| # taz.de -- Alte Obstsorten in Österreich: Birne ist nicht gleich Birne | |
| > Kletzen, also getrocknete Birnen, stellen nur noch wenige selbst her. | |
| > Leopold Feichtinger und seine Frau gehörigen dazu. | |
| Bild: Bei Kletzenbirnen muss man warten, bis sie von selbst zu Boden fallen | |
| In Arbeitshose und Gummistiefeln steht Leopold Feichtinger in der Auffahrt | |
| seines Biohofes ganz im Süden Österreichs. Hinter dem Haus kräht ein Hahn; | |
| weiter unten, zwischen den Obstbäumen, blöken Schafe. Im Tal hängt grauer | |
| Nebel. Es ist früh am Morgen, doch der Tag des 47-Jährigen hat schon lange | |
| begonnen. Feichtinger hebt eine Birne vom Boden auf und reißt sie auf. | |
| Braun und ein wenig matschig ist das Innere. „Genau richtig“, sagt er. | |
| Genau richtig, damit daraus eine Kletze werden kann. Feichtinger und seine | |
| Frau Ulrike Petschacher gehören zu den wenigen, die diese Kärtner Tradition | |
| aufrechthalten. Die sich die Mühe machen, die Früchte von Hand zu sammeln, | |
| zu verlesen und über Wochen hinweg reifen und trocknen zu lassen. | |
| Braun, fast schwarz sind diese dann, schrumpelig, unglaublich süß und | |
| steinhart. So hart, dass sie über Nacht in Wasser eingeweicht und | |
| anschließend gekocht werden müssen, bevor sie in Desserts wie den | |
| Kletzennudeln verarbeitet werden können oder im Kletzenbrot, das besonders | |
| gerne in der Weihnachtszeit gebacken wird. | |
| Zu den Kletzen fand das Paar durch Zufall. Es begann mit dem Traum vom | |
| naturnahen Leben und ein paar Schafen. 2013 zogen Feichtinger und seine | |
| Frau, beide studierte Ökologen, aus dem Norden Österreichs ins Gailtal in | |
| Kärnten. So nah an Italien, dass die Einheimischen auf einen schnellen | |
| caffè über die Grenze fahren. So idyllisch, dass junge Leute inbrünstig von | |
| der Heimat, diesem „schönen Fleckerl“, schwärmen. Und doch suchen viele | |
| Höfe vergeblich nach Nachfolgern. | |
| Gut für Leopold Feichtinger und seine Frau. Sie kauften ein altes | |
| Bauernhaus am Hang und die ersehnten Tiere: Krainer Steinschafe – eine alte | |
| Rasse, die Wolle, Milch und zartes Fleisch gibt. Heute ist sie vom | |
| Aussterben bedroht, erklärt Feichtinger. Früher aber war sie in der Region | |
| sehr verbreitet. „Die Schafe sind ideal, um die schwer zugänglichen | |
| Streuobstwiesen zu beweiden.“ | |
| ## Ein alter Obstgarten | |
| Denn Feichtinger und seine Frau kamen mit dem Kauf ihres Hofes auch in den | |
| Besitz hunderter alter Bäume. Zwetschgen, Äpfel, Kirschpflaumen, | |
| Ringlotten, Birnen. [1][Das Paar wollte den Bäumen nicht beim Sterben | |
| zusehen.] Also begannen sie, das Obst zu ernten, und die Birnen, alte | |
| Sorten, die an knorrigen Ästen wachsen, zu Kletzen zu verarbeiten. | |
| Feichtinger zeigt auf einen knorpeligen Stamm am gegenüberliegenden Hang. | |
| „Das da hinten ist ein absterbender Birnbaum“, sagt er. „Hier in der Regi… | |
| gibt es total viele Streuobstwiesen, die keiner mehr nutzt.“ Die Flächen | |
| sind kleinteilig und für Maschinen ungeeignet, weshalb sich kaum jemand die | |
| Mühe macht, sie zu bewirtschaften. | |
