eher von 24 Prozent gefährdeten Arten aus�… | |
| sagt der Biologe, „da inzwischen mehr Daten dazu vorliegen“. | |
| Hohe Gefährdungsraten ergaben sich für Grashüpfer, aber auch für Schnecken, | |
| Muscheln und Moose. „Diese Artengruppen zeichnen sich häufig dadurch aus, | |
| dass sie nur in kleinen, eng begrenzten Gebieten siedeln“, sagt Hochkirch, | |
| „also etwa in einem bestimmten Quellgebiet oder in einer bestimmten | |
| Bergregion.“ So gebe es Arten flugunfähiger Heuschrecken, die nur an | |
| bestimmten Berghängen oder auf einzelnen griechischen Inseln vorkommen. | |
| Wenn diese Regionen „als Lebensraum zerstört oder verändert werden, | |
| gefährdet dies die Art“, so der Studienautor. | |
| Besondere Sorgen bereiten den Wissenschaftlern die Süßwasserorganismen. So | |
| sind unter den Süßwasserfischen 40 Prozent, unter den Süßwassermollusken | |
| (also Schnecken oder Muscheln) sogar 59 Prozent der Arten gefährdet. So | |
| steht der Aal inzwischen auf der höchsten Gefährdungskategorie – „vom | |
| Aussterben bedroht“. | |
| ## Die Ergebnisse sind auf andere Weltregionen übertragbar | |
| Auch Moose, für die bislang noch keine Rote Liste vorlag, sind auf dem | |
| Rückzug. Nach den neuen Daten gelten 23 Prozent aller Moos-Arten als | |
| gefährdet. Die häufig unscheinbaren Pflanzen siedeln vor allem in Mooren | |
| und in Berggebieten. „Sie sind als CO2-Speicher extrem wichtig und viel | |
| bedeutsamer als Bäume“, sagt Hochkirch. „Keine Pflanzengruppe kann besser | |
| Kohlendioxid speichern als Torfmoose.“ | |
| Genau und neu gezählt haben die Wissenschaftler die Datensätze aus Europa. | |
| Die Ergebnisse lassen sich aber auf andere Weltregionen übertragen. „Europa | |
| ist eine jener Regionen der Erde, für die wir noch die besten Daten haben“, | |
| sagte Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität der Tiere an der | |
| Universität Hamburg, dem Science Media Center. „Wenn sich hier die | |
| Situation schon derart dramatisch darstellt, bedeutet dies, dass sich die | |
| Biodiversitätskrise in anderen, weitaus artenreicheren Regionen sehr | |
| wahrscheinlich noch deutlich brisanter darstellt.“ Insbesondere die | |
| Tropengebiete in Afrika und Asien seien bislang unzureichend erforscht. | |
| Die Studie mache aber auch deutlich, dass „selbst für Mitteleuropa sehr | |
| viele Datenlücken bestehen“, so Christian Habel, Leiter des Fachbereichs | |
| Umwelt und Biodiversität der Paris Lodron Universität Salzburg. „Für einen | |
| Großteil der Arten kann keine Gefährdungseinstufung vorgenommen werden, und | |
| somit kann auch kein Trend ermittelt werden“, so Habel. Das unterstreiche | |
| „die dringende Notwendigkeit eines flächendeckenden und professionellen | |
| Monitorings“. | |
| ## Entscheidung zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur | |
| Um Tieren und Pflanzen nicht nur beim Verschwinden zuzuschauen, ist vor | |
| allem eine neue Agrarpolitik nötig, da sind sich die Experten einig. „Es | |
| ist davon auszugehen, [1][dass der starke Rückgang zahlreicher | |
| Pflanzenarten auf die Zerstörung von Lebensraum und auf Stickstoffeinträge | |
| zurückzuführen ist]“, sagt Habel. Zahlreiche Pflanzen seien auf eine | |
| extensive Bewirtschaftung angewiesen. Landwirtschaftliche Intensivierung, | |
| aber auch die Nutzungsaufgabe, etwa das Ende der Weidetierhaltung, führen | |
| hierbei zum Verschwinden von zahlreichen Arten. | |
| Zahlreiche politische Initiativen – vom Weltnaturschutzabkommen von | |
| Montreal im vergangenen Jahr bis zum Nature Conservation Law, dass die EU | |
| am Donnerstag auf einer letzten Trilog-Sitzung in Brüssel endgültig | |
| beschließen will, seien gut und wichtig, sagt Hochkirch. „Wir müssen aber | |
| die großen Stellschrauben drehen, um das Artensterben aufzuhalten, und das | |
| ist die Agrar- und Fischereipolitik.“ | |
| Am Donnerstag soll die letzte Verhandlungsrunde des langwierigen | |
| Trilogverfahrens für ein „Gesetz zur Wiederherstellung der Natur“ | |
