# taz.de -- Germanist aus Togo über Rassismus: „Beide Seiten sind Opfer“ | |
> Messan Tossa forscht gerade zu „Hofmohren“. Der Germanist erklärt, wie | |
> der europäische Rassismus entstanden ist. | |
Bild: Messan Tossa am Humboldt Forum in Berlin, die Spree im Rücken | |
wochentaz: Herr Tossa, Sie sind aus Togo. Was hat Sie bewogen Germanistik | |
zu studieren? | |
Messan Tossa: Wo ich herkomme, ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Darum | |
habe ich nach dem Abitur überlegt, was die besten Zukunftsperspektiven für | |
mich sind. Die meisten meiner Mitschüler fanden die deutsche Sprache | |
schwierig, und so habe ich mich für diese Fachrichtung entschieden, weil | |
ich da wenige Konkurrenten hatte. | |
Man lernt in Togo Deutsch in der Schule? | |
Am Gymnasium schon. Französisch hat man von Beginn der Schule an, Englisch | |
ab dem siebten Schuljahr, und im ersten Jahr des Gymnasiums, also im 10. | |
Schuljahr, fängt man mit Deutsch an. Inzwischen gibt es mehr | |
Wahlmöglichkeiten, zum Beispiel Spanisch, aber damals gab es an meinem | |
Gymnasium keine anderen Fremdsprachen. | |
Interessiert es denn junge Togoer, Deutsch zu lernen? | |
Ja, und ich denke, es liegt an der deutschen Kolonialvergangenheit, dass in | |
der Bevölkerung eine gewisse Sympathie für die Deutschen geblieben ist. Wir | |
Akademiker sprechen manchmal von „transgenerationaler Nostalgie“. Wenn man | |
die Sache genau analysiert, ist es aber eher eine Art rhetorische | |
Projektion, eine implizite Kritik an Frankreich: Deutschland scheint vielen | |
als Ideal, weil Togo in der nachkolonialen Zeit ab 1960 eine schlechte | |
Erfahrung mit Frankreich gemacht hat – der Kolonialmacht, die nach | |
Deutschland kam. | |
Sie sind nun aber letztlich kein Deutschlehrer geworden, sondern forschen | |
mittlerweile über deutsche Philosophie. Wie kam das? | |
Ich hatte keine Absicht, in der Wissenschaft zu arbeiten. Aber nach meinem | |
Diplom hatte ich als einer der Jahrgangsbesten die Möglichkeit, ein | |
Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) zu bekommen. | |
So kam ich im Winter 2004 für ein Semester an die Humboldt-Uni nach Berlin | |
zur Vorbereitung meiner Magisterarbeit. Das war prägend für mich, weil ich | |
da zum ersten Mal in persönlichen Kontakt mit der deutschen Gesellschaft | |
kam – nicht nur vermittelt durch die Literatur. | |
Wie war das? | |
Sehr anders als erwartet. Ich hätte nicht gedacht, dass hierzulande der | |
individuelle Raum fast etwas Sakrales hat. Wenn ich zu Hause in Afrika | |
morgens aufwache und zwei oder vier Stunden meine Nachbarn nicht sehe, gehe | |
ich hin und frage, wie es ihnen geht. Aber hier klopft niemand bei den | |
Nachbarn. Die Privatsphäre ist heilig. | |
Wie fanden Sie das? | |
Nach einer Zeit konnte ich es verstehen, es liegt an den hiesigen | |
sozialpsychologischen und historischen Erfahrungen der Gesellschaft: Die | |
Geschichte von Aufklärung, Menschenrechten etc. hat eben großen Einfluss | |
auf die tagtäglichen Verhältnisse. | |
Wie kamen Sie auf Ihr Forschungsthema, die „Hofmohren“ in der Zeit der | |
Aufklärung? | |
Da muss ich etwas ausholen, und diese Geschichte hat – wie das Thema | |
„Hofmohren“ – mit Hegemonie und Subalternität zu tun. Denn ich musste mir | |
ja damals ein Thema auswählen, das auch dem DAAD als Förderer gefällt. Zu | |
dieser Zeit war das Thema Kindersoldaten in Togo sehr brisant und ich habe | |
versucht, das mit der deutschen Kriegsgeschichte in Verbindung zu bringen, | |
mit Autoren wie Heinrich Böll oder Gregor Dorfmeister, der „Die Brücke“ | |