| Früher war das anders. Da trank man in den lokalen Gasthäusern Most und | |
| Obstbrand, dienten die getrockneten Früchte als süßer Vorrat für die kalten | |
| Wintermonate. Überschüssiges Obst wurde verkauft, bis an den Kaiserhof nach | |
| Wien. Heute gibt es Nahrung ganzjährig im Überfluss, die Einheimischen | |
| bevorzugen Bier und Wein, und das Obst stammt aus intensiv bewirtschafteten | |
| Monokulturen. | |
| Und so müssen selbst die Kletzen für die Kärntner [2][Nudeln] importiert | |
| werden. Das sind hauchdünne Teigtaschen, herzhaft gefüllt mit Kartoffeln, | |
| Topfen und Kräutern – oder eben süß mit feingehackten Kletzen. „Das | |
| Kärntner Nationalgericht“, sagt Leopold Feichtinger. „Die gibt’s bei uns… | |
| jedem Wirtshaus.“ Nur stammt ein Großteil der verwendeten Dörrbirnen eben | |
| nicht aus Kärnten. Oft sind es getrocknete Speisebirnen, Ausschuss großer | |
| Obstplantagen. | |
| Doch Birne ist nicht gleich Birne. Um herauszufinden, welche Sorten sich | |
| für die Kletzenproduktion eignen, hat Feichtinger extra eine Diplomarbeit | |
| ausgeschrieben. Rote Pichlbirne, Speckbirne, Weinbirne – rund zwanzig | |
| Kletzensorten identifizierte der Diplomand. | |
| Kletzensorten sind optisch nicht so schön wie Tafelbirnen, vor allem aber | |
| sind sie, anders als Speiseobst, nicht lager- und pflückbar. „Man muss | |
| warten, bis sie von selbst runterkommen“, erklärt Feichtinger. Zur | |
| Erntezeit gehen seine Frau und er täglich durch die Obstwiesen, klauben die | |
| Früchte auf und überlegen bei jeder einzelnen, ob sie bereit zur | |
| Verarbeitung ist. Die Reifen kommen in den Dörrofen, die anderen zum | |
| Nachreifen in den Schuppen. | |
| Leopold Feichtinger führt an die Rückseite des Hauses. Quietschend öffnet | |
| sich die hohe Holztür. Früher, erzählt er, haben die Leute im Gailtal die | |
| Kletzen im Holzofen in der heimischen Stube getrocknet. „Erst wurde das | |
| Brot gebacken, danach kamen die Birnen rein.“ In der Industrie setzt man | |
| auf hocheffiziente Dörröfen, die diesen Prozess in einem Bruchteil der Zeit | |
| erledigen. | |
| Feichtinger hat sich seinen Dörrofen selbst gebaut: ein schlichter | |
| hölzerner Schrank. Darin trocknen die Birnen, auf Stiegen mit vergittertem | |
| Boden, über drei Tage bei rund 70 Grad. Jeden Tag müssen sie kontrolliert | |
| und fertige Kletzen aussortiert werden. Gleiches gilt für die Früchte, die | |
| zum Nachreifen auf langen Tischen im hinteren Teil der Scheune liegen: ein | |
| dunkler Raum, erreichbar über zwei umgedrehte Getränkekisten, die als | |
| Treppe dienen. | |
| ## Slow Food und Sortenvielfalt | |
| Nur rund 100 Kilo fertige Kletzen produziert das Paar pro Saison. Ernten | |
| müssen sie dafür das Zehnfache. Die Handarbeit, die sie in ihre Früchte | |
| stecken, kostet. 24 Euro pro Kilo. Industriekletzen, sagt Feichtinger, | |
| seien teils für ein Drittel des Preises zu haben. „Wir tun uns schwer, | |
| faire Preise zu verlangen.“ Es funktioniere nur, wenn man die Geschichte | |
| dahinter erzähle. Die alten, besonderen Sorten. Die Schafe. Die viele | |
| Handarbeit. Die Bedeutung der Streuobstwiesen für die Biodiversität. | |
