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# taz.de -- Das Ende der Plage: Karnickelsterben nun auch in Bremen
> Die Bestände des Europäischen Wildkaninchens gehen aufgrund von Seuchen
> kontinuierlich zurück. Bremen war bisher eine Ausnahme.
Bild: Bremen galt bisher als die Insel der Seligen: Nun sterben auch hier viele…
Bremen taz | Einhändig schiebt die junge Frau ihr Rennrad über die
Fußgängerbrücke am Werdersee, mit der anderen hält sie [1][ein junges
Wildkaninchen] an die Brust gedrückt. Wahrscheinlich hat sie es unterwegs
gefunden, denn kranke Kaninchen sind derzeit in Bremen kein seltener
Anblick.
Sie hoppeln erst im letzten Moment davon oder bleiben einfach hocken, das
Fell sieht struppig aus, die Augen verquollen. Wer sie aufhebt und zum
Tierarzt schleppt, tut ihnen keinen Gefallen, denn der kann sie nicht
behandeln, nur einschläfern. Verantwortlich für das Massensterben sind zwei
Infektionskrankheiten, die beide Kaninchenseuche genannt werden.
Sie treten regelmäßig auf, derzeit unter anderem in Bremen. Das besondere
daran ist: Die Kaninchenpopulation im Stadtstaat war bislang noch recht
stabil. Kleingärtner:innen auf dem Stadtwerder, einer etwa sechs
Kilometer langen Weser-Halbinsel, die etwas von ihrem Salat haben wollen,
setzen deshalb Kaninchenzäune oder wappnen sich mit Hochbeeten gegen den
Kahlschlag. In anderen Regionen hingegen kann schon seit längerem von
Kaninchenplagen keine Rede mehr sein, die Bestände gehen zurück.
In seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet [2][auf der iberischen
Halbinsel] wurde das Europäische Wildkaninchen 2018 von der
Weltnaturschutzorganisation IUCN sogar [3][als gefährdete Art eingestuft].
In Deutschland ist dies noch nicht der Fall. Hier steht die Art auf einer
Vorwarnliste. Kaninchenbestände gingen nach Daten aus dem Jahr 2016 in
allen Bundesländern seit 2006 zurück, heißt es im Bericht des
Rote-Liste-Zentrums, einer vom Bundesamt für Naturschutz beauftragten
Institution. [4][In Thüringen gilt es demnach sogar als „stark gefährdet“…
Nur in Bremen, Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz sei bis dato kein
Abwärtstrend zu erkennen gewesen. Die Bestände „schwanken“ dort lediglich,
dezimieren sich also nach Seuchenzügen und erholen sich dann wieder.
## „Kommen mit dem Einsammeln nicht hinterher“
Diese Angaben scheinen allerdings überholt zu sein. [5][Laut dem jüngsten
Jagdbericht des Landes Niedersachsen] wurden im Jahr 2022 so wenig
Kaninchen von Jäger:innen erlegt oder tot aufgefunden wie noch nie
zuvor. Die im Jagdbericht abgebildete Kurve zeigt dies recht eindrücklich.
Bis Anfang der 1990er Jahre schwankt diese, danach geht es nur noch bergab.
Von 300.000 erfassten toten Kaninchen Ende der 70er Jahre bis zu 12.445 im
Jahr 2022. Nicht einmal mehr die Hälfte aller 3.058 Reviere meldeten
überhaupt noch Kaninchenvorkommen, heißt es im Bericht. Eine ähnliche
Entwicklung zeigt der Jagdbericht für Schleswig-Holstein.
Und Bremen? „Das war bisher die Insel der Seligen“, sagt Richard Onesseit,
der als ehrenamtlicher Stadtjägermeister das Ordnungsamt als Jagdbehörde
berät. Wenn er Kolleg:innen aus anderen Städten durch die Bremer Reviere
geführt habe, hätten die oft über die vielen Kaninchen gestaunt. [6][Der
Bremer Jagdbericht] zeigt über die vergangenen 25 Jahre eine Schwankung
zwischen 400 und 1.300 erfassten toten Tieren. Die Population schien im
gesamten Stadtgebiet bisher vergleichsweise intakt – wie auch in einigen
anderen Regionen in Deutschland.
Jetzt befürchtet Richard Onesseit, dass sich das ändern wird. Denn in
diesem Jahr sterben auch in Bremen überdurchschnittlich viele Kaninchen.
„Wir kommen gar nicht mehr hinterher mit dem Erlegen kranker Tiere und
Einsammeln der Kadaver“, sagt Richard Onesseit.
Das habe bereits im März begonnen, sagt der Stadtjägermeister, was
ungewöhnlich früh sei, weil die Myxomatose, eine Pockenerkrankung,
hauptsächlich von Mücken übertragen werde. [7][Das Myxoma-Virus soll 1952
in Frankreich] gezielt zur Bekämpfung einer Kaninchenplage eingeführt
worden sein und sich von dort verbreitet haben.
Ob die Bremer Kaninchen mehrheitlich wirklich an Myxomatose sterben – wovon
der Bremer Jägermeister aufgrund der äußerlich sichtbaren Symptome
überzeugt ist – ist allerdings unklar, weil keine Proben genommen und
untersucht werden.
## Bestände erholen sich nicht mehr
Es könnte sich auch um ein anderes Virus handeln, das nicht über Mücken
übertragen wird und daher ganzjährig grassiert. RHD, kurz für Rabbit
Hemorrhagic Disease, wurde 1984 erstmals beobachtet und hat sich seitdem
weltweit ausgebreitet, nach Angaben des Friedrich-Löffler-Instituts, dem
Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, seit 2015 in einem weiteren
Stamm, genannt RHD-2. Dieses befällt auch sehr junge Tiere.
Warum sich die Bestände nach Krankheitsausbrüchen nicht mehr erholen, wie
es früher der Fall war, oder ganz erlöschen, ist unklar. Laut
Weltnaturschutzorganisation konnten sich Kaninchen bisher besser in
Kulturlandschaften behaupten als in der freien Wildbahn. Das
Rote-Liste-Zentrum hält hingegen die „Bebauung oder Intensivierung der für
eine Nutzung geeigneten Standorte“ für ursächlich und der Landesjagdbericht
Schleswig-Holsteins die „Intensivierung der Landwirtschaft“ sowie den Druck
durch Beutegreifer.
9 Aug 2024
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!5315398
[2] /Luchspopulation-wieder-auf-dem-Vormarsch/!6024762
[3] https://www.iucnredlist.org/species/41291/170619657
[4] https://www.rote-liste-zentrum.de/files/NaBiV_170_2_1_RL_Saeugetiere_2020_2…
[5] https://www.ml.niedersachsen.de/startseite/themen/wald_holz_jagd/jagd_in_ni…
[6] http://www.lj-bremen.de/Jagd-Wildtiere-Steckenberichte.html
[7] https://www.woah.org/fileadmin/Home/eng/Health_standards/tahm/3.07.01_MYXO.…
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Tiere
Kaninchen
Bremen
Schwerpunkt Artenschutz
Seuche
Artensterben
Landwirtschaft
Zoologie
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