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# taz.de -- Musiker über kulturelle Aneignung: „Da kommt was auf einen zuger…
> Tom Fronza spielt Didgeridoo. Linke werfen ihm deswegen kulturelle
> Aneignung vor. Jetzt fühlt er sich von Rechten instrumentalisiert.
Bild: Das Instrument der anderen: Tom Fronza wurde kulturelle Aneignung vorgewo…
wochentaz: Tom Fronza, wie war es, zum ersten Mal in ein Didgeridoo zu
blasen?
Tom Fronza: Das hat sich gut angefühlt. Es war das Instrument meines
Bruders und ich habe sofort einen Ton herausbekommen, aber auch gedacht:
Okay, viel mehr geht darauf jetzt auch nicht. Dann lag es erst mal in der
Ecke und ich habe es herausgeholt, wenn ich mal jemanden beeindrucken
wollte. Ich hatte damals in einer Trip-Hop-Band gespielt, aber das
Didgeridoo habe ich anfangs eher stiefmütterlich behandelt. Ich habe schon
Bass gespielt, als es dazukam.
In den 90ern hatten nicht wenige ein Didgeridoo. Gefühlt auf jeder
Parkwiese hat jemand eines gespielt. Einige Bands hatten eines, weil es so
ungewöhnlich klang und gut zu Tanzmusik passte. War der erste Kontakt mit
dem Instrument also ganz naiv?
Total. Früher habe ich mich dafür ein bisschen geschämt, dass meine
Beweggründe im Leben und in der Musik immer so naiv sind. Aber wenn man
Biografien von einflussreichen Künstlern und Musikern liest, findet man
genau das. Es ist also eine gerechtfertigte Herangehensweise. Technik kann
man studieren, Kreativität nicht. Das muss aus einem selbst herauskommen.
Da gibt es auch eine Verquickung mit meiner spirituellen Praxis.
Mit welcher spirituellen Praxis?
Ich war zweieinhalb Jahre in einem Zen-Dojo, unter spiritueller Leitung
eines Zen-Mönchs. Ich hatte schon ein paar Jahre zuvor die Inspiration,
mich mit dem Dharma auseinanderzusetzen, also mit dem Kern des Buddhismus.
Buddhismus kann ja auch ein Glaube an eine Gottheit sein, aber der Dharma
hat eher die Vernichtung des spirituellen Materialismus im Mittelpunkt,
also die reine Praxis, Meditation: All das, was zu weniger Leid im Leben
führt, kommt aus einem selbst, nicht von außen. Ich habe dann eine ganz
plakative Indienreise gemacht und dachte, wenn ich zurückkomme, bin ich
erleuchtet.
Und, hat das geklappt?
Ich war eher total verdrogt, als ich zurückkam. Aber ich habe dann quasi
vor meiner Haustür jemanden gefunden, der diese Meditationspraxis
vermitteln kann. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt so viel Vertrauen zu ihm,
dass er quasi richtungsweisend in mein Leben eingreifen konnte. Und er hat
mir gesagt: Mach das, nimm dieses Instrument! Setz dich auf die Straße und
verdiene damit dein Geld. Damals konnte ich die Zirkuläratmung noch gar
nicht …
… eine Blastechnik, die einen kontinuierlichen Luftstrom aus dem Mund auch
während des Einatmens möglich macht.
Ja. Das Didgeridoo ist also an mich herangetragen worden und es hat mich zu
dem Zeitpunkt spirituell erschlagen. Ich hatte keine Freundin und keine
Wohnung mehr, ich habe teilweise im Wohnmobil oder im Bus gelebt und habe
in allen Städten [1][Deutschlands Straßenmusik gemacht]. Ich habe jeden Tag
stundenlang gespielt und habe mir dann auch die Zirkuläratmung beigebracht.
Anderthalb Jahre später habe ich meine erste Platte aufgenommen und wurde
als Studiomusiker gebucht. Der Umstand, dass es ein außergewöhnliches
Instrument war, hat natürlich geholfen.
Was wussten Sie damals übers Didgeridoo?
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt selbst noch keine Verbindung mit Aboriginals,
nur zu Menschen, die Verbindung zu australischen Ureinwohnern haben. Ich
habe schnell gemerkt, dass auch die teilweise bevormunden: Das darf man
darauf spielen und das nicht! Ich habe schon gesehen, dass es sehr
ambivalent belegt ist und habe gedacht: Ich halte mich da lieber raus und
bin zeitgenössisch und entwickele meine eigenen Spieltechniken. So habe ich
eigentlich eine Hassliebe zu meinem Instrument entwickelt. Das ist ja nicht
selten bei Musikern, die mit ihrem Instrument auch noch etwas bewirken
wollen. Mit 26 will man noch irgendwohin und hat eine Idee von Karriere und
dem Weg, der vor einem liegt, vielleicht auch eine ganz naive Vorstellung.
