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# taz.de -- Film „Flucht in den Norden“: Pionierin mit überschaubarem Werk
> Katharina Thalbach flüchtet in der Klaus-Mann-Verfilmung „Flucht in den
> Norden“ 1933 vor dem NS-Faschismus. Nun erscheint der Film auf DVD.
Bild: „Flucht in den Norden“ mit Katharina Thalbach
„Die Zeiten sind dreckig, lausig und beschissen. Und nichts spricht dafür,
dass sie für dich noch mal anders werden. Im Gegenteil.“ Sagt Johanna, von
Katharina Thalbach gespielt. Sie sitzt auf einem Steg am Wasser, sie steht
auf, sie nimmt ihren Koffer und geht.
Das Du, das sie adressiert, ist ihre Mutter, aber es ist eigentlich
Deutschland. Es ist das Jahr 1933, gerade haben die Nazis die Macht
übernommen. Johanna wird das Land verlassen, sie hat es verlassen, in
Richtung Finnland, ins Ungewisse. Unklar, ob sie jemals zurückkehren will
oder kann.
Das ist der Beginn von „Flucht in den Norden“, nach dem Roman gleichen
Titels, den Klaus Mann, seinerseits gerade aus Deutschland geflohen, im
Exil schrieb, er erschien 1934 im Amsterdamer Querido Verlag.
In Finnland war Mann schon zwei Jahre vorher gewesen, Eindrücke dieser
Reise, die er mit seiner Schwester Erika und der gemeinsamen Freundin
Annemarie Schwarzenbach unternahm, gingen ein in das Buch. Die androgyne
Heldin Johanna ist nach der lesbischen Schwarzenbach modelliert, wenngleich
sich der schwule Klaus Mann in ihrem Geliebten Ragnar ein männliches
Liebesobjekt fantasiert.
## Liebe zu zwei Geschwistern
Johanna, die Protagonistin, kommt unter bei ihrer reichen Freundin Karin
(Lena Olin), die sie aus Schulzeiten kennt. Ihr Verhältnis hat mit mehr als
Freundinnenküssen eine erotische Seite, aber zur großen Liebe Johannas in
Finnland wird Ragnar (Jukka-Pekka Palo), Karins Bruder.
Er liebt die Literatur, ist Antifaschist, er schenkt ihr ein Buch von
Rimbaud, sie gehen ins Kino und sehen Viktor Sjöströms „The Wind“ mit
Lillian Gish. Davor aber, in der Wochenschau, schwingt [1][Goebbels]
faschistische Reden. Und am Tisch bei Karin sitzt einer aus der Familie,
der von den Ereignissen, die sich in Deutschland zutragen, schwärmt.
Und so fliehen sie, weiter nach Norden, in ein Land voller Seen und Wälder,
sie fliehen die Gegenwart und die Wirklichkeit und begegnen wenigen
Menschen. Eine Flucht in die Liebe, den Sex, die Natur, ins
Nichtwissenwollen. Umso schöner, weil mit Musik von Sibelius und Bach
unterlegt. Aber es ist auch eine Parabel darüber, dass, wer aus der
Wirklichkeit flieht, sei es in einen inneren oder äußeren Norden, seine
Seele verliert.
Und so holen Johanna, als Zeitungsnachricht, per Telegramm, die
beunruhigenden Nachrichten aus Deutschland noch am vermeintlichen Ende der
Zivilisation doch wieder ein. Ein enger Freund und Widerstandskämpfer wird
in Deutschland erschossen. Sie muss, es ist für sie keine Frage, wieder
zurück.
## Studium mit Wim Wenders
Im Jahr 1985, gut fünfzig Jahre nach den Ereignissen, von denen uns heute
weniger als zu seiner Entstehungszeit trennt, hat Ingemo Engström ihren
Film „Flucht in den Norden“ gedreht. Engström wurde 1941 in Finnland
geboren, studierte dort Literaturwissenschaft und Psychologie, ging dann
nach Deutschland, gehörte 1967 mit [2][Wim Wenders] und Werner Schroeter
zum ersten Jahrgang der neu gegründeten Filmhochschule in München.
Sie hat mit Harun Farocki gearbeitet, hat alleine und mit ihrem Ehemann
Gerhard Theuring Filme gedreht, unter anderem 1977 „Fluchtweg nach
Marseille“. Das ist ihr bekanntestes Werk, ein Essayfilm nach Anna Seghers’
„Transit“, in dem ebenfalls Katharina Thalbach die Hauptrolle spielt.
Eine Pionierin mit leider überschaubarer Filmografie. 1995 noch ein
Fernsehfilm, dann nichts mehr. Hier und da eine Retrospektive, aber heute
ist sie weithin vergessen. Immerhin bemüht sich die Edition Filmmuseum um
ihr Werk. „Fluchtweg nach Marseille“ ist dort schon länger erhältlich. Nun
ist auch „Flucht in den Norden“ dort auf DVD greifbar.
6 Feb 2025
## LINKS
[1] /Reichskanzlerplatz-von-Nora-Bossong/!6031610
[2] /Film-Perfect-Days-von-Wim-Wenders/!5977903
## AUTOREN
Ekkehard Knörer
## TAGS
Finnland
Geschichte
Katharina Thalbach
Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Film
Theater
DVD
Spielfilm
Spielfilm
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