geschrieben hat, einen Roman, in dem es um Jugendliche im Zweiten Weltkrieg | |
geht, die eine Brücke verteidigen müssen. Ich habe versucht, Parallelen zu | |
Kindersoldaten in Togo zu finden. Das liegt nicht wirklich auf der Hand, | |
aber es war auch nur ein Mittel, um die Förderung zu bekommen. Das hat | |
geklappt. | |
Und dann? | |
Für die Promotion bin ich diesen Weg weitergegangen und habe mich mit dem | |
deutschen Pazifismus beschäftigt, wie er sich literarisch seit dem Ersten | |
Weltkrieg in der deutschen Kulturgeschichte herauskristallisiert hat. Hier | |
war mein Rahmen: die 90er Jahre, wo in Afrika viele Bürgerkriege tobten, | |
während man in Deutschland und Europa mit dem Ende des Kalten Krieges die | |
Hoffnung hatte, dass nun eine lange Periode des Friedens anbrechen würde. | |
Sie versuchen also, Themen, die in Afrika aktuell oder brisant sind, zu | |
verknüpfen mit deutscher Literatur? | |
Das ist sowieso ein wichtiges Anliegen für uns afrikanische Germanisten. | |
Die Frage des Studiums verknüpft sich im globalen Süden fast systematisch | |
mit der Frage der Entwicklung unserer Gesellschaften – sodass man nur | |
selten ein Thema als rein akademische „Luxusfrage“ bearbeitet. Wir befassen | |
uns mit Themen, die Impulse für unsere Gesellschaft geben. | |
Was für einen Impuls gibt die Beschäftigung mit „Hofmohren“? | |
Hier ist der Bezug nicht so offensichtlich, aber es gibt ihn. Ich kam | |
darauf, als ich 2018 an einer Tagung in Dresden teilnahm. Wir hatten einige | |
Sitzungen im Dresdner Residenzschloss. Dort habe ich mehrere Gemälde von | |
Schwarzen Menschen gesehen – und war völlig überrascht. Ich hatte zwar von | |
„Hofmohren“ gehört wie zum Beispiel von [1][Anton Wilhelm Amo], der 1707 | |
als Kind in Ghana versklavt wurde und an den Hof des Herzogs von | |
Braunschweig-Wolfenbüttel kam. Dort wurde er ausgebildet, später wurde er | |
der erste Philosoph afrikanischer Herkunft in Deutschland. Von Amo wusste | |
ich, aber ich wusste nicht, dass das Phänomen „Hofmohren“ damals so | |
verbreitet war. | |
Es gab viele von ihnen? | |
Ja, es war seit der Aufklärung eine Tradition an deutschen Höfen, sich | |
Leute aus Afrika zu „holen“ und als „Prestige-Objekte“ zu verwenden. Vi… | |
Adelige hatten welche, oft waren sie einfache Diener, aber manche wurden | |
auch gut ausgebildet. Ich habe also begonnen zu erforschen, wie prägend | |
Menschen wie Amo für die deutsche akademische Kultur waren. | |
Schwarze Leute mit ähnlichem Schicksal waren zum Beispiel Jacobus Elisa | |
Johannes Capitein aus den Niederlanden oder der Urgroßvater von Puschkin am | |
Hof des Zaren. Mich hat das interessiert, denn schon in der Zeit der | |
Aufklärung hat es ja angefangen, dass Fragen der Rassendiskriminierung auf | |
der Tagesordnung standen. Ich versuche in meinem Projekt den Zusammenhang | |
zu ergründen. Der Bezug zur Aktualität ist eher didaktisch. | |
Inwiefern? | |
Als Gymnasiasten haben wir die ganze Philosophie gelernt: Kant, Hegel, | |
Heidegger. Aber wir haben niemals davon gehört, dass rassendiskriminierende | |
Fragen ihr Denken durchzogen haben. | |
Dass sie Rassisten waren? | |
So würde ich es jetzt nicht ausdrücken. Aber ich war schockiert, dass uns | |
nicht beigebracht worden war, was zum Beispiel Kant über Schwarze | |
geschrieben hat: dass die „Race“ der Weißen angeblich die „größte | |
Vollkommenheit“ hat und die Schwarzen „weit tiefer“ stünden. Dieses Denk… | |
zu analysieren ist, glaube ich, eine wichtige Arbeit, die man angehen muss, | |