Ihr Weg war aber erst mal die Straße?
Ich habe schnell Musiker gefunden, mit denen ich auf der Straße spielen
kann, und wir haben dann auch weltweit Touren gemacht. Ich habe Klaus den
Geiger kennengelernt – mit dem spiele ich nun seit 25 Jahren in einer Band
und darüber bin ich sehr glücklich. Ich habe dann über die Straßenmusik
immer mehr zur Bühne gefunden und habe damit immer mehr meinen
musikalischen Lebensweg und meinen Berufsweg bestritten.
Sie spielen Didgeridoo seit [2][über 25 Jahren professionell]. Was treibt
Sie an?
Die Leidenschaft ist die Musik. Sie ist wirklich mein fliegender Teppich.
Das hört man ja von vielen Künstlern: Ohne Musik wäre ich schon nicht mehr!
Das ist bei mir tatsächlich so. Die zentralen Themen, um die mein Leben
kreist, sind die Musik, die Sitzmeditation und Familie. Das gibt mir ein
Zentrum, von dem aus ich agieren und schauen kann: Wie weit kann ich gehen?
Wo wird es zu extrem? Wo bleibe ich ausreichend bei mir? Ich lote aus, wie
mein Leben funktionieren kann. Ich bin übrigens kein Esoteriker, ich würde
mich als spirituellen Zyniker bezeichnen. In dieser Perspektive ist dann
auch Politik eine Kunstform. Deswegen bin ich politisch aktiv, ich war
[3][zum Beispiel in Lützerath], um Präsenz zu zeigen und zu sagen, dass es
so nicht weitergehen kann.
Politisch aktiv heißt also: links?
Grundsätzlich halte ich mich in einem linken Umfeld auf, aber ich bin auch
immer wieder mal in linken Kreisen mit Leuten aneinandergeraten. Ich bin
zum Beispiel Delegierter der Gema gewesen und halte das für eine wichtige
Einrichtung. Da bin ich mit linken Kollegen aneinandergeraten: Die haben
den ganzen Kühlschrank voller Beck’s-Bier, das sie verkaufen, und kein
Problem damit, internationalen Konzernen Geld zu geben, aber sie haben ein
Problem damit, mich als Urheber für meine Arbeit an dem Abend zu bezahlen.
Nun kommt aus diesem Spektrum, mit dem Sie sich kulturell und politisch in
vielem einig sind, der Vorwurf, es sei „kulturelle Aneignung“, wenn Sie als
weißer Mann ein Didgeridoo spielen. Eine Veranstaltungsgruppe hat ein
Konzert in Kiel deswegen abgesagt. Das haben Sie auf Facebook öffentlich
gemacht und den Vorwurf zurückgewiesen. Was ist da passiert?
Ich habe 2019 noch im [4][Fahrrad-Kino-Kombinat] gespielt und habe immer
noch Kontakt zu einigen Leuten vom FKK, das mein Konzert abgesagt hat. Aber
die stehen unter Druck und gehen dort unter. Ich glaube, dass sich während
der Pandemie dort etwas radikalisiert hat und Leute den Diskurs gekapert
haben. Ich glaube, sie haben dort ein internes, strukturelles Problem und
ein Kommunikationsproblem untereinander und augenscheinlich auch nach
außen. Anfragen von Zeitungen haben sie auch nicht beantwortet.
Sie haben von der Absage des Konzerts erst erfahren, als Sie die
Veranstaltung auf Facebook verlinken wollten und sie nicht mehr gefunden
haben?
Genau. Aber ich möchte noch mal betonen, dass es nicht per se ein
politisches Problem ist. Ich ramme meine Hacken in die Erde, wenn jemand
versucht, mir meinen Beruf streitig zu machen, wie bei der Straßenmusik das
Ordnungsamt oder in dieser Geschichte mit dem Urheberrecht. Weil ich denke,
dass man die Kunstfreiheit verteidigen muss, da hängen auch Rechte wie der
Urheberschutz dran. Aber wenn mir das passiert, dann sehe ich auch nicht
das Abendland untergehen.
