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# taz.de -- Stefanie Wagner über Menstruation: „Mehr übers Frausein spreche…
> Der weltweit erste Menstruationsladen ist in Ansbach. Stefanie Wagner –
> für die Periode selbst lange ein schambehaftetes Thema war – hat ihn
> eröffnet.
Bild: „Viele haben gesagt, du kannst den Laden nicht so nennen …“: Stef…
wochentaz: Frau Wagner, vor rund vier Jahren haben Sie den weltweit ersten
Menstruationsladen eröffnet. Wieso gerade in Ansbach?
Stefanie Wagner: Gute Frage. (lacht) Ich habe mir damals oft überlegt, soll
ich das jetzt wirklich hier machen oder nicht doch lieber in einer
Großstadt wie München oder Berlin? Aber da ich selbst in Ansbach geboren
bin und hier einen passenden Laden gefunden habe, ging ich das Risiko ein.
Haben sich damals eigentlich bei der Eröffnung die Medien darauf gestürzt?
Schließlich war der Laden doch einzigartig.
Nein, gar nicht. (lacht) Zumindest erst mal nicht. Die Eröffnung war im
Juni 2019, der erste Bericht kam im Januar. Daraufhin folgten dann einige
Beiträge in Fernsehen und Zeitungen. Die örtliche Zeitung der Stadt war
vergangenes Jahr persönlich zum ersten Mal da. Nach vier Jahren!
Wie darf man sich die Kund*innen, die in Ihren Laden kommen, vorstellen?
Es kommt häufig vor, dass sich Mütter von mir beraten lassen. Sie wollen
gut vorbereitet sein, wenn ihre Töchter zum ersten Mal ihre Monatsblutung
bekommen. Auf junge Mädchen kommt mit Beginn der Pubertät und Periode viel
Neues zu. Da ist es besser, sich schon vorher mit Binden vertraut zu
machen. Aber auch Paare besuchen meinen Laden und natürlich Frauen selbst.
Genauso kommen auch Frauen jenseits der Blutungszeit und kaufen
Slipeinlagen für jeden Tag oder eine schwache Blase. Mal schleppt die
Tochter die Mutter rein und mal schleppt die Mutter die Tochter in den
Laden.
Mit welchen Problemen und Bedürfnissen kommen die Kund*innen?
Ein Problem, das ich häufig beobachte: Viele Frauen haben keine
Vorstellung, welche Blutung normal ist. Und dass Schmerzen eben nicht
normal sind. Die Periode ist für jeden sehr individuell.
Auch das Angebot Ihres Ladens ist sehr individuell. Was gibt es neben
Binden noch?
Neben Stoffbinden und Periodenunterwäsche verkaufe ich auch silikonfreie
sowie herkömmliche Kondome, ätherische Öle und Menstruationstassen. Gerade
bei Kondomen finde ich es wichtig, dass sie auch silikonfrei angeboten
werden. Ich meine, selbst bei Haarshampoos achtet man heutzutage darauf,
dass sie silikonfrei sind, aber bei Kondomen nicht? Ich verkaufe in meinem
Laden zudem Bücher über den weiblichen Zyklus. Zur Aufklärung von Kindern
habe ich das Buch „Mut zum Blut“.
Was kosten die Binden in Ihrem Geschäft?
Eine Binde kostet zwischen 13,90 und 22,90 Euro. Das klingt erst mal nach
viel, aber Tampons und Plastikbinden kosten aufs Leben hochgerechnet
deutlich mehr. Stammkunden habe ich aus einem einfachen Grund keine: Wer
einmal ausgestattet ist, braucht für längere Zeit nichts mehr. Die Binden
können bis zu zehn Jahre halten.
Was verkauft sich am besten?
Ganz klar: Stoffbinden und Periodenunterwäsche. Menstruationstassen
hingegen verkaufen sich kaum.
Woran könnte das liegen?
