| # taz.de -- Bauern verhindern Agrarwende: Traktoren im Rückwärtsgang | |
| > Die erfolgreichen Bauernproteste schaden vor allem der Landwirtschaft | |
| > selbst. Dabei liegt gerade bei ihr die Hoffnung auf eine ökologische | |
| > Wende. | |
| Bild: Die Politik verlässt der Mut, sobald die Traktoren rollen | |
| Nach heftigen Bauernprotesten in mehreren europäischen Ländern will die | |
| EU-Kommission den Bauern „entgegenkommen“. Geplant ist eine Vielzahl von | |
| Ausnahmen und Aufweichungen, was Brachen, Fruchtfolgen, Bodenbedeckung und | |
| andere ökologische Standards betrifft. | |
| Unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau und Flexibilitätsversprechen, | |
| garniert vom hehren Anspruch, „unsere Landwirte in schwerer Zeit zu | |
| unterstützen“ (Ursula von der Leyen), wird der Green Deal teilweise | |
| abgewickelt. Agrarpolitik im Rückwärtsgang. „Bei widrigen | |
| Witterungsverhältnissen“ können die EU-Mitgliedstaaten künftig in | |
| Eigenregie „befristete Ausnahmen“ von ökologischen Auflagen beschließen. | |
| Und das werden sie auch tun, zumal die Krise das neue Normal ist. Vor einem | |
| „Wettbewerb nach unten“ warnt daher Bioland-Vizepräsidentin Sabine Kabath. | |
| Der [1][Kniefall der EU-Kommission] vor der Wut aufgebrachter Bauern und | |
| Bäuerinnen zeigt, wie unendlich schwierig es ist, die dringend notwendige | |
| Transformation des Agrar- und Ernährungssystems durchzusetzen. „Wir wissen | |
| genau, was eigentlich zu tun wäre“, hieß es vergangene Woche auf einer | |
| großen Konferenz zu Klima und Landwirtschaft in Potsdam. Aber wir tun es | |
| trotzdem nicht, darf man hinzufügen. Die Politik verlässt der Mut, sobald | |
| die Traktoren rollen. Und die Medien nutzen die aufrührerisch schillernden | |
| Proteste, um die Politik vorzuführen. | |
| Dabei war die Einkommenssituation der Landwirtschaft gerade in den letzten | |
| Jahren relativ gut, die schrittweise Streichung der Agrardiesel-Subvention | |
| alles andere als existenzgefährdend. Doch die Stimmung in der | |
| Landwirtschaft ist sehr viel schlechter als die finanzielle Lage. Betriebe | |
| beklagen die hohe Regulierungsdichte ebenso wie den enormen | |
| Bürokratieaufwand. Vor allem aber quält die fehlende gesellschaftliche | |
| Anerkennung. | |
| Es ist typisch, dass sich die Ampel den Agrarsektor zum Subventionsabbau | |
| ausgesucht hat und nicht etwa das [2][Milliarden verschlingende | |
| Dienstwagenprivileg] oder die Befreiung der Luftfahrt von der | |
| Kerosinsteuer. Landwirtschaft ist pfui, Landwirtschaft ist der Killer der | |
| Artenvielfalt und für hohe Klimaemissionen verantwortlich. Sie ist | |
| Giftspritzer, Tierquäler, und sie versaut mit Düngeorgien unser Wasser, | |
| bekommt dazu noch riesige Subventionen nachgeworfen. So das Negativimage | |
| in Kurzform. | |
| ## Leidtragende Landwirtschaft | |
| Richtig: Landwirtschaft ist Täter. Sie ist aber zugleich Opfer. Der | |
| Klimawandel mit 1,48 Grad Erwärmung im Jahr 2023 knallt voll in die | |
| Betriebe rein, sie ächzen unter Dürren und Ernteverlusten oder monatelang | |
| überfluteten Feldern in weiten Teilen Deutschlands zu Beginn dieses Jahres. | |
| „Wie will die Landwirtschaft durch das nächste Jahrzehnt kommen?“, fragt | |
| der Klimawissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber. Auch die Verluste an | |