Sie spielen darauf an, dass die Boulevardpresse und Dieter Nuhr die
Geschichte dann aufgegriffen haben, um gegen eine angebliche woke
Verbotskultur Stimmung zu machen? Ein AfD-Politiker hat Ihnen sogar einen
Brief geschrieben und Ihnen viel Erfolg gewünscht, und Sie haben in Ihrer
Antwort der AfD daraufhin möglichst wenig Erfolg gewünscht.
Ja, es geht nicht darum, dass einige Linke vermeintlich genauso schlimm
sind wie die Nazis. Ich sehe das Problem eher in der Kommunikation und im
Ungebildetsein. Selbst wenn es keine politische Motivation gegeben hätte,
das Konzert zu canceln: Wenn man mit mir so umgesprungen wäre, hätte ich
mich nach einer Frist an die Öffentlichkeit gewandt, um den Leuten zu
sagen: Hey, bei dem Club braucht ihr nicht mehr anzufragen, die sind nicht
professionell, die verbocken das, die haben mich hängen lassen. Geht da
nicht mehr hin und spielt da nicht mehr.
Empört hat Sie also der Umgang mit Ihnen als Person? Fühlen Sie sich
missverstanden?
Ja, natürlich. Es ist das erste Mal, dass mir das so auf diese Weise
passiert ist. Im ersten Moment und vor allem, als ich gemerkt habe, dass
die überhaupt nicht mit mir sprechen wollen, war ich persönlich angefasst.
Weil ich mich da ohne Kommunikation als jemand porträtiert fühle, der sich
einfach an einer anderen Kultur ein bisschen bereichern will, und das so
scheuklappenmäßig und engstirnig, dass das nach einer Richtigstellung
geschrien hat. Ich konnte das ja mit zwei, drei Sätzen auch entkräften. Das
war bestenfalls gut gemeint von denen, aber schlecht gemacht.
Mittlerweile hat auch das Konzertkollektiv noch ein Statement zu der Absage
verfasst und die Vorwürfe von sich gewiesen.
Das FKK hat sich nach vielen Wochen des Schweigens doch noch bequemt,
seinerseits ein Statement abzugeben. Das soll eine Entschuldigung sein,
strotzt aber nur so vor Unaufrichtigkeiten, Widersprüchen und Anschuldigen.
Es wird dort zum Beispiel behauptet, es hätte nie eine gültige Abmachung
zwischen uns gegeben und kulturelle Aneignung sei nie der Grund einer
Absage gewesen. Das lasse ich natürlich so nicht stehen, denn ich habe eine
schriftliche Abmachung mit meiner Kontaktperson gehabt. In einer
persönlichen Mail an mich versuchte das FKK dann wieder zurückzurudern und
schwächte ab: Kulturelle Aneignung sei nur der mir durch meine
Kontaktperson vermittelte Grund zur Absage gewesen. Dabei hat das FKK schon
eine belegbare Historie solcher Vorfälle und auch meine Anfrage, einen
Ersatztermin für das Konzert abzumachen, wurde mir mit der Begründung
„kulturelle Aneignung“ abgeschlagen. Zudem wurde mir – unbelegt –
rassistische Sprache vorgeworfen und mir eine Mitverantwortung für den
entgleisten Diskurs in der Gesellschaft gegeben.
Gegen eine Diskussion über kulturelle Aneignung haben Sie selbst gar
nichts, schreiben Sie.
Es ist richtig, dass der Diskurs über kulturelle Aneignung und koloniales
Erbe geführt werden muss. Aber das war sehr ungebildet und sehr
unkommunikativ. Sie hatten wahrscheinlich diese Scheuklappen: Ich bin ein
weißer Cis-Mann, selbst wenn ich recht habe, kann ich nicht recht haben.
Selbst wenn ich Wissen habe, das sie nicht haben – das ich direkt von den
Leuten habe, die die eigentlichen Betroffenen wären und befugt sind –, dann
habe ich nicht das Recht, denen das zu vermitteln.
Ist es denn kulturelle Aneignung, wenn das Didgeridoo außerhalb ritueller
Kontexte gespielt wird?
Die Begrifflichkeit Didgeridoo in ihren unterschiedlichen Schreibweisen ist
wohl eine onomatopoetische Wortschöpfung des nicht unumstrittenen
Anthropologen Herbert Basedow. In den verschiedenen australischen
Kulturräumen, in denen das Instrument eine uralte Tradition hat, wird es je
nach Sprache, Form und kultureller Funktion anders benannt und bezeichnet.