Ich glaube, dass viele Frauen gar keine eingeführten Produkte möchten. Dass
Tampons so beliebt sind, ist meiner Meinung nach ein Stück weit durch die
Werbung geprägt. Die Realität sieht dann doch anders aus. Hier in meinem
Laden kommen viele Frauen zu mir, die sagen, der Tampon drücke, sie haben
Schmerzen. Da aber niemand darüber redet, wird es einfach ausgehalten. Die
meisten Frauen denken, sie sind mit ihren Problemen allein. Erst wenn eine
sagt, ich habe Schmerzen durch Tampons oder ich blute sehr stark, trauen
sich andere zu sagen: Das habe ich auch. Viele haben Angst, dass es nur
ihnen so gehe, dass sie nicht normal seien. Das Einzige, was hilft, ist
darüber zu reden. Wir müssen endlich anfangen, mehr übers Frausein zu
sprechen.
Aufklärung über die Menstruation scheint Ihnen sehr wichtig zu sein.
Auf jeden Fall. Ich meine: Wir bluten ungefähr sechs Jahre unseres Lebens.
Wieso ist Menstruation immer noch ein Tabu? Die gesellschaftliche Debatte
hat sich in den letzten Jahren zum Glück schon weiterentwickelt. Frauen
wollen sich nicht länger verstecken.
Das klingt so, als hätte Ihr Laden einen Nerv getroffen. Gab es auch
Kritik?
Ich habe zunächst viel positive Resonanz bekommen, aber nicht nur. Kurz
nach Eröffnung gab es einen unschönen Vorfall. Eine Passantin schrie:
„Menstruationsladen? Ich kotz gleich!“ Ich war schockiert. Heute sehe ich
den Vorfall gelassener. Manchmal hätte ich wirklich gerne eine Kamera vor
meinem Laden, die die Reaktionen filmt beim Lesen des Worts
Menstruationsladen. (lacht)
Sind es eher Frauen oder Männer, von denen Sie negative Kommentare
erhalten?
Leider sind es tatsächlich meistens Frauen, gerade in den sozialen Medien.
Das finde ich sehr schade. Männer hingegen sind sehr interessiert und
offen, lassen sich häufig von mir beraten, um ihre Partnerin zu
unterstützen. Es ist immer wieder dasselbe Szenario: Die Frauen trauen sich
nicht so recht und zögern, die Männer bestärken sie darin, sich einfach mal
ein paar Binden zu kaufen.
Was denken Sie, woher diese Ablehnung vonseiten der Frauen denn kommt?
Ich weiß es ehrlich gesagt nicht genau. Wahrscheinlich liegt es ein Stück
weit an der gesellschaftlichen Prägung. Früher gab es viele Gerüchte und
Stigmatisierungen in Bezug auf die Periode. Frauen wurde eingeredet,
Menstruationsblut sei giftig und sie dürften während dieser Zeit nicht
backen, keine Konserven einmachen, nicht baden gehen. Zum Glück sind wir
heute schon ein großes Stück weiter. Aber so ganz ist eine offene Debatte
immer noch nicht möglich.
Woran machen Sie das fest?
Vergangenes Jahr habe ich zum Beispiel am Weltfrauentag einen Vortrag
gehalten. Ich sprach davon, wie man während seiner Tage Blutflecken im Bett
vermeiden könne. Eine ältere Frau rief quer durch den Saal: „Was? Flecken
im Bett? Wie blöd kann man sich denn anstellen?“ Da habe ich gemerkt, dass
es noch ein langer Weg ist, bis wir wirklich offen über die Periode reden
können.
Sie gehen sehr offen mit dem Thema Menstruation um. War das schon immer so?
Nein, ganz und gar nicht. Für mich war die Periode lange Zeit über ein sehr
unangenehmes, schambehaftetes Thema. Es war mir superpeinlich, über
Monatsblutung und Periode zu reden. Ich dachte immer, dass alle Frauen
Tampons tragen und ich die Einzige bin, die Binden trägt. Rückblickend ist
das natürlich Quatsch. Wenn das so wäre, würden sich Binden schließlich
nicht millionenfach verkaufen.
Was hat sich bei Ihnen geändert?
