# taz.de -- Menstruieren und arbeiten: Schlechtes Vorbild | |
> Als Regisseurin setzt unsere Autorin durch, sich wegen | |
> Menstruationsschmerzen krank melden zu können. Sie selbst tut es nicht. | |
> Warum? | |
Bild: Schmerzen, müde, übel – und trotzdem arbeiten | |
Dieser Text sollte hier eigentlich nicht stehen. Ihr solltet diese Zeilen | |
jetzt nicht lesen, denn ihre Existenz ist unfeministisch. Ich hätte sie | |
nicht schreiben sollen. Denn ich menstruiere. Jetzt, gerade in diesem | |
Moment läuft [1][jede Menge Blut] aus mir raus. Eigentlich ist das kein | |
Problem: Es gibt Produkte, mit denen man das Blut auffangen kann. Die sind | |
zwar überteuert, aber ganz praktisch. Mein Problem sind die Schmerzen, die | |
Schwäche und die Müdigkeit. Übel ist mir auch. | |
Hätte ich die taz-Redaktion anrufen und sagen können: „Sorry, bin zu | |
schwach heute, druckt was anderes?“ Ja. Ich bin mir sehr sicher, das hätte | |
ich machen können. Mein Unterleib und ich menstruieren gemeinsam seit 1995. | |
Statistisch gesehen kann das bis 2040 so weitergehen. Bei dem Gedanken | |
zieht sich mir alles zusammen. Obwohl …? Das war wieder nur ein Krampf. | |
Dieser Text entsteht nicht an einem Schreibtisch. Sitzen ist heute | |
unmöglich. Aber wer nicht aufstehen kann, kann immer noch im Bett arbeiten. | |
Ob ich hinter dem letzten Satz stehe? Nein! Auf keinen Fall. Ich | |
distanziere mich von meiner Aussage. | |
„Menstruationsfrei“, das ist eine feministische Forderung, hinter der ich | |
zu hundert Prozent stehe. Sich wegen der Periode unkompliziert und ohne | |
Scham [2][krankmelden zu können] ist etwas, das ich als Regisseurin | |
unbedingt durchsetze. Zu jedem Probenstart mache ich unmissverständlich | |
klar, dass sich bei mir niemand krank zur Probe schleppen muss und dass das | |
selbstverständlich auch für Regelschmerzen gilt. | |
## Krankmelden wegen Regelschmerzen | |
Einige können das besser annehmen als andere. Manchmal bekomme ich eine | |
kurze Nachricht, in der so was steht wie „hab Mens, komm heut nicht“. | |
Manchmal unsichere Anrufe mit langen Erklärungen, wo es genau wehtut und | |
welche Mittel schon probiert wurden und der schnellen Versicherung, ich | |
bräuchte nur ein Wort sagen, dann kämen sie doch zur Probe. Anekdotische | |
Evidenz, aber meine Team-Statistik sagt: Menstruierende in ihren Zwanzigern | |
sagen einfach kurz ab, die Telefonate führe ich mit Leuten um die dreißig. | |
Die in meinem Alter und drüber halten meine Einstiegsworte für eine Falle | |
und gehen davon aus, umgehend rausgeschmissen zu werden, wenn sie „wegen so | |
was“ zu Hause bleiben würden. Ich selbst eingeschlossen – wie diese Kolumne | |
beweist. | |
Ich weiß, ich bin ein beschissenes Vorbild, wenn ich anderen sage, sie | |
sollen Menstruationsbeschwerden ernst nehmen – und ich dann selbst | |
schwitzend mit schmerzverzerrtem Gesicht und grummelndem Bauch in der Probe | |
sitze. Ich verstehe auch nicht, warum ich das mache. Vielleicht weil alles, | |
was mit dem Thema zu tun hat, noch viel tabuisierter war, als ich damals in | |
den 90ern damit angefangen habe: weil der Sportlehrer das immer für eine | |
Ausrede hielt und die Gynäkologin meinte, wer nicht die Pille nimmt, sei | |
selber schuld. | |
Vielleicht bin ich auch nur ein neoliberaler Agenda2010-Ich-AG-geprägter | |
Millennial aus der Generation Praktikum, der immer zur Stelle sein will, | |
weil er Burnout heimlich geil findet. Grundsätzlich ist es eh politisch | |
peinlich, sich über die Vereinbarkeit von Zyklus und Beruf Gedanken zu | |
machen: Man kann auch ohne Menstruationsschmerzen nicht zur Arbeit gehen. | |
Oder? Keine Ahnung: Ich hab meine Tage. Ich bin schlecht gelaunt! | |
Ich sollte hier einfach mit Wärmflasche rumgammeln und Pickel ausdrücken. | |
Aber schlechte Feministin, die ich bin, schicke ich jetzt diese Kolumne ab. | |
20 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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