wenn man die Grundlagen des heutigen Rassismus verstehen muss. Ich habe | |
drei Söhne und finde es hoch dringend, dass ich ihnen erklären kann, warum | |
diese oder jene Leute dieses oder jenes über sie denken. | |
Ihre Forschung über die Aufklärung soll helfen, den heutigen Rassismus zu | |
beseitigen? | |
Das wäre schön, wenn sie dazu beitragen kann. Ich finde es sehr | |
problematisch, dass man damals in unserer Ausbildung diese Aspekte | |
übersehen hat. Am Ende meines Projekts plane ich in Kontakt mit dem | |
togoischen Ministerium für Ausbildung zu treten, um ihnen vorzuschlagen, | |
dass diese Aspekte in das Schulprogramm eingebracht werden. Damit die | |
Schüler verstehen, woher die negativen Typisierungen der Afrikaner kommen. | |
Wie groß war nun der Einfluss von Schwarzen wie Amo auf die Philosophie der | |
Aufklärung? | |
Ich denke, eher gering. Damals war es eine ambivalente Situation: Auf der | |
seinen Seite herrschten die negativen Typisierungen der Schwarzen vor, auf | |
der anderen Seite haben sich manche „Hofmohren“ trotzdem in die damalige | |
Gesellschaft ganz normal integriert. Sie heirateten deutsche Frauen, | |
zeugten mit ihnen Kinder, ohne dass man Aspekte der Marginalisierung oder | |
Stigmatisierung in ihren Lebenswegen erkennt. Manche wurden genau wie | |
Einheimische behandelt, wenn sie zum Gesinde des Adels gehörten, etwa beim | |
Lohn. Nur konnten sie nicht frei sein, und auch heiraten durften sie nur, | |
wenn ihr „Gönner“ es erlaubte. | |
Und Amo? | |
Was seinen Einfluss anbelangt: Ich glaube, der war nicht so prägnant. Amo | |
galt ja an der Universität in Halle (Saale) als einer der besten Schüler | |
des Frühaufklärers Christian Wolff und er war in die akademischen | |
Diskussionen um dessen Philosophie einbezogen. Aber wenn Kant sich auf | |
Wolffs Philosophie bezieht, versäumt er es, Amo zu erwähnen – und nennt | |
stattdessen einen anderen, zweitrangigen Schüler. Daran sieht man: Die | |
Vorurteile, die damals schon tief verankert waren, haben bewirkt, dass | |
dunkelhäutige Akteure übersehen wurden. Das ist überhaupt ein Zeichen der | |
hegemonialen Haltung der europäischen Kulturgeschichte: Man neigt sehr | |
dazu, die außereuropäischen Einflüsse auf die europäische Kultur zu | |
übersehen. | |
Aber vielleicht kannte Kant Amo nicht? | |
Er muss seine Schriften gekannt haben. Das ist so, als ob Sie über | |
Psychoanalyse schreiben und weder Freud noch Jung erwähnen. Sie können das | |
schon machen, aber dann müssen Sie begründen, warum sie sich nicht auf die | |
Personen berufen, die am bekanntesten für eine Position stehen. | |
Kant hat also Amo auffällig übersehen? | |
Ja, ich finde das jedenfalls auffällig. Der Mythos von „den Schwarzen“, der | |
in dieser Zeit entstand, besagte ja, dass sie „Sklavennaturen“ seien und | |
nicht imstande, rational zu denken. Das war natürlich eine Rechtfertigung | |
für das Plantagensystem, das auf [2][Sklavenarbeit beruhte und damals das | |
normale ökonomische System war]. Es war das Anliegen vieler Politiker und | |
Philosophen, die negativen Vorurteile über die Schwarzen zu bejahen, weil | |
das konstitutiv für ihr Wirtschaftssystem war. Dieses System wollten sie | |
auf keinen Fall in Frage stellen – allem Gerede über universelle | |
Menschenrechte zum Trotz. | |
Weil man selber davon profitierte und der europäische Aufstieg und | |
Wohlstand davon abhing? | |
Genau. Zum Beispiel ist Kant laut meiner Recherchen reich geworden, weil er | |
sein Geld in Zuckergeschäften investiert hat – und Zucker war damals reine | |