Diese Instrumente unterliegen, genau wie gewisse musikalische Abfolgen und
Rhythmen in den Zeremonien, im Stammeskontext einem strikten und komplexen
Regelwerk. Außerhalb dieses eng gesteckten Kontextes haben die im
jeweiligen Kulturkreis für die Instrumente verantwortlichen
Persönlichkeiten nie ein Problem damit gehabt, dass zum Beispiel
Nichtaboriginals oder Frauen so ein Instrument spielen. Ganz im Gegenteil
unterrichten viele großartige Spieler der Yolngu das Instrument sogar den
sogenannten Balandas, also weißen Menschen. Das zeitgenössische, also
nichttraditionelle Spiel der Weißen mit ihren musikalischen Eigenkreationen
wird deshalb von ihnen auch augenzwinkernd als „Balanda-Didge“ bezeichnet.
Die frühesten bekannten Hinweise auf ein solches Aerophon sind aber bis zu
3.500 Jahre alte Felszeichnungen, oder?
Es gibt Bereiche in Australien, in denen dieses Instrument eine viele
Jahrtausende alte Kultur hat. Dort gibt es ein Sozialsystem untereinander,
das extrem kompliziert ist. Ich kann zum Beispiel die Verwaltung eines
Traums besetzen …
… Träume, Traumpfade, die Traumzeit: Diese Begriffe meinen nicht dasselbe
wie Träume im Schlaf. Aboriginals bezeichnen mit ihnen die spirituelle,
natürliche und moralische Ordnung des Kosmos.
Es ist Wissen: Wissen über etwas, über ein Instrument oder ein kulturelles
oder landschaftliches Merkmal wie die Songlines oder Traumpfade. Darüber
hat zum Beispiel eine Person die Verwaltung. Und jemand anderes entscheidet
zusammen mit dem Verwalter, wer es nutzen kann. Und dann gibt es eben
jemanden, der es nutzen darf. Selbst für viele in der Yolngu-Community und
auch für die Frauen dort ist das Instrument, wenn sie sich der
traditionellen Lebensweise verschrieben haben, tabu.
Ich habe gelesen, dass Frauen bestimmte Instrumente doch spielen dürfen?
Es gibt so etwas Ähnliches wie ein Didgeridoo. Da reden wir jetzt über den
Dachbegriff. Bei den Yolngu wird es Yiḏaki, Gunbork oder Gunbarrak Garra
genannt. Ein Yiḏaki hat durch die Herkunft eine ganz besondere Form und
Bemalung. Durch die Form ist auch die Spielweise eine ganz andere als bei
eher zylindrischen Instrumenten. Für Frauen gibt es spezielle Instrumente,
die eigentlich keine Didgeridoos sind. Aber das sind alles Tabus und
Regeln innerhalb dieses Lebenskreises. Außerhalb davon weiß ich zumindest
von denen, die dazu befugt sind, den Verwaltern dieser Umstände. D. G. etwa
…
… eine Abkürzung für den Namen eines Didgeridoo-Spielers, -Machers und
spirituellen Hüters des Yiḏ aki. Verstorbene Aboriginals sollen nicht mit
Namen erwähnt werden …
… der vor zwei Jahren gestorben ist und den ich persönlich getroffen habe,
hat das Instrument allen vermittelt, auch Frauen: Spielweisen,
traditionelle Techniken, nicht aber Songs oder traditionelle Riten. Die
dürfen nur initiierte Männer spielen.
Wie ist es außerhalb dieser Lebenswelt?
Außerhalb dieses Kontextes haben zumindest die Verantwortlichen aus dem
Norden alle kein Problem damit. Auch andere nicht und ich kenne recht viele
Aboriginals aus verschiedenen Stämmen. Die ärgern sich zwar darüber, dass
Spieler der Aboriginals nicht häufiger nach Deutschland eingeladen werden,
das ist eine finanzielle Frage. Aber grundsätzlich haben sie nichts
dagegen, dass wir ein Instrument spielen, das nicht traditionell oder im
Stammeskontext eingesetzt wird. Ein Aboriginal, der in Holland gelebt hat,
hat mal zu mir gesagt: Ein Holländer kann einem Deutschen auch nicht
verbieten, schneller als 100 zu fahren, nur weil es in Holland ein
Tempolimit gibt.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie nach Australien gegangen sind, um mehr
über Ihr Instrument herauszufinden?