Im Jahr 2010 habe ich meine ersten Stoffbinden selbst genäht. Beim Tragen
dachte ich mir: Wow! Das ist so ein tolles, angenehmes Gefühl in der Hose,
das sollte jede haben. Daher wollte ich die selbst genähten Stoffbinden an
die Frau bringen. Als gelernte Einzelhandelskauffrau habe ich mir das auch
zugetraut. Seit zehn Jahren bin ich nun schon selbstständig mit meinem
eigenen Label, Almo, was für „alternative Monatshygiene“ steht. Zunächst
bin ich mit einem Onlineshop gestartet, war auf vielen Messen unterwegs.
Dann habe ich 2019 endlich meinen eigenen Laden eröffnet.
Die Debatte rund um die Menstruation hat sich in den letzten Jahren stark
verändert, in manchen Städten in Deutschland gibt es [1][nach schottischem
Vorbild] nun Pilotprojekte mit [2][kostenlosen Periodenprodukten in
Schulen] und öffentlichen Einrichtungen – was ist Ihre Meinung dazu?
Kostenlose Menstruationsprodukte finde ich super. Mega wäre, wenn sie auch
noch aus Biobaumwolle ohne Plastik wären. Es gibt auch schon Landkreise,
die Zuschüsse für nachhaltige Periodenartikel bieten. Da läuft nur was
schief, denn wenn „Schrott-Periodenunterwäsche“ bezuschusst wird, die nur
bei 30 Grad waschbar ist, Biozide enthält und nach sechs bis zwölf Monaten
so stinkt, dass man sie wegschmeißen muss, ist die nachhaltige Rechnung
falsch. Da muss ich mich leider sehr aufregen, wenn ich sehe, wie viel Müll
angeboten wird.
Müll?
Ja, ich bekomme jede Woche Angebote aus China, da könnte ich 1.000
Periodenslips für 1.000 Euro kaufen – also ein Periodenslip für einen Euro!
Was soll daran gut sein? Will ich das auf meiner Haut? An meinen
Schleimhäuten? Ich nicht.
Wie hat Ihre Familie darauf reagiert, als Sie von Ihren Plänen erzählt
haben, nachhaltige Menstruationsartikel zu verkaufen?
Die ersten Jahre wussten die nicht, was ich da so mache. In meiner Familie
wurde nicht über Periode oder Hygieneartikel gesprochen. Erst nach etwa
acht Jahren hat mal jemand aus meiner Verwandtschaft eines meiner Produkte
ausprobiert. Die Reaktion: „Ah, die sind ja wirklich voll weich, ich brauch
mehr.“ (lacht) Das hätten sie auch schon früher haben können, aber jeder
braucht seine Zeit. Und früher oder später kommen sie alle.
Wie lief die Gründungsphase Ihres Ladens ab? Haben sie dabei Unterstützung
bekommen?
Ich hatte mich beim Stadtmarketing mit Wirtschaftsförderung vorgestellt und
nach freien Läden gefragt. Die Herren haben mich belächelt. Unterstützung
gab es keine. Ich war dann diejenige, die gelacht hat, als ich fünf Wochen
später genau gegenüber von deren Büro meinen Menstruationsladen eröffnet
habe. Die Gesichter können Sie sich vorstellen.
Gab es auch Anfeindungen?
Zumindest große Diskussionen gab es, als ich den Laden gemietet hatte, am
Einrichten war und der Name „Menstruationsladen“ feststand. Viele haben
gesagt, du kannst den Laden nicht so nennen, nenn ihn Rote Welle,
ErdbeerWoche, Rosenrot …
Hatten Sie selbst auch Zweifel bezüglich des Namens?
Nein, der Name war für mich glasklar. Wir müssen die Sachen beim Namen
nennen. Das Wort Menstruation geht vielen einfach nicht über die Lippen,
ich merke das immer noch. Der einzige Punkt, wo ich mit dem Namen hadere,
ist, dass ich nicht nur Produkte für die Menstruation anbiete, sondern auch
für schwache Blase, sogar für Männer. Aber da finde ich auch noch einen
Weg, das sichtbar zu machen.
2 Feb 2024
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## AUTOREN
Stefanie Unbehauen
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