# taz.de -- Kinotipp der Woche: Warten auf ein Happy End | |
> Das Filmfest "Jewcy Movies" zeigt jüdisches Leben quer durch die Genres, | |
> darunter verbotene Liebe jenseits des Kitschs und harte | |
> Familiengeschichten. | |
Bild: „America“ (R: Ofir Raul Graizer, IL/DE/CZ 2022) | |
Esther, Tochter orthodoxer Juden aus Frankreich, kommt beim Familientrip in | |
Süditalien dem Obstbauern Elio langsam näher. Sie bekommt kaum noch Luft im | |
starren Gefüge der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft, in der sie aufgewachsen | |
ist. Ihr Eltern wollen endlich eine arrangierte Ehe für sie und machen | |
immer stärker Druck. | |
Wie es Stéphane Freiss in seinem Film „Where Life begins“ nun gelingt, aus | |
diesem Stoff von der jungen Frau im Gefängnis aus Zwängen, die sich | |
zunehmend damit beschäftigt, von ihrem Herzensmann erlöst zu werden, keinen | |
Kitsch zu fabrizieren, das ist ihm hoch anzurechnen. | |
Ständig glaubt man, dass es endlich so weit ist und unter Italiens Sonne | |
und mit Blick aufs Meer die Befreiung mit wenigstens einem Kuss besiegelt | |
wird. Aber so leicht ist es dann halt nicht und man wartet und wartet auf | |
das Happy End, das es so, wie man sich das vorstellt, einfach nicht geben | |
wird. | |
Gezeigt wird „Where Life Begins“ beim [1][Jüdischen Filmfestival Berlin | | |
Brandenburg], das vom 13. bis zum 18. Juni in mehreren Kinos in Berlin und | |
Potsdam gastiert. Zu sehen gibt es [2][Filme aus aller Welt], die in | |
irgendeiner Form mit jüdischem Leben zusammenhängen. Das kann wie in diesem | |
Jahr auch Horror- und Queerfilm bedeuten, es muss also nicht immer Klezmer | |
und die Shoah sein, aber Klezmer und die Shoah kommen natürlich auch vor. | |
Um die industrielle Ermordung der Juden in Nazideutschland geht es | |
beispielsweise im Prozess gegen Adolf Eichmann Anfang der Sechziger, in | |
denen „June Zero“ von Jake Paltrow spielt. In ganz Israel ist das die | |
Geschichte überhaupt: Man hat den Nazi-Schlächter vor Gericht und ja, der | |
Mann soll hängen und ja, es geht hier auch um Vergeltung. | |
Erzählt wird in Paltrows Film, wie der noch junge Staat Israel sich über | |
den Prozess neu definiert. Der Nazi im Gerichtsaal hat keine Macht mehr und | |
ist nur noch ein kleiner Wurm und man wird nun dafür sorgen, dass im Namen | |
des ganzes Landes für Gerechtigkeit gesorgt wird. | |
Dazu gehört auch, dass ein Leibwächter und ein Gefängniswärter akribisch | |
darauf achten, dass niemand ein Attentat auf Eichmann begeht, was das ganze | |
Verfahren vor Gericht hinfällig machen würde. Denn beim Eichmann-Prozess | |
ging es auch um symbolische Vergeltung. | |
Das arbeitet der Film vor allem an der Spezialaufgabe heraus, an der der | |
13-jährige David beteiligt ist. Sein Chef wird damit betraut, ein | |
Minikrematorium zu bauen. Die Überreste Eichmanns sollen darin zu Asche | |
werden. Was den Juden in den KZs widerfahren ist, wird noch einmal im | |
Kleinen nachgestellt, aber dieses Mal als Sieg der einstigen Opfer über | |
einen ihrer Peiniger. | |
Dass Israel nicht mehr das zerrissene, dabei aber hoffnungsfrohe Land ist, | |
wie es das in den frühen Sechzigern noch war, ist bekannt. Momentan wirkt | |
es nur noch zerrissen. Und für Eli in Ofir Raul Graizers Film „America“ ist | |
es der Ort, den er vor allem mit schlimmen Erinnerungen verknüpft und dem | |
er längst entflohen ist, um in den USA zu leben. Doch der Tod seines Vaters | |
bringt ihn zurück in sein Elternhaus. Dorthin, wo er von seinem Vater, | |
einem Militär, verprügelt und seiner Mutter Gewalt angetan wurde, bis diese | |
sich umgebracht hat. | |
Regisseur Graizer verknüpft das grimmige Schicksal Elis mit einem Drama der | |
Sonderklasse rund um dessen besten Kindheitsfreund und dessen Verlobter. | |
Ein Stück verbotene Liebe schleicht sich ein und es sind schon ganz schön | |
viele Drehungen und Wendungen, die der Film macht. | |
Aber der Eindruck vom verlorenen Paradies Israel ist nachhaltig und die | |
Erkenntnis, dass Eli mit dieser Familiengeschichte sein Glück einfach nicht | |
mehr finden kann, wirkt ziemlich deprimierend. | |
10 Jun 2023 | |
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[1] https://jfbb.info/ | |
[2] /Juedisches-Filmfestival-zum-27-Mal/!5789257 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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