Ich habe Didgeridoo sechs, sieben Jahre autodidaktisch gespielt. Ich habe
mit einer irisch-australischen Band gespielt, Laliya. Die haben mich immer
wieder nach Australien eingeladen. 2003 wurde ich dann auf ein großes
Festival in Kalifornien eingeladen. Dort habe ich die Familie
kennengelernt, zu der D. G. gehört. Mit ihm hatte ich einen zwar nur
kurzen, aber engen Kontakt. Mein weißer Didgeridoo-Bauer Eddy Halat ist im
Stamm initiiert und adoptiert worden. Obwohl ich also eigentlich gar nicht
vornehmlich ein Interesse an der australischen Kultur hatte, sondern an der
Musik, lässt es sich gar nicht vermeiden, dass das Wissen zu einem kommt.
Ich habe das nicht studiert, sondern durch den Austausch mit anderen
Spielern und mit Leuten gelernt, die sich um die Kultur Gedanken gemacht
haben.
Später haben Sie selbst in Australien Didgeridoo-Spielen gelehrt?
Ich habe erst Workshops gegeben im weltweit größten Didgeridoo-Laden in
Perth. Die Besitzer hatte ich auch in Kalifornien kennengelernt, weil die
Band Laliya aus derselben Stadt kam. Ich habe dann knapp anderthalb Jahre
in Fremantle City gelebt und in diesem Didgeridoo Store unterrichtet.
Darüber bin ich mit dem Ministerium für multikulturelle Angelegenheiten in
Kontakt gekommen, die wiederum Touren im Wheatbelt und im Outback gemacht
haben zu sogenannten Remote Communities, die sehr weit draußen liegen und
zu denen nur Schotterstraßen führen. An diesen Schulen habe ich den Kindern
Spieltechniken vermittelt, also überhaupt erst mal die Grundtechnik, im
Rahmen dieser Tour für das Ministerium.
Das Ministerium hatte kein Problem damit, dass ein Deutscher den Kindern
Didgeridoo beibringt?
Dieses Ministerium ist als regionales besetzt mit Ureinwohnern aus der
Region und ist als Ministerium für multikulturelle Angelegenheiten
natürlich auch multikulturell besetzt. Da hätte es ja zu auch einem
Aufschrei kommen müssen, weil ich das unterrichte. Aber das gab es nicht.
Gab es denn vor der Kieler Konzertabsage den Vorwurf, dass Sie kulturelle
Aneignung betreiben?
Ich kann mich nur daran erinnern, dass es ein-, zweimal beim
Straßenmusikmachen dazu kam. Da hieß es: Du darfst das ja gar nicht. Das
ist ein Halbwissen und die Leute lassen sich auch mit guten Argumenten
nicht davon abbringen. Nach einem Jazzfestival, auf dem wir gespielt haben,
wurde ich mal gefragt, was ich denn von dem Vorwurf der kulturellen
Aneignung halte.
Kein Vorwurf also, sondern eine Frage?
Ja, und diese Fragen sind auch berechtigt. Trotzdem ist es so, dass man
merkt: Hey, da kommt was auf einen zugerollt und das ist nicht angenehm,
und man muss nach einem Auftritt, wo man sich gerade mit Leuten darüber
unterhält, wie schön das Konzert war, Politik machen. Das ist nie angenehm.
Dass es Grenzen geben soll, wer ein Instrument auf welche Weise wo spielen
darf: Ist das eine Beleidigung für einen Musiker?
Es ist mehr als eine Beleidigung, weil es impliziert, dass es ein ganz
objektives Verbot gibt. Und objektive Verbote haben den Anspruch, ein
Gesetz zu sein. Da ist man wieder bei der Kunstfreiheit, Artikel 5 des
Grundgesetzes …
… Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei, es findet keine
Zensur statt.
Das kommt damit in Konflikt. Es ist mir freigestellt, das zu tun. Aber es
gibt Leute, die der Meinung sind, das könnte durch ihre eigene Sichtweise
überschrieben und sollte eingeschränkt werden. Einige brauchen offenbar
Richtlinien, an denen sie sich ganz, ganz eng entlanghangeln, und alles
außerhalb davon wird als Bedrohung wahrgenommen. Wenn man das mal loslässt,
diese Richtlinie, fällt man in die große, weite Welt der Differenzierung
und millionenfacher Perspektiven. Das ist es, was man als Künstler tut,
ohne Netz und doppelten Boden, im besten Falle.
8 Nov 2023
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[1] /Saison-fuer-Strassenmusik-beginnt/!5589276
[2] https://umlaut.de/#about
[3] /Leben-in-Anarchie/!5964817
[4] https://fahrradkinokombinat.de/
## AUTOREN
Robert Matthies
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