Plantagen- und damit Sklavenwirtschaft. Genauso Voltaire in Frankreich, der | |
hatte sein Geld in Schiffsexpeditionen gesteckt. Wie Einstein sagte: „Die | |
Wissenschaft ist eine wunderbare Sache, wenn man nicht seinen | |
Lebensunterhalt damit verdienen muss.“ (lacht) | |
Zurück ins Heute: Es ist ja hier sehr umstritten, überhaupt noch „Mohr“ zu | |
sagen. Die Mohrenstraße in Berlin-Mitte etwa soll umbenannt werden in | |
[3][Anton-Wilhelm-Amo-Straße]. Benutzen Sie den Begriff? | |
Begriffsgeschichtlich kommt „Mohr“ ja von der Iberischen Halbinsel. Als die | |
Araber dort herrschten, hatten sie Schwarze Sklaven mitgebracht, die in | |
Spanien Fuß fassten und zuerst „Mauren“ genannt wurden. Das Problem heute | |
ist, dass der Begriff eine Bedeutung bekommen hat, die mit diesem Ursprung | |
nichts mehr zu tun hat, sondern mit einem Wahrnehmungsspektrum, das eine | |
Reihe von negativen, diskriminierenden Elementen zusammenschließt. Die | |
Verwendung des Begriffs ist also problematisch, weil an ihm kulturelle und | |
psycholinguistische Lasten hängen. In meinen Vorträgen versuche ich daher, | |
darauf zu verzichten. Oder ich sage wenigstens vorher, dass ich ihn | |
problematisch finde. | |
Helfen Straßenumbenennungen, um hierfür ein Bewusstsein zu schaffen und | |
gegen den mit solchen Worten verbundenen Rassismus anzugehen? | |
Ich glaube, mit den Straßenumbenennungen greifen wir nur die symbolische | |
Dimension des Problems auf. Wenn wir die Frage des Rassismus behandeln | |
möchten, ist das ein Punkt von vielen. | |
Was wäre wichtiger? | |
Wichtig ist, dass man versucht, das ganze Narrativ zu dekonstruieren, das | |
hier auf der Grundlage von Diskriminierungen produziert wurde sowie auf der | |
Grundlage der europäischen Epistemologie, Ethnologie, Anthropologie und | |
Kolonialgeschichte. Dieses Narrativ, das in der kollektiven Mentalität | |
Europas, in den Schulbüchern musealisiert wird. Dieses ganze Narrativ muss | |
umgestaltet werden. | |
Sie meinen die Rede vom „aufgeklärten Europa“, vom „rückständigen Afri… | |
Das sind nur zwei Pfeiler dieses Narrativs. Grundsätzlich besteht das | |
Narrativ darauf, dass die Weißen eine überlegene Position haben und die | |
Schwarzen in der „Klassifizierung der Menschenrassen weit unten liegen“ – | |
ich zitiere hier Kant und Hegel. Aus dieser Einstufung sind narrative | |
Betrachtungen hervorgegangen, die systematisch die Schwarzen Leute zur | |
„Rückständigkeit“ verdammen. | |
Denn man geht davon aus, dass die „Andersheit“ der Schwarzen nicht nur | |
physisch ist, sondern einhergeht mit einer negativen Potenz auf der Ebene | |
des Sozialen, Politischen, Künstlerischen. Ich glaube, das ist der größte | |
Fehler der Geschichte. Auf der Grundlage dieser Konstrukte hat man | |
versucht, die ganze Menschheitsgeschichte zu manipulieren. | |
Aber warum? | |
Um die Richtigkeit der Konstrukte aufrechtzuerhalten. Das hat auch mit dem | |
Fall Amo zu tun. Man sagt: Wenn wir anerkennen, dass diese dunkelhäutigen | |
Akteure dieses oder jenes geleistet haben, dann haben wir ein Problem mit | |
unserem Postulat der Unterlegenheit der Schwarzen. Also versucht man | |
bestimmte Aspekte der Geschichte zu vertuschen. Man hält zum Beispiel Amo | |
klein. | |
Aber wie können wir dieses rassistische Narrativ dekonstruieren? Wenn | |
Straßenumbenennungen nur symbolisch sind, sind die Restitutionen von Kunst | |
und Kulturgütern für Sie wohl auch nur Symbolpolitik? | |
Ja. Ich bin verblüfft, wie obsessiv manche das Thema Restitution verfolgen. | |