| Bodenfruchtbarkeit und biologischer Vielfalt, die Pestizidrückstände und | |
| die sich zuspitzende Wasserkrise fallen auf den eigenen Sektor zurück. Der | |
| muss im ureigensten Interesse umwelt- und klimaverträglicher und damit | |
| weniger verwundbar werden. Das heißt: Jede grüne Kurskorrektur hilft. Und | |
| umgekehrt: Das durch die Bauernproteste ausgelöste Rollback ist gerade für | |
| die Landwirtschaft lebensgefährlich. | |
| ## Teil der Lösung | |
| Landwirtschaft ist aber nicht nur Täter und Opfer, Verursacher und | |
| Leidtragender. Sie ist, drittens, auch Teil der Lösung. Es wäre deshalb | |
| zwingend, das gewaltige Potenzial der Landwirtschaft für die Transformation | |
| zu nutzen: Wiedervernässung der Moore, Rückgang und Verbesserung der | |
| Tierhaltung, Humusaufbau, CO2-Speicherung im Boden, ein anderer Umgang mit | |
| tierischen Exkrementen, bessere Fütterungsmethoden, Hecken und | |
| Blühstreifen, neue Wälder, Freiflächen-Photovoltaik an Weidezäunen und über | |
| Kulturen, die Schatten und Hagelschutz brauchen. Die Möglichkeiten der | |
| Landwirtschaft, Klima, Umwelt, biologischer Vielfalt und Energiewende – und | |
| dem eigenen Ansehen – zu helfen, ist gewaltig. | |
| Die beiden wichtigsten klima- und umweltwirksamen Stellschrauben sind dabei | |
| der [3][Rückgang der Tierbestände], begleitet von einer stärker | |
| pflanzenbasierten Ernährung und die Wiedervernässung der Moore. Allein 5,5 | |
| Prozent aller Treibhausgase in Deutschland kommen aus der | |
| landwirtschaftlichen Nutzung der mehr als 900.000 Hektar trockengelegter | |
| Moore. Der Agrarwissenschaftler Alfons Balmann rechnet vor, dass die | |
| „volkswirtschaftlichen Kosten der Moornutzung ein Vielfaches der | |
| Wertschöpfung auf diesen Flächen ausmachen“. | |
| Das Potenzial muss also gehoben und die Bauern müssen für die | |
| Gemeinwohl-Leistungen anständig honoriert werden. Das heißt: | |
| Umweltschonende, klimafreundliche Produktionsweisen müssen rentabel sein. | |
| Seit Jahrzehnten steht diese Forderung im Raum und wird allenfalls im | |
| Schneckengang umgesetzt. | |
| Die gesellschaftlichen Kosten dieser Verschleppung gipfeln in einer | |
| schwindelerregenden Zahl. Der Potsdamer Agrarökonom Hermann Lotze-Campen | |
| zitierte vergangene Woche auf der Potsdamer Konferenz konservativ | |
| angesetzte Rechenmodelle, wonach die versteckten Kosten des globalen Agrar- | |
| und Ernährungssystems auf mehr als 10.000 Milliarden Dollar jährlich | |
| taxiert werden. So halsbrecherisch solche Abschätzungen sein mögen, so | |
| zeigen sie doch die Größenordnung des Desasters und seiner finanziellen | |
| Folgen. | |
| Was Lotze-Campen aber auch sagte: „Wir können diese Kosten massiv | |
| reduzieren. Wir können die Stickstoffüberschüsse halbieren. Wir können die | |
| Biodiversitätsverluste stoppen. Wir können es schaffen, dass der Agrar- und | |
| Ernährungssektor zur Klimasenke wird.“ | |
| Dazu braucht es Steherqualitäten der Politik und eine klare Zielsetzung hin | |
| zu einer klima- und naturverträglichen Landwirtschaft. Die Kapitulation der | |
| Politik, die jetzt den ökologischen Umbau abbremsen und ein nur leicht | |
| moduliertes [4][Weiter-so durchwinken will], ist fatal. | |
| 12 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
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