| stattfinden. Die Einigung von EU-Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten | |
| auf einen Gesetzestext wird mit Spannung erwartet. [2][Ob progressive | |
| Vorhaben, etwa Moore wiederzuvernässen, Vorgaben zum Schutz des Bodens oder | |
| zur Anlage von Streuobstwiesen, erhalten bleiben, ist derzeit unklar.] Das | |
| „Nature Restauration Law“ soll als Teil des europäischen Green Deal Natur | |
| und Klima in Europa schützen. Das Vorhaben wird von Konservativen und | |
| Rechten im EU-Parlament seit Langem heftig attackiert. | |
| Für eine gesunde Natur seien kleinbäuerliche Strukturen nötig, findet | |
| hingegen Studienautor Axel Hochkirch. Die EU-Flächenprämie, die die | |
| industrielle Landwirtschaft fördere, sei längst nicht mehr zeitgemäß. | |
| 9 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rote-Liste-Bundesamt-fuer-Naturschutz/!5557007 | |
| [2] /Streit-um-Renaturierung/!5944684 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
| ## TAGS | |
| Artensterben | |
| Rote Liste | |
| Biodiversität | |
| Natur | |
| Pflanzen | |
| Fische | |
| GNS | |
| Tiere | |
| Naturschutz | |
| Orang-Utan | |
| Naturschutz | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| wochentaz | |
| Biodiversität | |
| Naturschutz | |
| Natur | |
| Wohnungsbau | |
| Renaturierung | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Das Ende der Plage: Karnickelsterben nun auch in Bremen | |
| Die Bestände des Europäischen Wildkaninchens gehen aufgrund von Seuchen | |
| kontinuierlich zurück. Bremen war bisher eine Ausnahme. | |
| Insektenforscher über Naturschutz: „Es gibt ganz tolle Wanzen!“ | |
| Das Nature Restauration Law ermöglicht Artenschutz, sagt der Agrarökologe | |
| Josef Settele. Außerdem biete es Bevölkerung ökonomische Perspektiven. | |
| Heilung von Wunde mit Pflanzensud: Der Apotheker-Affe | |
| Ein Orang-Utan heilt mit einer Pflanze seine offene Wunde. Damit gibt es | |
| eine weitere Gemeinsamkeit zwischen den Menschen und den Menschenaffen. | |
| Mehr intakte Natur in Europa: Meere, Moore und Massenproteste | |
| Endlich bekommt die EU ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. | |
| Umweltschützer sprechen von einem Meilenstein, Landwirte sind erbost. | |
| Heuschrecken als Snack: Grashüpfer, goldbraun geröstet | |
| Zum Jahresende fliegen Heuschreckenschwärme über Uganda, werden eingefangen | |
| und als Snacks verkauft. Dieses Jahr bleiben sie aus. Woran liegt das? | |
| Alte Obstsorten in Österreich: Birne ist nicht gleich Birne | |
| Kletzen, also getrocknete Birnen, stellen nur noch wenige selbst her. | |
| Leopold Feichtinger und seine Frau gehörigen dazu. | |
| Arten sterben weiter: Niemand will den Naturschutzgipfel | |
| Bislang findet sich kein Land, das den nächsten UN-Gipfel zum Naturschutz | |
| ausrichtet. Auch in Deutschland macht der Artenschutz wenig Fortschritte. | |
| Projekt gegen das Pflanzensterben: Ausgesetzt auf der Insel | |
| Mit einem neuen Artenschutzprojekt für seltene Wildpflanzen sollen Bestände | |
| auf der Pfaueninsel gesichert und etabliert werden. Ein Rundgang. | |
| Schwaches EU-Renaturierungsgesetz: Zu wenig, zu spät | |
| „Hauptsache, es gibt eine Einigung“ reicht nicht. Europas Gesetz zur | |
| Wiederherstellung der Natur wird die ökologische Krise kaum beenden können. | |
| Wohnungsbau und Umweltschutz: Flächenfraß auf der grünen Wiese | |
| Die Ampel will, dass Gemeinden ohne viel Rücksicht auf die Natur Bauland | |
| schaffen können. Das schafft Wohnungen, wo niemand sie braucht. | |
| Streit um Renaturierung: Kann die EU ihre Natur heilen? | |
| Europas Wälder, Flüsse und Parks müssen sich erholen. Ob es konkrete Ziele | |
| und Maßnahmen geben wird, liegt nun an Rat und Kommission. | |
| EU-Renaturierungsgesetz verschoben: Green Deal der EU wankt | |
| Die Wiederherstellung von intakten Ökosystemen ist eine Grundlage der | |
| EU-Klimapolitik. Konservative und Populisten blockieren ein wichtiges | |
| Gesetz. |