Es hat überhaupt keinen Sinn, dass ich geplünderte Objekte restitutiere, | |
auf deren Basis ich Rassen diskriminierende Aussagen gebildet habe, wenn | |
ich nicht zugleich etwas gegen diese diskriminierenden Aussagen mache. Denn | |
was habe ich dann gemacht? Die Objekte gehen, aber das Narrativ besteht | |
weiter. | |
Was also tun? | |
Ich denke, das Problem liegt tiefer. Auch die Weißen, die Europäer sind | |
Opfer der Rassen diskriminierenden Ideen, die damals entwickelt und | |
legitimiert wurden. Opfer in dem Sinne, als sie sich immer selbst | |
hinterfragen müssen, ob sie rassistische Verhaltensweisen entwickeln, | |
bewusst oder unbewusst. | |
Weil man als Weißer zwangsläufig rassistische Vorurteile hat? | |
Ja, das ist ein Problem. Viele Kollegen oder Bekannte müssen sorgfältig | |
verfahren, wenn sie uns Afrikanern oder Asiaten oder Araber entgegentreten | |
– aus Angst, dass sie rassistische Verhaltensweise reproduzieren. | |
Müssen wir hier anfangen, mit der eigenen Dekolonisierung? | |
Ja, genau. Und ich finde, dass das in Deutschland schon ganz gut gemacht | |
wird – hier ist man viel weiter als in Frankreich. Da werden zum Beispiel | |
noch ganz unreflektiert bestimmte Begriffe gebraucht. | |
Wie zum Beispiel? | |
Zum Beispiel sagt man dort immer noch „afrique noire“ – „Schwarzafrika�… | |
Ein Begriff, der hierzulande eigentlich nicht mehr verwendet wird. | |
Wie steht es um Sie persönlich: Was für Erfahrungen mit Rassismus haben Sie | |
gemacht, möchten Sie davon erzählen? | |
Ich kann gerne darüber reden. Das Problem hat für mich zwei Dimensionen. | |
Ich weiß ja aus früheren Erfahrungen, dass die deutsche Gesellschaft | |
rassistisch ist – also erwarte ich in bestimmten Kontexten geradezu, dass | |
eine Person mich herabsetzend behandelt. | |
Sie warten drauf, dass etwas Rassistisches passiert? | |
Ja, ich habe auch so meine Vorurteile. Das meine ich mit: beide Seiten sind | |
Opfer. Glücklicherweise werden meine Erwartungen dann oft enttäuscht. Aber | |
es gibt Erlebnisse von Rassismus, die sehr prägend sind – zum Beispiel das | |
„veraffen“. Das ist weit verbreitet: Junge Leute, auch Kinder, manchmal | |
auch Erwachsene, strecken die Zunge raus, wenn sie dich sehen, um damit | |
„Affe“ zu sagen. | |
Das passiert oft? | |
In Berlin nicht so oft, aber in Thüringen schon. Was es auch gibt, dass | |
einen Leute einfach ignorieren. Ist mir im Supermarkt zwei Mal passiert: | |
Der Kassierer hat meine Sachen durchgezogen und wartet, dass ich ihm Geld | |
gebe – aber er sagt nichts und guckt mich einfach nicht an. Es ist mir auch | |
schon passiert, dass mich Leute als „N*“ anbrüllen. Das war nicht in | |
Berlin, hier ist es inzwischen besser geworden, was Rassismus angeht. | |
Was sind Ihre Pläne? | |
Ich sehe mich nicht dauerhaft hier leben. Ich möchte eine Position haben | |
als Akademiker zwischen zwei Welten – sodass ich Deutschland von einer | |
Außenperspektive beobachten kann, ab und zu hierherkomme, um zu forschen | |
und zu lehren, aber sonst in Afrika lebe. Das ist auch eine ethische Frage: | |
Akademiker aus Afrika, die die Kompetenz und Möglichkeit haben, durch | |
didaktische oder akademische Interaktionen zu Hause etwas zu bewegen, | |
sollten das tun. Wo kommen wir hin, wenn sich alle in Europa niederlassen? | |
Auch für meine Nachkommen ist es besser. Sie sollen später selbst | |
entscheiden können, ob sie in Afrika bleiben oder woanders neu anfangen | |
wollen. | |
8 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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