| Um diese Geschichte bekannter zu machen, hat Leopold Feichtinger die | |
| Gründung eines [3][Slow Food] Presidio initiiert. Presidi unterstützen den | |
| Erhalt und die Produktion von Lebensmitteln, die zu verschwinden drohen. | |
| Mitstreiter fand der Landwirt im italienischen Friaul und im slowenischen | |
| Soča-Tal; das Alpen-Adria-Dreiländereck gilt als Kernzone der Kletzenbirne. | |
| Gemeinsam wollen sie die Sortenvielfalt, die traditionelle Verarbeitung und | |
| die Zubereitung für zukünftige Generationen erhalten. | |
| Eine wesentliche Voraussetzung: Es braucht neue Bäume. Die alten sterben | |
| nach und nach ab, doch seit Jahrzehnten gibt es keinen Nachwuchs. „Wir | |
| müssen sie vermehren, solange sie noch gesund sind“, sagt Feichtinger. Wie | |
| das geht, zeigt er in seiner „Baumschule“. | |
| Die liegt zwischen Hühnerstall und Gemüsegarten und besteht aus einem | |
| schmalen Spalier zierlicher Pflanzen. Die Bäume, erklärt er, könne man | |
| nicht über Samen vermehren, sondern nur über einen Reis – einen jungen | |
| Trieb, der auf einen Baumansatz gepfropft wird. Ungefähr 15 Jahre dauert es | |
| dann, bis ein Baum erste Erträge bringt. „Die Rettung der Kletzenbirne ist | |
| ein Generationenprojekt.“ | |
| Um Landwirte zum Erhalt ihrer Streuobstwiesen zu bewegen, will Feichtinger | |
| eine größere Anlage zum Trocknen der Birnen bauen. Würden die Bäume nicht | |
| genutzt, machten sie nur Arbeit und Dreck, „Gatsch“, wie er sagt. „Doch | |
| wenn die Leute sehen, dass sie ihre Birnen gewinnbringend verkaufen können, | |
| bekommen die Bäume wieder einen Wert.“ | |
| Die Nachfrage nach ihren Kletzen ist mit den Jahren gewachsen. Einen Teil | |
| verkauft das Paar an die gehobene Gastronomie, den Rest an Privatleute. | |
| Selbst aus dem Ausland erhalten sie Anfragen. | |
| „Kommts in unsere Region“, sagt Feichtinger dann. Vom Versand hält er | |
| nichts. Verkauft werden die Kletzen nur ab Hof. | |
| 17 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Obstanbau-in-der-Krise/!5885801 | |
| [2] /Billig--Marken--und-Edelpasta-im-Test/!5949647 | |
| [3] /Kulturerbe-Roggensauerteiglaib/!5884578 | |
| ## AUTOREN | |
| Verena C. Mayer | |
| ## TAGS | |
| wochentaz | |
| Kärnten | |
| Obstanbau | |
| Biodiversität | |
| Nachhaltigkeit | |
| Biodiversität | |
| Artensterben | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Das Lesachtal als Reiseort: „Der Honig kommt von der Erika“ | |
| Wandern und süßes Nichtstun: Das österreichische Lesachtal ist mit seinem | |
| kleinteiligen Tourismus überraschend modern. | |
| Arten sterben weiter: Niemand will den Naturschutzgipfel | |
| Bislang findet sich kein Land, das den nächsten UN-Gipfel zum Naturschutz | |
| ausrichtet. Auch in Deutschland macht der Artenschutz wenig Fortschritte. | |
| Neue Studie zum Artensterben: Ohne Moos nix los | |
| Eine neue Studie schlägt Alarm: Mehr als doppelt so viele Tier- und | |
| Pflanzenarten als bekannt sind bedroht, unter anderem wichtige Moose. | |
| Der Wert von Streuobstwiesen: Wer holt die Äpfel runter? | |
| Eigentlich würde Bruno Reuer seine Streuobstwiese gern loswerden. Er findet | |
| nur keinen Käufer. Streuobstwiesen lohnen sich nicht. |