# taz.de -- Finnischer Kriegsfilm „Sisu“: Ein toter Nazi ist ein guter Nazi | |
> Im Film „Sisu“ erzählt der finnische Regisseur Jalmari Helander eine | |
> blutige Geschichte aus der Zeit des Lapplandkriegs. Der Italowestern | |
> stand Pate. | |
Bild: Allein gegen die Nazis: Aatami Korpi (Jorma Tommila) in „Sisu“ | |
Im Herbst 1944 steht Aatami Korpi (Jorma Tommila) in einem Bach in | |
Lappland. Der ältere Mann mit dem grauen Fusselbart hält eine Metallschale | |
in der Hand, untersucht die Steine vom Grund des Bachs. Über ihm ziehen | |
deutsche Bomber, am Ufer steht sein Pferd, sein Hund bleibt in der Nähe. | |
Als ein kleiner glänzender Stein in der Schale liegt, erfasst ihn | |
Aufregung. Am Tag darauf beginnt er in den Hügeln neben dem Fluss zu | |
graben. In der Ferne donnert Artillerie. Eine Schrifteinblendung in fetten | |
gelben Lettern, deren schwarze Umrisse leicht angezaust sind, verkündet: | |
„Erstes Kapitel – Das Gold“. | |
Die Satteltaschen seines Pferdes voll Gold macht sich Korpi auf aus den | |
Weiten der Landschaft Lapplands. Wenig später stößt er auf eine deutsche | |
Einheit. Wenige Wochen zuvor hat Finnland, bis dahin de facto Verbündeter | |
von Nazideutschland, einen Waffenstillstand mit der Sowjetunion | |
unterzeichnet, der das Land verpflichtet hat, die Deutschen zu vertreiben. | |
Langsam passiert er das Motorrad mit Beiwagen, den Lastwagen mit | |
aufgesessener Infantrie, einen zweiten Lastwagen mit Plane und schließlich | |
den Panzer. | |
Der Kommandant der Einheit sitzt genrefilmgemäß breitbeinig auf der Kanone. | |
Korpi reitet weiter. Eine weitere Einheit hält ihn an, lässt ihn absitzen, | |
entdeckt das Gold. Wenig später sind alle Soldaten der Einheit tot. Die | |
Deutschen haben sich mit dem Falschen angelegt. Jalmari Helanders „Sisu“ | |
erzählt mit deutlichen Anleihen beim Italowestern eine blutige Legende aus | |
der Zeit des Lapplandkriegs. | |
Die Legende ist Korpi selbst. Nach dem Winterkrieg, jenem Krieg, in dem | |
sich Finnland 1939/40 einer Besetzung durch die Sowjetunion erwehrt hat, in | |
dem er Frau und Familie verloren hat, wurde er als Ein-Mann-Todeskommando | |
in den hohen Norden Finnlands geschickt, um sowjetische Soldaten zu töten, | |
die sich über die Grenze wagen. Nun entspinnt sich eine Verfolgungsjagd, in | |
der die Deutschen Korpi sein Gold abnehmen wollen. Korpi erweist sich als | |
zäh, wieder und wieder entkommt er. | |
## Ähnlich wie „Django“ | |
Die Filme zum Zweiten Weltkrieg, die in den letzten Jahrzehnten in Europa | |
entstanden, gehören mehrheitlich zu einer von zwei Gruppen: Entweder ging | |
es in ihnen darum, Kampfgeschehen, die für die eigene Nationalmythologie | |
der Erinnerungskultur wichtig sind, in das rechte Licht zu rücken, oder | |
Biographien individueller Identifikationsfiguren populär aufzubereiten. | |
„Sisu“ tut nichts von beidem. Stattdessen setzt Helander [1][in | |
tarantinoesker Manier auf eine manichäische Erzählung], die der simplen | |
Wahrheit folgt, dass ein toter Nazi ein guter Nazi ist. Die Form für diese | |
Erzählung ist ein Hybrid aus Kriegsfilm und Western. | |
Mitte der 1960er Jahre erfand die italienische Filmindustrie den Western | |
gegen die pathetische Hohlformel neu, zu der er in den USA geworden war. | |
Die Helden wurden abgründiger, die Kämpfe blutiger. | |
Eine der Urszenen, die eine politische Lesart dieser Filme nahelegte, | |
stammt aus Sergio Corbuccis „Django“. Der Protagonist, ein ehemaliger | |
Nordstaatensoldat, trifft in einem Dorf an der mexikanischen Grenze auf | |
einen ehemaligen Südstaatenoffizier, der mit seiner Gruppe von | |
Proto-Faschisten das Dorf terrorisiert. Beim nächsten Besuch der Faschisten | |
im Dorf wartet Django mit einem Maschinengewehr auf sie. | |
Die Tradition des Italowesterns erwies sich als Erfolg, schwappte zurück in | |
die USA und [2][begeistert nicht nur Quentin Tarantino] bis heute. Trotz | |
einiger Versuche, das zu ändern, ist das Genre immer eine Filmgattung | |
geblieben, in der schweigsame Männer es mit der Ungerechtigkeit der Welt | |
aufnehmen. „Sisu“ schickt einen alten Mann mit einem Pferd, einem Hund und | |
einer Hacke in den Kampf gegen die Kampfmaschine des deutschen Militärs. | |
## Perspektivlos mordend in Finnland | |
Für den deutschen Kommandanten, den SS-Offizier Bruno Helldorf (Aksel | |
Hennie), verheißt Korpis Gold eine Zukunft nach dem Krieg. Nachdem er mit | |
seiner Einheit mordend durch die Sowjetunion gezogen ist, ziehen sie nun | |
zunehmend perspektivlos mordend durch Finnland. | |
Im Planwagen transportieren die Soldaten eine Gruppe finnischer Frauen, die | |
der Gewalt der Soldaten ausgesetzt sind. Eine von ihnen erklärt einem | |
deutschen Soldaten später Korpis Beharrlichkeit, die dem Film den Titel | |
gibt. Bei sisu gehe es nicht darum, wer der Stärkere sei, es gehe darum, | |
nicht aufzugeben. Ob sie Korpi für unsterblich halte, erwidert der deutsche | |
Soldat. „Nein, er weigert sich einfach zu sterben.“ | |
Während die Figur Korpi für den Film erfunden wurde, ist sisu als Konzept | |
Teil der finnischen Nationalmythologie. Kaum ein Text über die finnische | |
Verteidigungsstrategie, die im Kalten Krieg gegenüber der Sowjetunion | |
entwickelt wurde und die heute wieder aktuell zu sein scheint, in der der | |
Begriff nicht auftaucht. Jalmari Helanders „Sisu“ lässt sich gleichermaßen | |
als ebenso blutiger wie unterhaltsamer Lapplandkriegswestern sehen wie | |
als Film gewordenes Nationalepos. | |
10 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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